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Rente auf Kurs Richtung Börse

Mit dem Rentenpaket II will die Politik Geld aufnehmen und an der Börse investieren. So soll die Rente sicherer werden, damit sich auch künftige Generationen dank Altersgeld von Vater Staat so sicher wie in Abrahams Schoß fühlen können. Nicht umsonst heißt das Projekt „Generationenkapital“. Man muss kein Prophet sein, um zu erkennen, dass das Rentenpaket eine Wette auf die Zukunft ist.

Eigentlich wissen es alle seit Jahrzehnten; Politiker, Ökonomen, Journalisten, Besserwisser und vor allem die, die bald in Rente gehen: Das deutsche Rentensystem ist nicht so sicher, wie es 1986  Bundesarbeits- und Sozialminister Nobert Blüm auf 15.000 großen Litfaßsäulen plakatierte und in das kollektive Gedächtnis einbrannte: „Denn eins ist sicher: Die Rente.“ Heute sind andere Zeiten. Blüm war im Wahlkampf und warb um Vertrauen in die Deutsche Rentenversicherung. Heute sind die Zeiten anders – aber das geflügelte Blümchen-Wort bleibt: Die Rente ist sicher. Der Satz ist in Stein gemeißelt und nicht falsch. Es gibt immer noch eine staatliche Rente. Aber er lässt entscheidende Fragen offen: Reicht die Rente: Und für wen reicht die Rente?

Sicher ist sicher ist Rente?

Die Rente ist ganz und gar nicht mehr so sicher, damit alle in der warmen Abendsonne des Lebensherbstes, wohlig eingehüllt in einer dicken finanziellen Decke, sitzen können. Die ersten begehren auf: Babyboomer, die bald zuhauf in Rente gehen. 350.000 Hamburger sind über 65 Jahre alt. Die geburtenstarken Jahrgänge von 1985 bis 1967 zählen fast 250.000 Köpfe. Aber es sind auch die Jüngeren, die sich fragen: Wer zahlt für mich in die Rentenkasse ein? Wie lange muss ich arbeiten, bis ich das Rentenalter in Zukunft erreicht habe? Gelten die Regeln von heute, reicht das Rentenalter mit 67 Jahren, um in den Ruhestand zu wechseln. Vielleicht aber müssen die Jungen arbeiten, bis sie 70 Jahre alt sind. Wer weiß, ob es dann noch eine staatliche Rente gibt? Vielleicht gibt es nur noch einen Sockelbetrag vom Staat, der aus eigenem Portemonnaie vorausschauend aufzustocken ist.

Börse statt Blüm

Blüms Worte kippen heute, knapp 40 Jahre später, wohl eher ins Gegenteil. Die Jüngeren müssen sich wohl auf ein neues Rentensystem einstellen und umdenken. Das macht auch gerade Finanzminister Christian Lindner. Der und Arbeitsminister Hubertus Heil haben das heiße Eisen Rente angepackt. Die einen sagen, Lindner will sein wie Midas. Wir erinnern uns: Midas war der Sagengott, der alles, was er anfasst, in Gold verwandelte. Die anderen sagen: Rentenfinanzierung über die Börse ist ein Vabanquespiel, da könnte Lindner viel Geld verbrennen.

Revolution  und  Rentenniveau

Worum geht es beim Rentenpaket II? „BILD“ rief die „Renten-Revolution“ aus. Lindner sprach von einem echten Paradigmenwechsel. Ohne Wumms-Begriffe geht heute nichts. Das Ziel des rot-gelben Planes ist, dass alle Menschen sich auf die gesetzliche Rente verlassen können sollen. Ohne Reform würde sich das Rentenniveau, also die Rentenhöhe in Prozent vom Durchschnittseinkommen, vom Lohn abkoppeln. Rentner würden – im Verhältnis – (noch) ärmer als die arbeitende Bevölkerung.

Heute gelten hier rund 48,2 Prozent. Das ist fix bis 2025. Aber dann? Bis 2037 dürfte das Rentenniveau auf 45 Prozent sinken, weil eben die Babyboomer auch die Hände in den Schoß legen wollen. Was tun? Rot-Gelb, Lindner und Heil, schaut auf die Börse und will Schulden machen. In diesem Jahr sind das zwölf Milliarden Euro, in den kommenden Jahren mehr. Das wird nun angelegt, und aus dem Aktienmarkt sollen ab den 2030er Jahren jährlich zehn Milliarden Euro in die gesetzliche Rentenversicherung fließen. Damit bekommt die Rente eine neue kreditfinanzierte Säule, der Generationenpakt ist geschlossen und das Rentenniveau von 48 Prozent in Zukunft sicher, und Kanzler Olaf Scholz behält recht, wenn er verspricht: keine Kürzungen bei der Rente. Doch die Zukunft wird eventuell alles andere als rosig:

Die Beiträge für die Rentenversicherung werden – ohne Geldanlage am Kapitalmarkt – vermutlich steigen; bis 2027 bleibt es bei 18,6 Prozent. Ab 2028 geht’s eventuell rauf auf 20, bis 2035 auf 22,3 Prozent und bis 2045 auf 22,7 Prozent. Die Erträge vom Kapitalmarkt sollen diese Beitrags-Inflation dämpfen. Es kommt aber auch woanders noch dicker: Experten rechnen damit, dass die Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung um zwei Prozentpunkte klettern. 

Rendite für Rente

Zu denen, die Lindners Pläne und Midas-Ambitionen grundsätzlich begrüßen, gehört Achim Teske aus Hamburg, einer der wenigen Honorarfinanzberater. Das sind die, die nur vom Kunden bezahlt werden und keine Provision von Versicherungen, Banken oder Geldanlage-Unternehmen bekommen. Vor einem Jahr referierte Teske beim Hamburger Börsentag zum Thema „Gefahr Nummer eins für die Altersvorsorge“. Dabei ging es um Rentenversicherungen, Lebensversicherungen und Verträge der betrieblichen Altersvorsorge. Teske bilanziert: „Diese Verträge sind in der Regel mit sehr hohen Kosten belastet und erreichen so gut wie nie die prognostizierten Ablaufleistungen. Sie sind selten die beste Lösung, um die gesetzliche Rente zusätzlich zu unterfüttern. Damals nicht und heute schon gar nicht. Heute lebt eine goldene Generation der Rentner, abgesehen von denen, deren Rente sehr niedrig ist.“

Aber kommende Generationen haben es besonders schwer. Die Babyboomer rüsten sich für ihre Rente. Und das sind viele, viele ... Der Finanzberater verweist darauf, dass es an denen fehlt, die die Hände rühren für die Rente, die die nachfolgende Generationen kassieren können. „Immer mehr erreichen ein hohes Alter, erhalten lange Rente, arbeiten weniger, werden pflegebedürftig. Es fehlt an allen Ecken und Kanten an Menschen, die in Sozialversicherungskassen einzahlen. Das Problem wird immer stärker die Straße heruntergetreten, aber keiner kümmert sich wirklich.“ 

Rücksicht statt Reform

Seit 30 Jahren ist eine Reform der Rente überfällig. „Aber keiner wollte die brutale Nachricht rüberbringen.“ Teske weiß, die Überbringer schlechter Nachrichten werden geköpft, das heißt: Beim nächsten Mal wird anders gewählt. Nun aber habe es aber endlich gescheppert, als Lindner und Heil den Generationenpakt ankündigten: „Es stimmt, die Rente ist sicher. Nur die Höhe nicht und ab wann man sie bekommt. Die Aktienrente ist grundsätzlich eine sehr gute Idee. Länder wie Norwegen, Singapur oder die Golfstaaten haben seit vielen Jahren sogenannte Staatsfonds und sind damit sehr erfolgreich.“ Teske ist skeptisch: „Viele Politiker können nicht mit Geld umgehen und verstehen nicht, wie Aktien und die Kapitalmärkte funktionieren.“ Er hält den politischen Rentenkurs aufs Börsenparkett dennoch für nicht zu glatt. Es gebe kaum andere Möglichkeiten, der Rente mehr Rückhalt zugeben: „Wenn der Staat für 2,5 Prozent Geld aufnimmt, in Aktien investiert und genug langen Atem hat, ist das eine extrem gute Idee. Wer langfristig anlegt, kann – trotz Schwankungen – mit einer Rendite und damit einer abgesicherten Rente rechnen“, sagt Teske und schaut zurück auf die langen Jahre an der Börse, Schwankungen und Höchststände. Sieben Prozent Rendite seien über die Jahre durchschnittlich drin – und damit auch „drin“ in der Rentenversicherung. Das ist keine Zockerei.“

Besser spät als nie?

Auch für Sabrina Otto, Pressechefin der Hamburger Börse, ist der Plan grundsätzlich begrüßenswert, komm jedoch sehr spät. „Bereits vor Jahrzehnten war absehbar, dass die gesetzliche Rente in dieser Form spätestens beim Eintritt der geburtenstarken Jahrgänge nicht mehr finanzierbar ist. Wenn auf dem Kapitalmarkt und vor allem mit Aktien nachhaltige und überdurchschnittliche Erträge erzielt werden sollen, benötigt man einen sehr langen Zeithorizont. Damit sind nicht Jahre, sondern Jahrzehnte gemeint. Wenn Mitte der 2030er Jahre bereits Erträge für Rentenzahlungen eingehen sollen, dann ist dies ein sportliches Ziel.“ Auch die Börsen-Expertin sieht bei Aktien Risiken, das heißt, sie können fallen oder sich viele Jahre seitwärts bewegen: „Last but not least zeigt zwar die Vergangenheit, dass man langfristig mit Aktien überdurchschnittliche Erträge erzielen könnte, es gibt jedoch keine Garantie dafür, dass dies in der Zukunft zutrifft.“ Und was passiert, wenn der Staat das Börsenparkett betritt, und sich mit Bulle und Bär, den Symbolen der Börsianer, verbandelt? „Wenn die Politik plant, Kredite aufzunehmen, um diese Mittel in Aktien anzulegen, dann hat das schon ein spekulatives Element. Eine Börsenregel lautete nicht umsonst: „Kaufe Aktien niemals auf Kredit.“ Soll heißen, man sollte nur das Geld anlegen, das man zur Verfügung hat und auch langfristig entbehren kann. Zurück zum Staat: Er investiert Geld, das er nicht hat, und belastet somit erneut die zukünftigen Generationen. Wenn seine Spekulation nicht aufgeht, dann hat er an dieser Stelle eine neue Rentenlücke und muss zusätzlich noch seine Kredite bedienen.“

Zocken im Casino?

Es brandet auch von anderer Seite  Kritik auf gegen die Börsenpläne. Politiker wie Sahra Wagenknecht fürchten, dass der Staat wagemutig in das Welt-Casino von DOW Jones, NASDAQ, DAX und Nikkei wechselt. Doch Sahra verkennt und tut Casinos unrecht. Die hehre Regel hier lautet: Spiele nie mit geliehenem Geld. Andere Kritiker sind weit weg vom Börsenparkett. Sie sprechen für die, die es angeht. Sozialverbände wie der vdk begrüßten die Stabilisierung des Rentenniveaus, fordern aber ein Rentenniveau von 53 Prozent. Denn: Auch Sozialverbände wissen, dass sich Aktien erst auf lange Sicht rechnen. Und dass Blasen platzen können.

„Rentenpaket“ und „Generationenkapital“ dürfe nicht bedeuten, dass sich eine Aktienrente durch die Hintertür hineinschleicht, warnt der SoVD, Sozialverband Deutschland, der in Hamburg von Klaus Wicher geführt wird. Er fordert schon lange, Planungssicherheit, ein hohes, stabiles Rentenniveau von mindestens 53 Prozent, eine „auskömmliche Rente für alle“, einen Ausgleich für schwache Renten. Henriette Wunderlich, Berliner SoVD-Referentin für Rente und Arbeitsmarkt in der Abteilung Sozialpolitik: „Der SoVD steht dem Generationenkapital sehr kritisch gegenüber. Denn die Alterssicherung der Menschen ist zu wichtig, um sie dem unsicheren Umfeld des Aktienmarktes zu überlassen. Für die Babyboomer wird das Generationenkapital hingegen wohl kaum Wirkung entfalten. Denn die Erträge aus den Anlagen sollen Mitte der 30 Jahre – wenn die Babyboomer bereits in Rente sind – dazu beitragen, den Beitragssatz stabil zu halten.“ Sie fordert, Beitragsmittel nicht in den Fonds zu stecken, weil das die gesetzliche Rentenversicherung schwächt, sondern in die Versicherung selbst.

Beamte und andere

Hubertus Heil hat zudem ins Spiel gebracht, die Gesetzliche Rentenversicherung auszuweiten und auf mehr Schultern zu verteilen: Auch Beamte und Selbstständige könnten doch einzahlen. Dass solle ein höheres Renteneintrittsalter verhindern. Der SoVD „begrüßt ausdrücklich alle Maßnahmen, die zur Stärkung der gesetzlichen Rente beitragen. Denn wir sind davon überzeugt, dass wir mit der umlagefinanzierten gesetzlichen Rente ein wirklich gutes System haben. Das jedoch an manchen Stellen noch besser werden muss. Dazu zählen die Anhebung des Rentenniveaus auf 53 Prozent, die Weiterentwicklung zu einer Erwerbstätigenversicherung, in die alle Beschäftigten einbezogen werden, und das Festhalten an der aktuellen Regelaltersgrenze bzw. dem Ablehnen einer Kopplung an die Lebenserwartung der Menschen.

Private Vorsorge

Durch den „Generationenkapital“ wird kein künftiger Rentner zum Aktionär, vielmehr setzt der Staat sein Geld auf steigende Kurse und rechnet mit Renditen. Wer doch selbst investieren will, sich nicht mehr nur auf die Gesetzliche Rentenversicherung verlassen will und Geld über hat, für den hat Sandra Klug, Abteilungsleiterin Geldanlage, Altersvorsorge und Versicherungen, Verbraucherzentrale Hamburg e.V., einen Rat: „Je nachdem, wann die Rente ansteht, kann noch für die Altersvorsorge angespart werden. Ist der Zeitraum nicht mehr lang, macht es Sinn, ein Polster auf einem Tagesgeldkonto anzusparen. Hat man hingegen noch länger Zeit, mindestens zehn Jahre, oder wer das Geld nicht zum Rentenbeginn braucht, kann auch noch eine beträchtliche Summe mit ETFs, das ist ein börsengehandelter Fonds, angespart werden. Da diese passiven Aktienfonds aber Wertschwankungen unterliegen, muss der Anlagehorizont entsprechend länger sein. Hat sich hingegen auf dem Girokonto etwas Geld angehäuft, so kann man durch ein Festgeld noch ein paar Zinsen mitnehmen. Hat man noch länger Zeit, kann auch hier eine Investition des Einmalbetrags in ETFs sinnvoll sein. Sie warnt: „Schließen Sie keine Rentenversicherung ab. Diese ist zu teuer und wirft zu wenig ab.“    

 

Dr. H. Riedel © SeMa

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