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Ruhestand im Möwenland

Immer mehr betuchte Rentner zieht es an Nord- und Ostsee

Viele Ostseebrücken werden zurzeit komplett renoviert. Dort ist auch der Senior dem Meer besonders nahe.

Für die Mehrheit ist es ein Traum, der mit dem Blick auf das Konto zum schnellen Aufwachen führt. Nicht nur – aber besonders – im Großraum Hamburg steigt trotzdem die Anzahl der Ruheständler, die im Alter das Kreischen der Möwen, das Rauschen der Brandung und vor allen Dingen das gesunde Reizklima an den Küsten genießen wollen. Ob das wirklich ein Traum bleiben muss, womöglich gar kein Traum ist oder aber zum Albtraum werden kann, klärt ein Blick auf die Atmosphäre vor Ort.

Sein Leben war recht rau, das Klima auf der Promenade von Travemünde ist es jetzt auch. Mit der gelben Pudelmütze tief ins Gesicht und den Trainingsanzug gleichermaßen bis obenhin zugezogen, strahlt der Senior mit leicht ostdeutschem Akzent nur eines aus: pure Freude am Alter. „Ich habe es niemals bereut, hierhergezogen zu sein, fühle mich jeden Morgen wie neu geboren.“ Wer den geborenen Leipziger an diesem März-Tag etwas beobachtet, glaubt ihm diese ein wenig theatralische Aussage. Er wirkt mit 82 Jahren dort angekommen, wo er immer hin wollte. Nach der Grenzöffnung ab und zu, später voll. „Ich habe mein Ding gemacht, das Leben ist noch lange nicht zu Ende“, sagt der Mann mit verschmitzter Miene in seinem durch Ostsee-Sonne gegerbten Gesicht. Und dann geht es weiter Richtung Brodtener Steilufer – wie jeden Morgen.

Der Senior aus Sachsen gestaltet sich das Leben genauso, wie es Ärzte für das Alter empfehlen. Die kühle, teils intensive Brise an der Küste fördert den Organismus: Er muss sich dem Kältereiz anpassen und mehr Wärme bilden, damit er nicht auskühlt. Empfehlenswert sind ausgedehnte Spaziergänge am Meer, Ost- und Nordsee sind da der perfekte Ort. Natürlich will dabei das Thema Corona niemand mehr hören. Aber die Zeit der größten Krise hat die Menschen genau das vermissen lassen, frische salzige Luft, das Kreischen der Möwen, Wind im letzten zerzausten grauen Haar, wer hätte das anno 2020 und die ersten Monate 2021 nicht haben wollen. Diese und andere Faktoren wirkten auf komplexe Weise zusammen und reizten den Körper einerseits, andererseits schonten sie ihn auch, erklärt zum Beispiel Reinhard Patzke, Oberarzt i. R. – ehemals an der DRK-Nordsee-Reha-Klinik Goldene Schlüssel in St. Peter-Ording.

Die Promenade in Travemünde ist in den vergangenen  Jahren extrem vorbereitet worden. Dort ist für alles Platz: Fahrräder, Rollatoren und natürlich auch Spaziergänger.

Dass sich immer mehr gut betuchte „Oldies“ aus dem Landesinneren den Ruhestand im Möwenland gönnen, zeigt ein Blick auf Spazierwege, in Cafés oder auf Bänke in den Parks von Büsum bis St. Peter genauso wie von Travemünde bis Flensburg – zumindest dann, wenn die Mengen von Touristen mal nicht da sind. So sieht man auf der neu errichteten, besonders breiten Promenade von Travemünde an manchen Wochentagen fast genauso viele Rollatoren wie Fahrräder – betagte Spaziergänger ohnehin. Platz ist für alle da.

Aber ist das wirklich so? Ob das Alter an der See nun wirklich ein Traum ist, scheint Ansichtssache. „Natürlich ist es hier zumindest Richtung Osten schön und die Luft ist auch gesund“, sagt eine redselige Dame aus Travemünde, die brav mit ihrem Mundschutz an der Fähre nach Priwall wartet – dort liegt das weithin bekannte Seniorenheim Rosenhof. Richtig glücklich wirkt die blonde Mitvierzigerin dabei aber nicht. Dann sprudelt es aus ihr raus: „Viele Senioren hier in Travemünde sind wirklich arrogant, wollen zeigen, dass sie etwas Besseres sind – oder zumindest waren.“ Aber sie hat auch einen Tipp parat: Mich würde es im Alter eher nach Sierksdorf oder Haffkrug ziehen, da ist es noch normaler“, sagt die ebenfalls von der Ostseesonne leicht gebräunte Dame. Na gut, auch das muss man sich leisten können.

Und nicht nur am Blick in den Senioren-Geldbeutel muss es scheitern. „Sie glauben gar nicht, wie wenig entspannend das hier ist, wenn  am Wochenende die Touristen einfallen“, sagt ein jüngerer Mann, der sich in der Lübecker Bucht von einem Schlaganfall erholt. „Das ist schon fast kontraproduktiv, mich zieht es dann hier nicht mehr vor die Tür“, schildert der Rekonvaleszent ein allgemeines Problem der Kurorte an der See. Ihm fehlt dann auch die typische Ostseebräune im Gesicht. Der ungebremste Bauboom tue ein Übriges in Sachen ungebrauchten Stress, fügt er noch an. So verheerend die Corona-Pause an der See für die Tourismus-Wirtschaft auch war, Rentner und Kur-Patienten hatten lange ihre Ruhe. Mit der ist es jetzt aber wieder vorbei. Ist der Lebensabend zwischen Möwen und Matjes nun doch kein Traum?

Zumindest sprechen neben den mangelnden finanziellen Möglichkeiten auch andere Argumente für das weitere Leben im gewohnten Umfeld. „Ich möchte einfach bis zum Ende da bleiben, wo ich immer war, wo ich es kenne und wo mir die letzen Menschen geblieben sind“, ist aus Hamburger Senioren-Kreisen mehrfach zu hören. Dabei denkt dann niemand mehr an den Geldbeutel oder kreischende Möwen – eher schon an Alster, Elbe und die guten Freunde zu Hause. Da ist es ja auch ganz schön. Und die Luxus-Rentner an der Küste werden ja auch allein glücklich.

Am großen Seniorenzentrum  Rosenhof auf dem Travemünder Priwall fahren jeden Tag die großen Pötte Richtung Skandinavien vorbei.

Nord- und Ostsee in Kürze

An Ost- und Nordsee gibt es viele schöne Orte. Hier eine Auswahl ohne Anspruch auf Vollständigkeit, jeder davon bringt seine individuellen Vorzüge mit sich.

Ostsee: Bornholm, Travemünde, Fehmarn, Fischland-Darß-Zingst, Heiligendamm, Hiddensee, Hohwachter Bucht, Poel, Rügen, Timmendorfer Strand, Grömitz, Scharbeutz, Usedom.

Nordsee: Büsum, St. Peter-Ording, Westerland/ Sylt, Insel Föhr

Neue Seebrücken:  In mehreren Orten an der Ostsee werden zurzeit die Seebrücken aufwendig renoviert bzw. neu gebaut. So zum Beispiel in Kellenhusen, Grömitz und vor allem spektakulär in Timmendorfer Strand

Seniorenresidenzen: Allein im Raum Niendorf/Ostsee, Scharbeutz, Travemünde dürfte es an die 50 Senioren-residenzen geben. Besonders bekannt ist der Rosenhof in Travemünde auf dem Priwall, der schon fast ein eigenes Seniorendorf ist.

Preisniveau in Schleswig-Holstein: Eine Prognos-Studie aus dem Jahr 2016 legt dar, dass das Preisniveau in Schleswig-Holstein in verschiedenen Regionen unterschiedlich ist. Nicht überall erhält der Rentner dasselbe für sein  Geld. Auch das sollte berücksichtigt werden.

Kurzkur in der Brandungszone

Es muss nicht immer der Ruhestand an  Ost- oder Nordsee sein, auch ein Tages-Spaziergang an der See kann schon Wunder wirken. „Halten Sie sich in der Brandungszone auf,  dann atmen Sie das maritime Aerosol ein. Es enthält Salzwassertröpfchen, die sich je nach Größe im Nasen-Rachenraum anreichern oder bis in die Lungenbläschen vordringt“, erläutert Oberarzt i. R., Dr. Reinhard Patzke, der unter anderem Allergologe, Umweltmediziner und Facharzt für physikalische und rehabilitative Medizin in St. Peter. Ording an der Nordsee war. Der Salzgehalt in der Luft sei am höchsten, wenn man direkt in der Brandungszone stehe.

 

K. Karkmann © SeMa                      

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