Mit Sissi-Feeling an die Sachertorte
In Wien locken geliebte Klischees gerade ältere Touristen an
Es muss ja nicht gleich Hans Moser sein. Der beliebte Schauspieler (verstorben 1964) gilt wie kaum ein Zweiter als Wiener Urgestein. Sein Granteln wurde in der österreichischen Metropole ein Markenzeichen, eine lustige Art Unfreundlichkeit quasi zum Wesensmerkmal. Wer heute die Hauptstadt unseres Nachbarlandes besucht, spürt bei allem Fortschritt, bei allen modernen Errungenschaften zwischen Stephansdom und Hofburg, dass gerade die (mehr oder weniger alten) Klischees Wien ausmachen. Ältere Gäste an der Donau – und die gibt es nach wie vor zu Hauf – fordern geradezu das Sissi-Feeling, die Sachertorte oder das Fiaker-Gespann. Die Stadt wird niemals ihre Vergangenheit vergessen – und das macht sie so liebenswert.
Nun gut, die Ankunft ist nicht gerade historisch oder altertümlich. Ziemlich verwirrt steht eine Hamburger Seniorengruppe mitten im neuen Wiener Hauptbahnhof, die vielen Ausgänge in alle Richtungen gleichen der Anzahl der Fragezeichen auf der Stirn. Wien ist eine Großstadt, wenn nicht sogar eine Weltstadt, und auch außerhalb des Bahnhofes am Südtiroler Platz dominieren hohe, moderne Gebäude, Technik und eine top-moderne Straßenführung.
Hans Moser hätte mit Sicherheit gegrantelt – die norddeutschen Senioren hätten ihn verstanden. Aber: Das ist nur ein Teil – eben der neuere – von Wien, die Generation 60 plus kommt schon einen Tag später auf ihre Kosten.
Sobald man sich mit der U-Bahn (Wien hat ein großes modernes Netz) Richtung innerem Ring aufgemacht hat, präsentieren sich die Sehenswürdigkeiten unübersehbar wie an einer Perlenschnur aufgereiht. Ob Parlament, Rathaus mit Vorplatz, die Oper das Burgtheater oder eines der vielen Museen: Kollosale Bauten, aus denen die Historie geradezu trieft, sind sie alle. „Es ist traumhaft schön, geradezu überwältigend“, sagt Christel Beyer (74) aus Hamburg und kommt aus dem Staunen gar nicht mehr raus. Diese Gebäude seien in der Tat gerade für ältere Menschen etwas ganz Besonderes, man müsse sie einfach gesehen haben, gibt sie schon fast Reisetipps an Gleichaltrige. „Dabei ist alles auch so sauber und schön“, sagt Gerit Mediaty (75), die ebenfalls von der Elbe an die Donau gereist ist.
Das Ganze steigert sich dann noch, wenn die Tram verlassen wird und es in den Burggarten und/oder die Hofburg geht – vom nahen Stephansdom ganz zu schweigen. Und wer dann wirklich noch näher an Kaiserin Sissis Gemächer will, der fährt halt raus Richtung Schloss Schönbrunn. Da sieht der staunende Tourist dann gleich, dass die populäre österreich-ungarische Kaiserin im „Garten“ genug Auslauf hatte. Auch eine Führung durch Schloss Schönbrunn ist einfach ein Muss. Der Prunk ist unbeschreiblich, auch die vielen Asiaten lassen ihre Kameras heiß laufen.
Nun gut, die Augen haben viel gesehen, die Beine werden schwächer. Der Moment ist eigentlich optimal, um zu kulinarischen Genüssen zu wechseln. Und da ist man in Wien nun wirklich richtig. Wer auf seinem Historien-Trip weitermachen will, geht ins Hotel Sacher und isst die legendäre (und überteuerte) Torte. Aber schon auf dem Weg dorthin locken etliche gemütliche Kaffeehäuser, Beisl und Weingärten, in ihnen der kleine Braune (Kaffee), der Verlängerte (Kaffee)oder gar Hendl, Wiener Schnitzel in der Größe eines Klodeckels, vor Kalorien strotzender Kaiserschmarrn oder eine der vielen anderen Spezialitäten. Zum Abnehmen ist Wien nichts, für den schmalen Gelddbeutel allerdings auch nicht. Wien ist (schön) teuer, Historie, Klischees und Weltstadt haben ihren Preis.
Der Tourist 60plus sei daher auch ein bisschen gewarnt. Ein Großtadturlaub gerade in der Zwei-Millionen-Metropole Wien ist sehr anstrengend. Augen, Seele, Beine, Orientierung, Gehirn, Ausdauer, Verdauung: Alles steht auf dem Prüfstand – und die Geldbörse muss auch dick genug sein. Da nützt – in memoriam Hans Moser – auch ein kräftiges Granteln nichts.
Ein guter Überblick zum Tourismus in Wien, der alle Themen abdeckt, im Netz unter https://www.wien.gv.at/tourismus/
Vom Scherzel bis zum Zwutschkerl
Typisch Wienerische Ausdrücke klingen oft niedlich, aber man versteht sie nicht. Hier ein paar „Übersetzungen“:
Abstrudeln
Zwar ist der Strudel wohl die berühmteste Mehlspeise der österreichischen Küche, nur hat der Kuchen mit den köstlichen Füllungen hier nichts verloren. Vielmehr ist abstrudeln das passende Verb, wenn du dich enorm abmühst oder abrackerst. Nicht nur der Bäcker knetet den Strudelteig so lange, bis er nicht mehr kann; auch strudelt man sich ab bei seiner Ankunft in der fremden Großstadt.
Flamo
Spätestens nach dem Beziehen des Hotelzimmers stellt sich auch bei dir Flamo ein, und es wird Zeit, auf die Suche nach Grammelschmalz und Saumaise zu gehen. Nein, nicht, weil du nach lustigen Wortkombinationen suchst oder plötzlich Jäger geworden bist, sondern weil Flamo schlichtweg „Hunger“ heißt.
Scherzl
Im Restaurant ist das Scherzl kein Schwank des Kellners, auf den man etwa mit Lachen antworten müsste. Nein, wenn jemand mit einem Scherzel kommt, dann wird dir gerade wienerisch das letzte oder erste Stück eines Brotlaibs angeboten.
Nedlich
Falls du allzu menschlich in ein sprachliches Fettnäpfchen trittst, dann achte zumindest darauf, ob ein beobachtender Österreicher das als nedlich bezeichnet. Fällt der Ausdruck? Dann wieg dich bloß nicht in Sicherheit, dass du so etwas wie niedlich bist, Tatsächlich ist nedlich das Alarmwort für eine heikle Situation.
Zwutschkerl
Früher oder später wird dir auch im freundlichen Österreich ein Zwutschkerl begegnen, und dann wirst du ihn als solchen benennen können: als ein Prachtexemplar eines echten Idioten. Meist werden die Jüngeren damit beschimpft, aber keine falsche Scheu, dieses Wort frei anzuwenden. Auch ein Senior kann ein Zwutschkerl sein.
Kurvn krotzen
Solltest du den Zwutschkerl nun doch nicht abschütteln können, dann wird es später Zeit, die Kurvn zu krotzen. Ob du jemanden kratzen sollst? Nein, das Kurvnkrotzen ist die hohe Kunst, heimlich einen Abgang zu machen. Sehr nützlich, auch außerhalb der Großstadt Wien.
Klaus Karkmann © SeMa
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