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Im Meer der Biker und Motorroller

Amsterdam: Gerade ältere Touristen haben viel Respekt vor den Zweirad-Massen

Auf den Radwegen müssen sich Radler, Rollerfahrer
und sogar kleine Autos die Spuren teilen.

Nein, Autos sind nicht das Problem. In der niederländischen Metropole Amsterdam ist es über Jahre hinweg gelungen, den Zweirad-Fahrern aller Art die Herrschaft auf den Straßen zu geben. So entstand mit der Zeit mehr und mehr ein Gewimmel von Bikern, Motorrollern und anderen skurrilen Zweirad-Gefährten zwischen Grachten und Altbauten. So schön Amsterdam ist, so viel Angst hat so mancher der (älteren) Fußgänger-Touristen vor dieser Entwicklung. Es müssen also nicht immer kraftstrotzende Droschken sein, die den Schweiß auf die Stirn treiben. Das SeMa hat sich auf Fußwegen, Fähren und in Parks der beliebten Stadt umgehört.

Ein gutes Rad ist teuer, aber guter Rat eben manchmal auch. Mit verängstigten Blicken steht eine kleine Gruppe Hamburger Senioren am Knotenpunkt vor dem Amsterdamer Hauptbahnhof Centraal. Dort setzen die gemischten Rad-, Scooter, Roller und eben auch Fußgängerfähren in den Norden rüber. Das Gemisch aus rollenden, hupenden und rasenden Zweirädern ist gewöhnungsbedürftig, wer zu viel Angst hat, hat verloren. Die Schranke senkt sich, die Masse setzt sich in Bewegung, und unsere Seniorengruppe wird praktisch auf die Fähre geschoben. „Sie kommen wirklich von allen Seiten, man muss höllisch aufpassen“, sagt zum Beispiel die Hamburgerin Roswitha Muth (79), auch mittendrin im rollenden Haufen.

Und das geht an den tollen Grachten, an den imponierenden Altbauten und zwischen den vielen Museen der niederländischen Metropole so weiter. Wer zum Grachtenring, zum Nieuwmarkt, zum Rijksmuseum oder zum Anne-Frank-Haus vorstoßen will, der muss mit dieser Zweirad-Welt leben – auch oder eben gerade als Fußgänger und/oder Tourist. Amsterdam ist berühmt für seine Fahrradkultur (siehe Text rechte Seite): Wer bremst der hat verloren, daher bremst auch kaum jemand. Der Fußgänger wird in  dieses Biker-Leben nahtlos integriert – was bleibt ihm auch übrig? „Das ist schon schlimm. Aber das Schlimmste ist, dass einen die Schönheiten dieser Stadt ablenken, das macht es gefährlich“, sagt Ursula Fürstenau (74), ebenfalls für fünf Tage aus der Hansestadt nach Amsterdam gereist. Aber man gewöhne sich mit der Zeit daran.

Das Stadtbild Amsterdams
ist mit Fahrrädern verknüpft.

Das gilt vor allen Dingen für die Amsterdamer selbst. Trotz der Geschwindigkeit, mit der sogar Motorroller und kleine Autos die Radwege benutzen dürfen, trägt hier niemand einen Helm. Kleine Kinder radeln mit ihren Eltern  an den Grachten, junge Mädels mit Hollandrädern lassen ihre blonden Haare im Wind spielen, und alle möglichen Konstruktionen von Lastenrädern schießen durch die Gegend. Aber passieren tut kaum etwas, die Mischung aus Blickkontakt und Lockerheit scheint dafür eine Art Versicherung zu sein. Unsere Hamburger Seniorengruppe jedenfalls tastet sich langsam immer sicherer voran.

Das niederländische Zweiradglück aber wächst nicht in den Himmel, es gibt auch kritische Stimmen. Die vielen Fahrräder seien gar nicht das Problem, sagt eine nette einheimische Rezeptionistin, mit jeder Menge Bike-Erfahrung ausgestattet. Sogar ältere Touristen könnten gut damit umgehen. Aber unter den Bikern seien die unglaublich schnell fahrenden Mopeds und Roller auf den Radwegen das Problem, sie seien geradezu rücksichtslos. Auch wenn dies ein rein niederländisch-internes Problem zu sein scheint, berge der Grundsatz „Wer bremst, hat verloren“ schon seine Gefahren. „Es ist einfach zu viel erlaubt, es geht zu weit“, sagt die auskunftsfreudige Dame an der Rezeption warnend. Viele Biker seien von den motorisierten Zweirädern einfach nur genervt.

Mit Schildern wird versucht,
das Chaos zu regeln.

Das ändert aber nichts daran, dass sie alle einfach zum Amsterdamer Stadtbild gehören – ohne Räder könnte man sich das lustige Treiben an den Grachten und auf den Plätzen gar nicht vorstellen. Und das eigene Radeln macht sogar Spaß – wenn man die Regeln verstanden hat und sich in der Masse treiben lässt. Sobald man die Region um Amsterdam Centraal dann verlässt, wird es auch besser und geordneter. Eigene Radstreifen, eigene Radampeln und ein System, in dem die Autos sichtbar zurückstecken müssen, machen die Stadt zur Bike-Hochburg (siehe Text nächste Seite).

Auch die Touristen gewinnen mit der Zeit die Radfahrer lieb. „Ich habe nach einigen Tagen hier sogar Spaß, diesem Treiben zuzuschauen“, sagt Monika Hartwig (77), die von der Stadt mehr als angetan ist. Und dazu gehören nun einmal Radler, Biker und Rollerfahrer. Nur sollte man sie eben nicht unterschätzen.

Eine gute Übersicht zu Informationen für einen Aufenthalt in Amsterdam ONLINE.

Mehr Fahrräder als Einwohner

In Amsterdam ist das Fahrrad ohne Frage das Verkehrsmittel Nummer eins. Quer durch die Stadt – oft direkt neben den Grachten – zieht sich ein Radnetz von rund 600 Kilometern Länge. Aktuellen Schätzungen zufolge gibt es in Amsterdam zur Zeit rund 890.000 Räder (also mehr als Einwohner/830.000).

An den Knotenpunkten treffen Fußgänger auf die Zweiräder. Hier ist höchste Vorsicht geboten.

Hier ein paar weitere Fakten:

• Rund 60 Prozent der Einwohner fahren täglich Rad
• Rund 40 Prozent der gesamten Bewegung im Jahr findet in Amsterdam per Rad statt
• In der Stadt gibt es rund 230 000 Abstellmöglichkeiten in Radständern
• Im Raum am Bahnhof Amsterdam Centraal sind es über 10 000 Abstellplätze (meist überwacht)
• Es gibt rund 150 Fahrradshops
• Es gibt rund 30 Rad-Verleihgeschäfte
• Es gibt rund 25 eigens für Räder zur Verfügung gestellte Parkhäuser

 

Klaus Karkmann © SeMa

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