Luft anhalten und staunen
Das gibt’s ja gar nicht! Ich zweifle, blicke auf die Kekse in der Hand von Frau W. Diese Winzlinge haben sie selbst geformt! „Ja, aus Knete! ... die anderen Kekse dort etwa auch? „Ja, alle!“
Über meine Mitbewohnerin in der Residenz Kursana/Niendorf, hatte ich schon gehört, so ganz nebenbei, beim Salatbuffet. Einen Schrank von fast 180 cm hätte Frau W. umfunktioniert zum Puppenhaus, auf vier Etagen habe sich ihre Fantasie einfach so hineingesetzt. Als ich Frau W. spontan anrufe, meint sie nur: „Ja, ich zeige Ihnen alles gern.“
Da bin ich auch schon, mit meinem Smartphone plus der 1000-Watt-Leuchte.Ich erkläre, was ich vorhabe. Frau W.s Ehemann macht sehr geduldig mit, folgt meinen Anweisungen: Die Leuchte bitte höher halten, mehr nach links, nein, bitte mehr von unten das Licht, o. k. – ja, so ist es gut, der Schatten weg!
Frau W. erzählt: Die kleine Vespa ist aus den 60er Jahren, vom Flohmarkt, nach dem Motto: Komm ein bisschen mit nach Italien!Schick umgestylt, ist die Fahrerin zur Abfahrt bereit. Als gelernte Schneiderin näht Frau W. perfekt, egal, ob Kleidung, Gardinen oder was auch immer, alles wird in Miniformat für das Puppenhaus passend gemacht.
Feurige Bastelleidenschaft treibt Frau W. sowieso an, doch bei der Bastelei mit Knete geben ihre Finger Vollgas bis in die Fingerkuppen. Ihre Winzigkeiten wären doch mal reif für einen „Oscar“! Jetzt, beim Fotoshooting, hilft sogar ihre Innenhand, das Gebäck aus Knete fein darzustellen.
Im Puppenhaus stehen im türkisen Regal Romane und Anekdoten im Format von 3,5 cm. Titel und Buchrücken machen mich sprachlos. Frau W. zeigt mir dazuihr 8 x 8 cm großes Kästchen, in dem zehn Büchlein lagern, ich entdecke den Titel „Kekskunst“! Auch Fotoalben haben das Format, von 3,5 cm, und zum Schutz der Fotos sind extra dünne Seiten zu sehen. Wie im echten Fotoalbum bei mir zu Hause!
Frau W. erklärt:
... „einige Arbeiten fallen mir natürlich leicht, es hilft sicher auch, dass ich voller Ideen stecke. Was andere Menschen einfach so wegwerfen, damit weiß ich gleich etwas anzufangen. Auch der Roller des kleinen Jungen, der schon mal in der Puppenhausküche darauf übt, besteht aus Resten eines Überraschungseis. Die Rollerräder sind Knöpfe. Medikamentenschachteln habe ich zum Küchenschrank umgewandelt. Am 14 x 13 cm großen Herd, dürfen Topflappen nicht fehlen – die sind echt! – die häkelte ich noch dazu! Ich probierte, den Prachtstücken in der Küche, dem Schrank und dem Herd, ihr originalgetreues Aussehen wiederzugeben; auch das Brot auf dem Holzbrett soll dabei nicht fehlen.
Fast alle Tische und Stühle sind aus Pappe, die Beine finden Halt aus gefundenen Stöcken abgebrannter Silvesterraketen. Tja, und die Schuhkartons, die mach ich im Nu aus steifem Papier, werkle jedem sein unterschiedliches Aussehen noch an.“
Mein Staunen über dieses Simsalabim voller Kreativität hält an. Wenige Tage später beraten wir die inzwischen ausgedruckten Fotos und meinen, jeder Bewohner sollte die Möglichkeit bekommen, diese einmalige Minikunst anzuschauen.
Gedacht – schon gemacht! Drei große Bildtafeln entstanden. Sie hängen – sind viel beachtet! Und Ihnen, verehrte SeMa-Leser, wird es vielleicht ebenso ergehen beim Anblick der Fotos. Sie werden staunen ... oder etwa nicht?!
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