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Kein leichter Job im Alter

Ende letzten Jahres machte ein Molkerei-Besitzer in Italien Furore: Er kündigte an, nur noch 60-Jährige einzustellen; Jüngere hätten ihn enttäuscht, 60-Jährige seien die neuen 40-Jährigen. Zeitgleich versprach diesseits der Alpen die Antidiskriminierungsstelle des Bundes  Rechtshilfe auf einem Plakat mit dem Bild eines älteren Herrn in besten Jahren – mit grauen Haaren: „Wenn die Personalchefin sagt: Für den Job sind Sie zu alt.“ Ganz aktuell prangert die Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung Ferda Ataman, die Altersdiskriminierung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt an. Diese schade nicht nur den Frauen, sondern der Wirtschaft allgemein. Allerdings führen Kritiker an: Diskriminierung ist nicht unbedingt eine Frage von Geschlecht- und Alter. Ob Plakate oder Kampagnen helfen? In Hamburg meldete die Agentur für Arbeit, dass die Anzahl der Arbeitslosen im Alter über 50 Jahre steigt, obwohl allerorts von Fachkräftemangel die Rede ist und dem Arbeitsmarkt ein mächtiger Aderlass bevorsteht. Allein in Hamburg werden von den über eine Million Voll- und Teilzeitkräften in den nächsten fünf bis sieben Jahren fast 100.000 in Rente gehen. In den folgenden fünf Jahren folgen ihnen 224.000 Männer und Frauen. Auf der einen Seite müssen Ältere – ungewohnte – Hürden überwinden, wenn sie im Lebensherbst nicht die Hände ruhen und die Gehirnzellen mit Kreuzworträtseln beschäftigen wollen. Auf der anderen Seite sind „Silver Talents“, also Ältere mit Know-how, im Job gefragt.

Fachkräfte
Auf die Frage nach Altersdiskriminierung antwortet daher Peter Feder, Abteilung Politische Kommunikation, Stabsbereich Strategische Kommunikation der Handelskammer Hamburg: „Ich würde es andersherum formulieren. Angesichts des weiter zunehmenden Fachkräftemangels geht es auch darum, erfahrene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Unternehmen zu halten. Ein Aspekt dabei: Wie können Unternehmen und Bildungseinrichtungen  Menschen beim sogenannten lebenslangen Lernen unterstützen, damit sie in der sich verändernden Arbeitswelt mitgenommen werden? Der Fachkräftemangel ist für die Hamburger Wirtschaft ein Dauerbrenner und eine der größten Zukunftsrisiken.“

Weitermacher

Damit steckt das Bild von den Älteren, die gegenüber jüngeren Bewerbern den Kürzeren ziehen oder die im Job lächerlich gemacht werden, weil sie die neueste Software nicht auswendig können, in einem Dilemma. Auf der einen Seite haben es Ältere an der Werkbank, am Lehrerpult oder im Büro der Werbeagentur schwerer als Jüngere. Auf der anderen Seite sind Teams, die Jung und Alt vereinen, erfolgreicher: Bisher lag der Fokus auf Gender Diversity, also dem Mix der Geschlechter. Studien zeigen, dass altersdiverse Teams die Leistung und die Produktivität einer Firma erhöhen, weil viele Generationen eben auch viele Erfahrungen einbringen. Motto: Neue Besen kehren gut, aber ältere kennen auch die Ecken. Die Senioren können im Job noch mit weiteren Qualitäten punkten: Sie „ticken“ – vermeintlich – anders als die jüngeren Generationen Y und Z, die – so das Vorurteil der Älteren – zuweilen mehr an „Work Life Balance“ mit weniger Arbeitstagen denken. Fitness first? Ältere sind dagegen vielleicht fitter in Sachen Arbeitsmoral und Loyalität. Sie bringen Fachwissen mit und brauchen keine lange Einarbeitungszeit; die Zeit der Familienplanung ist vorbei. Aber wie ist all das durchzusetzen, wenn es nach der Bewerbung erst gar nicht zum Gespräch kommt? Es gibt rechtliche Wege. Die Anti-Diskriminierungsstelle gibt Tipps.

Neue Besen

Doch wie viele „Besen“ kehren wirklich? Die Bundestatistik zählt, dass etwa 13 Prozent der Rentner erwerbstätig sind. Die einen arbeiten bruchlos in ihrem ehemaligen Job weiter, die anderen entscheiden sich später, weil sie die Beine eben doch nicht stillhalten können und wollen – und kehren zurück. Dabei haben viele alles andere als einen Plan. Eine Studie zeigt, dass nur ein Fünftel den Ruhestand aktiv plant. Der Großteil geht unvorbereitet in den Ruhestand. Diese Unwissenheit vor dem Alter kann sich ändern: So fand die Agentur für Personalmarketing Königsteiner Gruppe heraus, dass 43 Prozent der aktuellen Generation 50 plus sich vorstellen kann, im Rentenalter in Teilzeit weiterzuarbeiten. Für 17 Prozent  käme sogar eine Vollzeitstelle in Betracht. Der Wunsch zum Job im Rentenalter ist allerdings nicht bei jedem gleich. Bei den Nichtakademikern liegt der Anteil derjenigen, die in Vollzeit weiterarbeiten möchten, bei nur zwölf Prozent. Dafür denken sie lieber an Minijobs. Die Personalexperten wissen um den Hintergrund derartiger Ideen. Es geht um die Rente. Bleibt die „Rente mit 63“ (die ja sowieso nur für wenige in Betracht kommt)? Oder rutscht die Rentengrenze an die 70 Lebensjahre heran? Und reicht die Rente? Auch für diejenigen, die jetzt als Babyboomer-Genration mit vielen anderen in den Ruhestand gehen?

„Die Generation Ü-50 wird nach und nach vom Arbeitsmarkt vergessen – dem Fachkräftemangel zum Trotz“, sagt Klaus Wicher, Hamburg SoVD-Chef. „Die Zahlen der Agentur für Arbeit zeigen einen Anstieg der Arbeitslosen im Alter über 50 – und verraten: Mit der Gleichstellung von Jung und Alt ist es in Hamburg oft nicht weit her, zumindest auf dem Arbeitsmarkt.“ Vor diesem Hintergrund appelliert Wicher an Politik und Wirtschaft, den Klagen über zu wenige Fachkräfte Taten folgen zu lassen: „Viele Ältere sind gut ausgebildet oder müssen ihre Fachkompetenz aktualisieren. Ü-55 braucht eine Chance. Wer von Teilhabe redet und Gleichstellung meint, muss die Generationengerechtigkeit auch auf dem Arbeitsmarkt durchsetzen.“ Diese Forderung habe, so Wicher, volks- und betriebswirtschaftliche Vorteile: „Studien zeigen, dass altersdivers zusammengesetzte Belegschaften effektiver sind als die, die nur das Zauberwort ,jung‘ kennen. Das Weiterarbeiten muss jedoch freiwillig bleiben und darf nicht zur Regel werden. Es gilt: Die Rente muss den Lebensstandard sichern.“

Jungspunde

Wenn Ältere bei der Bewerbung benachteiligt werden oder aus dem smarten Team der dynamischen Jungspunde rausgeekelt werden, hat das zwei Gesichter. Einerseits geht’s um Gefühle, da der Selbstwert betroffen ist. Andererseits geht’s um Geld, weil die Rente schmaler werden könnte. So schreibt die Wochenzeitung „Die Zeit“: „Der Chef nimmt einem altgedienten Mitarbeiter anspruchsvolle Aufgaben weg und übergibt sie an jüngere Kolleginnen. Oder: Alle anderen werden zu Fortbildungen geschickt – den Weiterbildungswunsch des ältesten Kollegen wimmelt die Chefin jedoch ab. Erfahrene Arbeitskräfte sind wesentlich teurer als junge, und es gibt Vorgesetzte, die ältere Bewerberinnen für nicht mehr leistungsfähig oder innovativ genug halten.“

Und wie wirkt sich Altersdiskriminierung in Hamburg aus? Das Team „Interne ganzheitliche Integrationsberatung (INGA)“ der Agentur für Arbeit Hamburg  stellt fest, dass Branchen wie Werbung, Medien, IT  „jung“ sind. Auch in manchen Abteilungen der Auto- oder Pharma-Branche haben weniger ältere Mitarbeitende ihren Platz. INGA hat ein offenes Ohr für die „Kunden“ der Agentur, die manches zu hören bekommen, was auf Altersdiskriminierung schließen lässt: „zu alt“, „nicht flexibel“, „wird ggf. häufig krank“, „nicht ausreichend und/oder zukunftssicher qualifiziert“, „einseitige Berufserfahrung“, „fehlende Anpassungsfähigkeit“, „zu teuer – im Vergleich zu jüngeren Bewerbern mit wenig oder gar keiner Berufserfahrung“. In der Medienbranche hören Betroffene häufig: nicht (mehr) kreativ genug bzw. nicht mehr am „Puls der Zeit“. Dabei trifft es, so INGA, alle Geschlechter gleichermaßen. Die Folgen: Arbeitslosigkeit, Frustration, Perspektivlosigkeit, Enttäuschung und daraus resultierende Resignation, Existenzängste. Die Berater von INGA wollen dagegensteuern: durch „Qualifizierung, Unterstützung im Bewerbungsprozess, Hilfen beim Erkennen der eigenen Potenziale und Stärkung der Selbstvermarktung.“

Arbeitgeber

Aber die Agentur hat beide „Markt-Seiten“ im Auge, auch die Arbeitgeber: Beim Arbeitgeber-Service Hamburg (AG-S) der Agentur und des Jobcenters (G-S) steht daher auf der Agenda: „Über die Beratungsteams wird dieses Thema bei den Unternehmen platziert und auf die Chancen der Einstellung von Menschen in dieser Altersgruppe hingewiesen. Auch bestehen hier Möglichkeiten der Förderung (Beschäftigtenförderung), um die Mitarbeitenden möglichst lange im Betrieb halten zu können. Die Themen Personalbindung, aber auch strategische Personalplanung, um etwa in sogenannten  Qualifizierungsketten Mitarbeiter nach ihren Möglichkeiten einsetzen zu können, sind zentrale Bestandteile der Arbeitsmarktberatung. Hierbei wird auch zu Themen der „Age Diversity“ beraten, um das Know-how und die Erfahrung der älteren Mitarbeitenden mit den Fähigkeiten jüngerer Mitarbeitender zu kombinieren.“

Elder talents

Doch nicht nur öffentliche Stellen wie die Agentur für Arbeit kümmern sich um die Vermittlung der „Silver Worker“ und den Abbau von Vorurteilen gegenüber den „Elder Talents“ gegenüber, also den Älteren mit was drauf. Auch private Personal-Agenturen kümmern sich um diese wachsende Klientel, so Carlotta Köster-Brons, Leiterin des Hauptstadtbüros und National CSR-Coordinator von Randstad Deutschland: „In einigen Unternehmen gibt es bestimmt noch Vorurteile gegenüber älteren Neueinsteigern. Diese Vorurteile sind unbegründet und kurzsichtig, denn sie führen immer öfter dazu, dass der Wettbewerb eine neue qualifizierte Arbeitskraft für sich gewinnen kann. Viele Unternehmen wissen aber auch, wie erfolgreich gemischte Teams im täglichen Job sind und wie wichtig es ist, dass unterschiedliche Stärken kombiniert werden. Das Bewusstsein, dass Unternehmen ohne ältere Beschäftigte nicht wettbewerbsfähig sind, nimmt glücklicherweise weiterhin zu.“

Vorurteile

Brons identifiziert jedoch keine bestimmten Branchen als typisch jung. Es werden „natürlich Branchen als typisch jung angesehen, diese Einschätzung beruht aber häufig auf Vorurteilen. Denn letztlich kommt es auf die jeweilige Unternehmenskultur und die Mitarbeiter an. Jede Geschäftsführung hat es in der Hand, Werte vorzuleben und somit durch eine vielfältige Unternehmenskultur auch resistenter und erfolgreicher zu sein.“ Auch die Personalmanagerin hat die politische und wirtschaftliche Bedingtheit von Arbeit und viel mehr Rente im Auge. Sie weiß um die sinkende Geburtenrate, höhere Lebenserwartung, längere Rentenbezüge, den Anstieg des bundesdeutschen Durchschnittsalters, die steigende Zahl der Rentenbezieher: „Die durchschnittliche Dauer des Rentenbezugs ist seit 1972 um fast zehn Jahre angestiegen. Dass diese Entwicklung Auswirkungen auf unser Rentensystem hat, ist offensichtlich. Es ist auch eine Frage der Generationengerechtigkeit, dieses Thema anzugehen. Eine längere Arbeitszeit wird daher wohl eine logische Notwendigkeit werden. Aber es sollte individuell betrachtet werden, für wen das möglich und sinnvoll ist. Wichtig ist aber vor allem auch, die Rahmenbedingungen entsprechend zu gestalten, sodass das Arbeiten im Alter nach wie vor attraktiv ist. Ein wichtiges Stichwort ist hier zudem Weiterbildung.“

Politischer Rahmen

Der Blick von Frankfurt nach Hamburg zeichnet dann auch ein etwas anderes Bild von der Altersdiskriminierung: „Ältere, qualifizierte Mitarbeiter sind sehr wohl auf dem Arbeitsmarkt gefragt.“ Ihre Kollegen aus Hamburg kommen zu dem Schluss: „Wir erkennen weniger eine Altersdiskriminierung als vielmehr unpassende politische und gesetzliche Rahmenbedingungen als Grund dafür, dass viele ältere Menschen nicht (mehr) arbeiten.“     

 

Dr. H. Riedel © SeMa

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