Wenig ist besser als gar nicht
Mit Mundgesundheit für Menschen mit Demenz Lebensqualität erhalten
Ich stelle mir das so vor: Ich habe irgendwann keine Zähne mehr, und muss mich dann auch nicht mehr ums Zähneputzen oder dergleichen kümmern. Egal, in welchem geistigen Zustand ich mich dann befinde. Leider ist das viel zu ungenau und leider auch nicht zutreffend, erklärt mir Janina Herbst, Leiterin der Hamburger Angehörigenschule und Altenpflegerin. Im September fand das 17. Hamburger Demenzgespräch, federführend von der Diakonie in Hamburg organisiert und durchgeführt, statt. Der Schwerpunkt lag in diesem Jahr auf dem Thema Mundgesundheit. Der Titel des Vortrags von Janina Herbst lautete: „Mit Mundgesundheit Lebensqualität erhalten für Menschen mit Demenz“. Wo ist beim Thema Mundgesundheit das Problem? – wollte ich wissen und habe bei der Expertin noch einmal nachgefragt.
Zunächst ist der Mund ein sehr intimer Ort, erfahre ich beim Interview. „Wer lässt sich schon gern von fremden Menschen, zu denen ich noch keine Bindung aufgebaut habe, im Mund herumfummeln?“, so Herbst. Das leuchtet ein.
Wenn das rituelle Zähneputzen, das von klein auf erlernt und zu bestimmten Zeiten nach bestimmten Regeln zu erfolgen hat, nicht mehr so richtig klappt, weil der Mensch an Demenz erkrankt ist und den Sinn nicht mehr erkennt, kann es nicht einfach überspielt oder ausgelassen werden, sagt die Fachfrau. „Zahnpflege und Mundhygiene spielen für Menschen im Alter eine zentrale Rolle für den Erhalt der Gesundheit und zur Vorbeugung von Erkrankungen!“
Mundpflege gehört zur Pflege, aber nicht zu den Grundbedürfnissen des Menschen
Krankheiten im Mund können sich auf den ganzen Körper ausdehnen. Deshalb spielen die Zahnpflege und Mundhygiene für Menschen im Alter eine zentrale Rolle. Da die Zahnpflege bei Menschen mit Demenz aber nicht zu den Grundbedürfnissen wie essen und trinken, sich beschäftigen und schlafen oder Sexualität und psychische Bindung gehört, spielt sie hier eine untergeordnete Rolle. Hilfreich sei vor allem, das Thema zu besprechen. Und keinen starren Regeln zu folgen. Wenn es den Pflegenden oder den Angehörigen gelingt – egal, zu welcher Uhrzeit oder mit welchen Hilfsmitteln – die Zähne, die Implantate, das Gebiss oder einfach die Mundhöhle zu reinigen, sei das ein großer Vorteil für die zu Pflegenden.
„Wir müssen lernen, uns den Bedürfnissen der Menschen anzupassen.“ (Janina Herbst)
Insgesamt hat sich die Mundgesundheit der Menschen 60+ allgemein in der Gesellschaft verbessert, die Zähne bleiben länger erhalten, Karies hat sich reduziert. Auch die Behandlung hat sich zum Beispiel durch Implantate verbessert. Es gebe weniger Prothesen, so die Expertin. Die Pflege erschwere sich aber dahingehend, dass Gebisse oder Prothesen nicht einfach mehr außerhalb des Mundes gereinigt werden können. „Wenn ich Implantate oder Zähne reinigen soll, muss ich mit der Bürste in den Mund …“, merkt Herbst an. Und das sei eben manchmal schwierig. „Ich würde mich erst mal von dem Begriff ‚man muss‘ verabschieden!“, so Herbst. „Im Umgang mit demenziell Erkrankten muss man sich von alten Standards verabschieden. Wenn etwas nicht oder nicht im vollen Umfang funktioniert, dann muss man sich davon verabschieden.“ Wenn die Zahn- oder Mundpflege nach dem Frühstück nicht möglich ist, dann vielleicht eine halbe Stunde später? Wenn der zu pflegende Mensch gerade normale Zahnpasta als „zu scharf“ empfindet, kann auch Kinderzahncreme, die in der Regel milder und süßer schmeckt, verwendet werden. „Wenig ist besser als gar nicht“, betont die Leiterin. „Wir müssen lernen, uns den Bedürfnissen der Menschen anzupassen.“
Corinna Chateaubourg © SeMa
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