ZEIT IST GEHIRN –
BEIM SCHLAGANFALL SCHNELL HANDELN
Mit 270.000 Schlaganfällen jährlich ist und bleibt der Schlaganfall eine der größten Volkskrankheiten in Deutschland. Das SeMa sprach mit Dr. med. Gabriele Bender, Ärztliche Direktorin und Leitende Ärztin Neurologische Rehabilitation im RehaCentrum Hamburg GmbH.
Es gibt immer wieder Geschichten – auch von Prominenten wie Wolfgang Niedecken – in denen Menschen Glück im Unglück haben und einen Schlaganfall relativ unbeschadet überstehen, weil sie schnell medizinische Hilfe bekommen haben. Wie erkennt man einen Schlaganfall rechtzeitig? Gibt es Vorboten?
Dr. Bender: Ein Schlaganfall zeichnet sich dadurch aus, dass er oft ohne Vorboten kommt, also von einer Sekunde zur anderen - schlagartig, wie sein Name sagt. Es gibt ganz unterschiedliche Symptome, je nachdem in welcher Gehirnhälfte und in welchem Areal die Schädigung auftritt. Halbseitenlähmung, Sprachstörungen, Sehstörungen, Schwindel, Übelkeit, Erbrechen und Gleichgewichtsstörungen können auftreten.
Leider sind die Beschwerden nicht immer so deutlich, dass die Patienten schnell reagieren und einen Rettungswagen holen bzw. holen lassen. Oft sind es auch Angehörige, die z.B. am Frühstückstisch merken, dass bei ihrem Gegenüber der Mundwinkel hängt oder mit einer Hand nicht mehr richtig gegriffen wird.
Sobald man einen leisen Verdacht auf einen Schlaganfall hat, ist eine schnelle Reaktion, also den Rettungsdienst anrufen und die Nummer 112 wählen, richtig und wichtig, um schnell professionelle Hilfe zu bekommen.
Was passiert bei einem Schlaganfall?
Dr. Bender: Es gibt unterschiedliche Ursachen. Schlaganfall ist ein Überbegriff für verschiedene Gefäßstörungen im Gehirn, die aus einer plötzlichen Minderversorgung eines Hirnbereiches entstehen.
Bei 80 Prozent der Patienten handelt es sich um einen sogenannten Infarkt. Dabei ist eine Arterie plötzlich verstopft und das Gehirngewebe dahinter geht zugrunde und es entsteht eine Narbe. Bei 20 Prozent der Schlaganfälle handelt es sich hingegen um eine Gehirnblutung. In diesem Fall reißt ein Gefäß ein, beispielsweise durch extrem hohen Blutdruck. Dann blutet es in das Gewebe hinein. Die Ausfälle sind ähnlich wie bei einem Hirninfarkt.
Wenn es dann passiert ist, kommt es ja zu den verschiedensten Ausprägungen. Wie wird der Schlaganfall im akuten Fall behandelt?
Dr. Bender: Jeder Schlaganfall ist ein Notfall, deshalb gilt: „Zeit ist Gehirn“. Je schneller ein Patient im Krankenhaus ist und gleich adäquat untersucht wird, umso eher kann man ihm helfen. Zuerst werden die Symptome untersucht und bei Verdacht auf einen Schlaganfall bildgebende Verfahren eingeleitet, also eine Computertomografie oder eine Kernspintomografie. Dadurch kann man erkennen, ob es eine Durchblutungsstörung oder eine Gehirnblutung ist, die unterschiedliche Behandlungen nach sich ziehen. Wenn beispielsweise eine Durchblutungsstörung vorliegt - verursacht durch ein Blutgerinnsel - hat man medizinisch die Chance, in den ersten viereinhalb Stunden nach dem Schlaganfall mit einem stark blutverdünnenden Medikament das Gerinnsel aufzulösen (die sogenannte „Lyse“). Damit hat man oft schnellen Erfolg, weil sich die Ader wieder öffnen und das Gehirngewebe sich wieder schnell erholen kann.
Durch einen Schlaganfall sind verschiedene Bereiche des Körpers betroffen - mal ist es die Sprache, mal die Motorik oder auch das Sehvermögen. Welche Reha-Möglichkeiten gibt es für die Betroffenen?
Dr. Bender: Wichtig ist, dass die Rehabilitation gleich in den ersten Tagen nach dem Schlaganfall einsetzt. Durch den Schlaganfall muss das Gehirn neu lernen, die geschädigten Funktionen zu kompensieren. Wenn beispielsweise die linke Gehirnhälfte geschädigt ist und eine Narbe entstanden ist, muss die rechte Funktionen übernehmen und neue Strukturen
aufbauen. Das nennt man „Neuroplastizität“. Um diesen Prozess in Gang zu setzen, gibt es schon im Krankenhaus erste Rehamaßnahmen: Krankengymnastik, Sprachtherapie, Ergotherapie. Danach sollten gezielte Therapien in einer spezialisierten Rehabilitationseinrichtung fortgeführt werden, um das Gehirn dazu zu bringen, alles wieder zu erlernen.
Da hat sich der Blick vollkommen geändert. Früher haben Ärzte die Patienten für einige Wochen ruhig gestellt, heute geht es gleich in die Reha.
Dr. Bender: In der Tat hat man die Patienten vor 20 Jahren für drei Wochen ins Bett gelegt und ganz langsam begonnen mit der Therapie. Das hat sich komplett geändert. Es gibt ja seit mehr als zehn Jahren auch spezialisierte Einheiten im Krankenhaus, die sogenannten „Stroke Units“. Dort werden die Patienten engmaschig 2-3 Tage intensivmedizinisch überwacht, um alle physiologischen Ausfälle zu beobachten und entsprechend zu behandeln.
Gibt es Möglichkeiten, einem Schlaganfall vorzubeugen?
Dr. Bender: Gibt es schon, denn fast jeder Schlaganfall ist wie der Herzinfarkt eine Lebensstilerkrankung. Obwohl die Gefäße dem natürlichen Alterungsprozess unterliegen, kann man die Arteriosklerose beeinflussen. Sehr wichtig ist es vor allem, den Blutdruck gut einzustellen, denn ab dem fünfzigsten Lebensjahr hat jeder zweite Mensch hohen Blutdruck. Gesunde Ernährung, regelmäßige Bewegung und Nichtrauchen sind auch entscheidend. Dazu kommt nicht zu viel Stress und ein moderater Alkoholkonsum.
Gibt es Dinge, die man im alltäglichen Leben meiden muss nach einem Schlaganfall?
Dr. Bender: In den ersten sechs Monaten sollte man heiße Bäder, Sonnenbäder und Saunabesuche meiden. Auch das Autofahren wird etwa drei bis sechs Monate nicht empfohlen.
Bei Reisen sollten die Schlaganfallpatienten auf hohe Berge über 2.500 m verzichten und Flugreisen erst nach 3-6 Monaten durchführen. Ein halbes Jahr nach dem Schlaganfall ist nach Rücksprache mit dem Hausarzt wieder vieles möglich.
Information und Hilfe
Die Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe ist seit 1993 rund um das Thema Schlaganfall aktiv. Informationen und Ansprechpartner gibt es im Online-Portal
www.schlaganfall-hilfe.de sowie gedruckt und telefonisch im Service- und Beratungszentrum Tel.: 05241-97700
S. Rosbiegal © SeMa
Jetzt den Artikel auf den sozialen Kanälen teilen: