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Krimi-Serie (Teil 5)

Ein Schriftsteller verriet die „Weiße Rose“. Der Gestapo-Spitzel Maurice Sachs wurde am Ende von der SS ermordet.

Maurice Sachs, ein Mann mit vielen Gesichtern.
Zeichnung: Uwe Ruprecht © stahlpress Medienbüro

Vor dem früheren Stadthaus ist der Gehweg aufgerissen worden, und die Bruchstellen wurden mit rotem Gummigranulat gefüllt. Die so entstandene „Blutspur“ soll daran erinnern, dass sich in dem heute Stadthöfe genannten Gebäude mit Hotel und Läden einst das Hauptquartier der Geheimen Staatspolizei befand.

„Diese Episode hat mein ganzes Leben überschattet“, sagte Albert Suhr über seine Begegnung mit der wohl schillerndsten Gestalt in der Geschichte des Nationalsozialismus in Hamburg. Mit ihr teilte der Medizinstudent sechs Wochen eine Zelle im Stadthaus. Im September 1943 waren über 30 Angehörige der als „Weiße Rose Hamburg“ bekannten Widerstandsgruppe gegen das NS-Regime verhaftet worden. Zehn von ihnen wurden ermordet oder starben in der Haft und an deren Folgen. Gegen den 24-jährigen Suhr verhängte der Volksgerichtshof in Hamburg am 19. April 1945 das Todesurteil – in Abwesenheit, denn der Angeklagte war eine Woche zuvor in Stendal durch US-Truppen befreit worden.

Weil der verhängnisvolle Bekannte „nach seinen Verhören meist in euphorischer Stimmung zu mir in die Zelle zurück-kam“, schloss Suhr, „dass er von der Gestapo für seine Dienste mit einem Stimulans belohnt bzw. durch Entzug desselben zu Aussagen erpresst worden ist“. In der Tat war sein Mithäftling ein Spitzel. Der Mann war am 16. September 1906 in Paris unter dem Namen seines Vaters, des jüdischen Juweliers Ettinghausen, geboren worden. Nach der Konversion zum Katholizismus benannte er sich nach seiner Mutter. Es war nur eine von vielen Kehrtwendungen im Leben von Maurice Sachs.

Zeichnung: Uwe Ruprecht © stahlpress Medienbüro

Mit 17 wurde er Sekretär des Dichters und Filmemachers Jean Cocteau. Später versah er dieselben Aufgaben bei dem Schriftsteller André Gide. Anfang der 1930er Jahre hielt er sich in den USA auf und war als Radiomoderator tätig. Weil er sich eine politische Karriere versprach, konvertierte Sachs zum Protestantismus und heiratete die Tochter eines Priesters. „Es gibt Menschen, die sammeln Geld, andere Opern von Wagner oder von Strauss“, sagte Sachs zu Suhr. „Wieder andere sammeln Briefmarken. Und ich sammle Menschen.“

Eine andere Selbstbeschreibung von Sachs klingt wie ein Zitat aus Gides Roman „Die Verliese des Vatikan“, worin die Hauptfigur einen „Acte gratuit“ begeht, eine willkürliche und zerstörerische Handlung ohne Sinn, indem er eine Zufallsbekanntschaft aus einem fahrenden Zug stößt: „Es ist meine Leidenschaft, alle Dinge ohne Leidenschaft zu tun.“

Sachs war ein Hasardeur, wie er im Buche steht. Gegen seine Alkohol- und Drogensucht half keine Entziehungskur. Und so viel Geld er auch während des Zweiten Weltkrieges durch Schwarzmarktgeschäfte verdiente und dadurch, dass er Menschen aus dem besetzten in den unbesetzten Teil Frankreichs lot-ste, vermehrten sich seine Schulden. Um seinen Gläubigern zu entkommen, verdingte er sich als „Fremdarbeiter“ in Deutschland. Für einen als Homosexuellen und im Nazi-Jargon „Halbjuden“ zweifach von der NS-Ideologie Verfemten war das ein selbstmörderischer Schritt.

Zeichnung: Uwe Ruprecht © stahlpress Medienbüro

Im November 1942 kam Sachs nach Hamburg und arbeitete zunächst im Hafen. Wahrscheinlich war es seine Verbindung zur Gestapo, die ihm im Sommer 1943 ermöglichte, von einem Lager in Finkenwerder in eine Pension in der Alten Rabenstraße in Pöseldorf umzuziehen. In einem als Versammlungsraum hergerichteten Keller in der Straße Hohe Bleichen, unweit der Terror-Zentrale, spionierte Sachs seine in Hamburg lebenden Landsleute aus. Ein Bekannter aus Paris, der Fotograf Herbert List, führte ihn in den Kreis von Künstlern und Intellektuellen ein, der die „Weiße Rose“ bildete.

Auch nach seiner Verlegung vom Stadthaus ins Gefängnis Fuhlsbüttel war Sachs seinen Wärtern zu Diensten. Doch der Verrat machte sich nicht bezahlt. Als die Briten gen Hamburg vorrückten, wurde am 12. April 1945 ein „Todesmarsch“ von 5000 Gefangenen nach Kiel-Hassee in Marsch gesetzt. Wer nicht weiter konnte, wurde erschossen. Bei Wittorferfeld, sechs Kilometer vor Neumün-ster, wo sich heute ein Rastplatz an der Bundesstraße 4 befindet, starb Maurice Sachs am 14. April durch die Kugeln eines belgischen SS-Mannes.

Vermutlich wurde er auf einem Friedhof in Neumünster begraben. „Seine Gebeine werden seine heimlichen Sünden wohl bezahlen, und sie werden sich mit ihm in die Erde legen.“ Der Satz aus dem Buch Hiob steht als Motto über der 1946 erschienen Autobiografie des Verräters mit dem Titel „Der Sabbat“.     

 

Volker Stahl © SeMa

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