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Krimi-Serie (Teil 4)

Ermittlungen in verschlossenen Kreisen. Die Polizei scheiterte 1921 bei ihren Nachforschungen in „Chinatown“.

Chinesische Heizer in Hamburg um 1910.

Foto © St. Pauli Archiv

Ein Knast-Kassiber mit chinesischen Schriftzeichen des Hauptverdächtigen ist eines der vielen zweifelhaften Indizien eines ungeklärten Falls: „Ich kann nicht alles sagen und habe früher einen Eid geleistet. Man kann sich nur schwer darüber äußern.“ Ungelenke Bleistiftkritzeleien in lokalem Dialekt, schwer zu übersetzen. „Mitglieder der San-Ho-Hui sind die Mörder“, schrieb der 26 Jahre alte Ah Yuk Loh. Eine Geheimgesellschaft, wie der Übersetzer vermutete?

Ermittlungen in verschlossenen Kreisen. Etliche Zeugenaussagen waren wertlos, weil ein Dolmetscher bestochen wurde. Die deutschen Zeugen waren nicht zuverlässiger, verschwiegen ihren Teil oder erfanden etwas. „Man kann sich nur schwer darüber äußern“: So erging es den Ermittlern, Journalisten und Historikern, für die der Ermordete mal Chen You, 39 Jahre, mal Chin-Yau, 42, heißt.

Am Morgen des 13. März 1921 wurde Chen You im Keller seiner Wäscherei in der Bernhard-Nocht-Straße gefunden. Am Tatort sah die Polizei „mehrere Schüsse in Oberkörper und Hieb- oder Stichwunden auf dem Schädeldach“. Der Gerichtsmediziner korrigierte: keine Schüsse, sondern Einstiche mit Stockdegen oder Stilett. Das meiste Blut auf den Dielen neben dem Kopf stammte von Hammerschlägen.

Chinesen in der Schmuckstraße um 1930.

Foto St. Pauli-Archiv

Rund um die Schmuckstraße war Chinatown. Wie der Tote betrieben ansässige Chinesen buchstäblich unterhalb ihrer ehrenwerten Geschäfte Opiumhöhlen und Spielhöllen für ihre seefahrenden Landsleute.

Ein „Schlepper“ lotste ihn „im Zickzack durch mehrere Querstraßen“, beschrieb der Berliner Privatdetektiv Ernst Engelbrecht den Besuch einer Opiumhöhle auf St. Pauli. „An der Tür des versteckt liegenden Chinesenkellers wurde vorsichtig ‚gekaspert‘, das heißt, durch bestimmte Klopf- oder Kratzsignale unser Kommen gemeldet. (...) Dann nahm mich ein mit dunkelroten Teppichen ausgeschlagenes Zimmer auf. Rotes, abgedämpftes Licht ließ mich bald mehrere Ruhebetten erkennen, auf denen sich schon einige Gäste in schweren Träumen unruhig umherwälzten.“

In der Dampfschifffahrt arbeiteten Chinesen unter Deck, vor der Höllenhitze der Kessel. Gingen sie in Hamburg an Land, tauchten sie gleich wieder unter: in die Untergeschosse von Wäschereien, Gemüsehandlungen oder Garküchen. Der ermordete Chen You nutzte seinen Keller für verbotene Glücksspiele, das eigene Opiumrauchen und vielleicht Waffenhandel.
Zuletzt wurde das Opfer mit Landsleuten in einem Café gesehen. Nachts sollten aber auch drei Männer, die keine Chinesen waren, an der Haustür gerüttelt haben. Ein Glied des rechten Mittelfingers der Leiche war fast abgetrennt. Hatte Chen You um sein Leben gekämpft – oder bedeutete es etwas anderes?

Zunächst nahm die Polizei einen Raubmord an. Eine Brieftasche mit angeblich 11.000 Mark, ein Goldstück, Ring und Uhr fehlten an der Leiche. Neben ihr war jedoch deutsches und englisches Papiergeld verstreut.

Die Leiche von Chen You im Keller seiner Wäscherei in der Bernhard-Nocht-Straße nach einem Foto in der
Akte im Hamburger
Staatsarchiv.

Zeichnung: Uwe Ruprecht ©
stahlpress Medienbüro

Ein am Tatort gefundener Schiffspass brachte die Polizei in den Hafen, auf die „Banka“. Bei Ah Yuk Loh wurden Geldscheine mit Flecken sichergestellt. Demnach hätte der Heizer Blutgeld von der Leiche mitgenommen, die unbefleckten Scheine jedoch verschmäht? Wahrscheinlich Blut, lautete die Analyse der Flecken, aber zu klein, um als menschlich bestimmt zu werden.
Zeugen beschrieben Ah Yuk Loh als „harmlos und bescheiden“, „immer sehr anständig und ehrlich“. Dass der 1,55 Meter kleine Verdächtige den kräftigen Wäschereibesitzer allein getötet hatte, glaubten die Ermittler nicht.

Ein Deutscher, der mit Ah Yuk Loh und dem Opfer in der Tatnacht gesehen wurde, wurde festgenommen. Durch eine Kommunikationspanne kam er frei und ward nie mehr gesehen.
„Tsch’en Siang wird an mir Rache nehmen“, schrieb Ah Yuk Loh in seinem abgefangenen Kassiber, „Landsleute, ihr müsst darauf achten.“ Wäschereibesitzer Chen Chiang, 33 Jahre alt, zahlte die Kaution für ihn.

Ermittlungen in verschlossenen Kreisen. Zu wenig für eine Anklage gegen irgendwen. Lange noch ging die Polizei Hinweisen nach. März 1922: Ein V-Mann beschuldigte einen gewissen Hong als Mittäter. November 1924: Kautionsbürge Chen Chiang sei Bigamist, seine Ehe mit Grete ungültig, angeblich habe ihn das Mordopfer erpresst.

Die letzte Spur im Fall Chen You kam von dessen Sohn. Er brachte im September 1926 vermeintliche Beweise für die Täterschaft von Ah Yuk Loh und Chen Chiang als Anstifter.
Motiv des Auftragsmords: Chen Chiang verwahrte einen Koffer des Ermordeten mit Einnahmen aus illegalem Glücksspiel, 3400 englische Pfund. Chen Chiang bediente sich aus dem Koffer und ließ Chen You beseitigen, als der den Diebstahl bemerkte. Oder auch nicht.     

 

Volker Stahl © SeMa

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