Krimi-Serie (Teil 2)
Sie nannten ihn „Püppchen“. Bei einem Streit um Geld mit ihrem Sohn verlor eine Mutter ihr Leben.
„Bald können wir heiraten“, sagte Walter.
„Wirklich?“ Magdalene seufzte. „Wie schön!“
Walter hatte vorgeschlagen, dass sie ihre Verlobung zu Weihnachten bekannt geben. Magdalene meinte, Weihnachten verlobe sich doch jeder und fand Silvester besser.
Sie war selig. Walter war so lieb, und er hatte eine gute Anstellung. Arbeit war nicht selbstverständlich in diesen Tagen, und ohne Arbeit war eine Heirat ausgeschlossen.
Magdalene war 19 und hieß auf Amtsdeutsch „Haustochter“: nicht volljährig, lebte noch bei den Eltern in Harburg-Wilhelmsburg.
Walter war 22 und hatte Magdalene verschwiegen, dass er schon vor einem Monat seinen Job im Hafenkontor von Darboven los geworden war.
An diesem Sonnabend, 6. Dezember 1924, sprachen Magdalene und Walter nicht nur von Liebe und Heirat. Ihr fiel auf, dass er seinen Sonntagsanzug trug. Wo denn sein blauer Anzug sei, fragte sie.
„Der ist mir gestern im Regen nass geworden“, antwortete er.
„Aber gestern hat es doch gar nicht geregnet“, erwiderte sie.
„Doch, doch“, sagte Walter, „du weißt nicht viel.“
Etwas sonderbar war Walter schon, sagte Magdalene später zur Kriminalpolizei: „Er saß zeitweise in Gedanken versunken da, sah mich mit so ernstem Gesicht an und war auch so schweigsam.“
Am Vortag hatte Walter seine Mutter, die 56-jährige Therese Luise Carlsen, getötet.
Der Vater war tot, die Schwester nach auswärts verheiratet. Die Mutter bezog nur eine karge Witwenrente, und Walter trug sein Geld in Kneipen. Seine Zechen überstiegen sein Einkommen als Handlungsgehilfe um ein Vielfaches.
Also entwendete Walter einem Arbeitskollegen die Brieftasche. Die Firma zeigte ihn nicht an, entließ ihn aber. Danach klaute er die Pokale seines Radsportvereins.
Er trieb sich nächtelang herum, war bei der Arbeit unzuverlässig und musste mehrmals die Stelle wechseln „Püppchen“ war ein Leichtfuß. So nannten seine Kneipenbekanntschaften ihn wegen seines mädchenhaften Aussehens.
Mit Magdalene schien es ihm ernst zu sein. Eine Woche vor dem Mord stellte er sie seiner Mutter vor. Aber er hegte auch Auswanderungspläne und löcherte damit einen Ex-Kollegen, der schon einmal in Afrika gewesen war.
Am 5. Dezember kam Walter tief in der Nacht angetrunken heim und fiel angezogen aufs Sofa. Am Morgen weckte ihn die Mutter.
„Verdammter Bengel!“
„Kannst du mir zehn Mark geben?“
Zehn Mark waren die Hälfte ihrer Rente. Sie waren zwei Wohnungsmieten im Rückstand und hatten deshalb seit drei Wochen ein Zimmer untervermietet.
„Sogar auf dem Karnapp, in Schminkes Bordell, bist du gewesen. Was soll deine Braut davon denken!“
„Du kannst doch deinen Schmuck zu Geld machen.“
„Vater hatte recht, du taugst nichts.“
Mit einem Besen sei sie auf ihn losgegangen, behauptete Walter später im Verhör.
Die Mutter hatte ein krankes Bein, ging am Stock und stützte sich an den Möbeln ab. Walter wollte vor ihr geflohen sein, aber sie hätte ihm den Weg abgeschnitten.
Plötzlich sah Walter den Zimmermannshammer seines Vaters vor sich am Boden liegen. Er hob ihn auf und schwang ihn gegen die Mutter.
„Willst du mir jetzt das Geld geben oder nicht?“
„Du Lump!“
Und er schlug zu.
Sie schaute ihn „vorwurfsvoll“ an und rief seinen Namen.
Immer noch ihre anklagenden Augen. Er schlug wieder zu. Und noch mal.
Sein blauer Anzug wurde blutig.
Zwei Stunden lang saß er wie versteinert in der Küche. Dann schleppte er die Mutter in ihre Kammer, wollte sie aufs Bett legen, schaffte es aber nicht.
Bei der Nachbarin holte er eine Blechkassette mit Silberbesteck und Schmuck, wo die Mutter sie vor seinem Zugriff sicher geglaubt hatte. Einige Stücke versetzte er beim Pfandleiher. Andere zeigte er seiner Braut.
Ob er die denn mitnehmen dürfe, fragte Magdalene.
„Die erbe ich ja mal.“
Die Nacht verbrachte Walter mit der toten Mutter in der Wohnung. Am nächsten Morgen übergoss er sie mit Petroleum, zündete das Bett an und verließ das Haus.
Als er mittags zurückkehrte, war da kein Brand, nur die Kammer voller Qualm. Er alarmierte selbst die Feuerwehr. Die Leiche war nur angekohlt, die Todesursache offensichtlich.
„Meine Mutter war herzensgut zu mir“, beschloss Walter sein Geständnis.
Das Todesurteil vom März 1925 wurde in „Haft bis zum Lebensende“ umgewandelt. 1934 brach bei Walter die Krankheit aus, an der schon sein Vater gestorben war, Tuberkulose. Der Muttermörder starb mit 42 Jahren im Januar 1945 in der Krankenabteilung des Zuchthauses Waldheim bei Dresden.
Magdalene hat wohl einen anderen geheiratet.
Volker Stahl © SeMa
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