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„Schiff aus Klinker ...“

Mit seinem Meisterwerk setzte Fritz Höger ein architektonisches Fanal

Das Chilehaus auf einer Postkarte aus den 1950er Jahren. Foto: Archiv stahlpress Medienbüro

Heute ist die Elbphilharmonie das Postkartenmotiv der Hansestadt, vor 100 Jahren war es das Chilehaus. Mit seiner spitzen, bugartigen Ecke und der kurvig gestalteten Fassade erinnert das von 1922 bis 1924 mit seiner 36 000 Quadratmeter großen Bruttogeschossfläche errichtete Bauwerk nicht nur an ein Schiff – es avancierte nach anfänglicher Skepsis zu einer viel bestaunten Ikone hanseatischer Baukunst. Mit dem Chilehaus, schreibt der Kunsthistoriker Ralf Lange in seinem Buch „Das Hamburger Kontorhaus“, habe die Hamburger Architektur nach dem Ersten Weltkrieg ein „Fanal“ gesetzt.

Das Chilehaus mit seinem wetterbeständigen, robusten, bei 1800 Grad gebrannten Bockhorner Klinkern passte perfekt in die Handels- und Hafenstadt Hamburg. Bauherr war der Kaufmann Henry Brarens Sloman, der mit Salpeterimport reich geworden war. Slomans Finanzkraft ist es zu verdanken, dass die weltberühmte Gebäudespitze durch den Erwerb kleiner arrondierter städtischer Flächen realisiert werden konnte. Neben der spektakulären Form verdanke der zehn Millionen Reichsmark teure „Klinkerkoloss“ seine Wirkung vor allem der subtilen Detaillierung der Fassaden mit seinen 72 Zentimeter breiten Pfeilern zwischen den zahlreichen Fenstern, betont Lange: „Diese relativ kompakten Stützen werden durch Vorlagen aus jeweils zwei Ziegeln pro Mauerschicht überspielt, die um 45 Grad gegenüber dem Gebäude gedreht sind, sodass sie zu den Vorderseiten hin als spitze Grate in Erscheinung treten.“

Das imposante Kontorhaus ist das Hauptwerk von Fritz Höger, der es in seiner expressionistischen Phase erschuf. Der Architekt stammte aus einfachen Verhältnissen. Geboren 1877 in Bekenreihe bei Elmshorn, absolvierte er zunächst eine Lehre als Zimmermann. Doch der ehrgeizige junge Mann hatte einen Traum: Er wollte Baumeister werden! Deshalb zog er nach Hamburg, wo er die Baugewerkschule am Museum für Kunst und Gewerbe besuchte. Nach ersten Berufserfahrungen als angestellter Architekt machte er sich 1907 selbstständig. Die Aufträge ließen nicht lange auf sich warten: Der rastlose, von seiner Arbeit besessene Höger schuf bereits vor dem Ersten Weltkrieg im neuen Hamburger Stadtzentrum wegweisende Bauten, die den typisch hamburgischen Kontorhaus-Stil prägten. Zusammen mit Hamburgs Oberbaudirektor Fritz Schumacher machte Höger den norddeutschen Backsteinbau populär, der den in der Hansestadt bis dato üblichen Putzbau ablöste.

Das Chilehaus auf einer Postkarte aus den 1950er Jahren. Foto: Archiv stahlpress Medienbüro

Höger konzipierte sein berühmtestes Bauwerk als Kontorhaus mit 5950 Quadratmetern Grundfläche auf zehn Stockwerken, davon vier Staffelgeschosse. Einige zeitgenössische Kritiker zeigten sich von dem Monumentalbau zunächst wenig begeistert. So wetterte Hans Hildebrandt, der Kunsthistoriker und Unterstützer des Bauhauses, 1924, Höger habe das Chilehaus „mit nicht mehr zu überbietender Selbstreklame der Öffentlichkeit zur Bewunderung“ erschaffen. Davon ist heute keine Rede mehr – der „steinerne Dampfer“ gehört seit Juli 2015 zum UNESCO-Weltkulturerbe.

Seine Bauten waren bisweilen genial, Högers Charakter war eher unangenehm. Mitarbeiter, Freunde und Familie litten unter seinen cholerischen Anfällen. Auch in der Öffentlichkeit agierte der „Klinkerfürst“ laut und predigerhaft, ließ kulturelle Bildung vermissen. Zudem fehlte ihm „jegliche kritische Distanz zu sich selbst“, heißt es in einer Biografie. Das behagte dem hanseatischen Bürgertum nicht – so blieb ihm die gesellschaftliche Anerkennung in seiner Wirkungsstadt versagt.

Im Prinzip ist das so geblieben, doch aus einem anderen Grund: Während das Chilehaus noch heute bewundert wird, ist nicht nur die sperrige Persönlichkeit seines Erschaffers in die Kritik geraten – sondern auch seine Anbiederung an den Nationalsozialismus und sein Hang zum „Völkischen“. Lange vor der sogenannten „Machtergreifung“ im Jahr 1933 durch die Nazis sympathisierte Höger mit deren Programm. In seinem Nachlass befinden sich Dokumente, die seine Verachtung demokratischer Strukturen und seinen Antisemitismus belegen. Höger versuchte, sich dem NS-Regime anzudienen. Dass die Nationalsozialisten kein Interesse an seiner eigenwilligen Bauweise zeigten, verletzte ihn tief.

Nach dem Krieg stellte der Entnazifizierungsausschuss Höger dennoch eine Unbedenklichkeitsbescheinigung aus. Aber seine große Zeit war vorbei: Der Baumeister realisierte nach 1945 nur noch kleinere Projekte. Unter anderem entwarf das ehemalige NSDAP-Mitglied (seit 1932) perfiderweise ein Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus. 1949 starb Höger kurz nach seinem 72. Geburtstag in Bad Segeberg an den Folgen eines Schlaganfalls.    

Volker Stahl © SeMa

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