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„Pissbude“ musste für die Davidwache weichen

Der weltberühmte Backsteinbau wurde von Hamburgs Oberbaudirektor Fritz Schumacher entworfen.

Hamburgs berühmteste Wache Ende der 1960er-Jahre.

Als der Hamburger Regisseur Jürgen Roland 1964 seinen halbdokumentarischen Kinofilm über Deutschlands wohl bekannteste Polizeistation drehte, unterlief ihm ein peinlicher Fehler: Er nannte sein Werk „Polizeirevier Davidswache“. Obwohl der berühmte Filmemacher kein Quiddje war, platzierte er ein Fugens zwischen „David“ und „Wache“. Leider falsch!
Doch für solche grammatikalischen Feinheiten dürften sich die Touristenscharen, die täglich an dem schmalen Backsteinbau mit leuchtenden Augen vorbeiziehen, kaum interessieren. Von innen lernten einige wenige die Davidwache nur kennen, wenn sie als Zechpreller im Amüsierviertel St. Pauli überführt oder betrunken und krakeelend in eine der Zellen im Untergeschoss gesperrt wurden – so geschehen bis zum Jahr 2012. Seitdem gilt ein der schmalen Treppe und engen Gänge im altehrwürdigen Gebäude geschuldetes „Zellenverbot“. Wegen Verletzungsgefahr werden Randalierer nun in benachbarte Wachen verbracht.
Hamburgs Oberbaudirektor Fritz Schumacher hatte das von den Ordnungshütern am 10. Dezember 1914 an der Ecke Spielbudenplatz/Davidstraße bezogene Gebäude mit Akribie entworfen: Neben Diensträumen für die Schutz- und Kriminalpolizei plante er sieben Arrestzellen, hohe und helle Zimmer für die „Sitte“ zur medizinischen Untersuchung der Prostituierten und „eine Bedürfnisanstalt mit zwei bis drei Klosetts, die so gelegen sein muß, daß sie vom Beamtenzimmer aus überwacht werden kann, um ein Entweichen von Personen zu verhindern“.

Die lange Geschichte der Polizeiwache begann aber viel früher. 1833 beschloss der Hamburger Rat, der damaligen Vorstadt „Hamburger Berg“ den Namen St. Pauli zu geben – in Erinnerung an eine 1682 dort erbaute Kirche. In deren Umfeld ging es laut der Überlieferung seit Ende des 17. Jahrhunderts eher ausgelassen als gesittet zu. In dem hafennahen Gebiet steuerten Matrosen und Vergnügungssüchtige am heutigen Spielbudenplatz einen Jahrmarkt mit Holzbuden an.

Die „Dreieinigkeit“
am Spielbudenplatz auf
St. Pauli in den 1960er
Jahren: Zillertal, Theater und Polizeiwache.

Das Amüsierangebot wuchs mit den Jahren rasant. Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden ein Volkstheater, Bierbuden, Ballhäuser und Tanzpaläste, die neben braven Bürgern auch von vielen dunklen Gestalten besuchten wurden. Deshalb bewilligte der Hamburger Senat den Bau einer kleinen, unscheinbaren Polizeiwachstube, in die 1840 die ersten Ordnungshüter einzogen. Das Gebäude befand sich an der heutigen Ecke Kastanienallee/Davidstraße.

Die „Eddels“ genannten Polizisten bekamen reichlich zu tun. So geben erhaltene „Wachbücher“ Kunde von der Vernichtung „obszöner Bilder“ beim Bürger Schulze (1852), der Niederschlagung des Streiks der Schiffszimmerer (1860) und der Schließung des „Eldorado“ wegen Veräppelung des Polizeimeisters von Altona in einem Theaterstück (1863). Mit der Größe des Amüsierviertels wuchsen die Aufgaben der Polizei, die 1868 einen Steinwurf entfernt vom ersten Standort den heutigen am Spielbudenplatz bezog – ein 1854 im klassizistischen Stil erstelltes Gebäude des zwölf Jahre später aufgelösten Hamburger Bürgermilitärs. Nach 31 Jahren unter der Obhut einer bürgerlichen Deputation wurde der „Polizeiwachdienst“ 1871 als Polizeiwache 13 der Hamburger Polizeibehörde zugeordnet. Im Volksmund hatte sich zu diesem Zeitpunkt aber die Bezeichnung „Davidwache“ lange etabliert – in Anlehnung an den alten Standort an der Davidstraße.

Die Davidwache heute – immer noch ohne „s“.

Nachdem die auf 72.000 Einwohner angewachsene Vorstadt St. Pauli 1894 auch formal Hamburger Stadtteil geworden war, erwies sich das vom Militär übernommene „Polizei-Bezirks-Gebäude“ erneut als zu klein. Doch erst 16 Jahre später erhielt Fritz Schumacher den Auftrag für einen deutlich größeren Neubau. Den musste die Stadt übrigens gegen den erbitterten Widerstand der in der Nachbarschaft ansässigen Etablissements und Vergnügungsbetriebe durchsetzen – die Wirte und Veranstalter fürchteten wegen des Anblicks von Arrestanten um ihr Geschäft ...

Es war einer der „längsten und größten Kräche in der Hamburger Städtebaugeschichte“, konstatiert die Autorin Ingeborg Donati in ihrem 1990 veröffentlichten Buch über „Die Davidwache“. Doch der Senat blieb hart und setzte das Vorhaben auf dringenden Rat der Hamburger Exekutive um. In einer Rede vor der Hamburgischen Bürgerschaft hatte der erfahrene Polizeioberst Friedrich August Adolf Gestefeld am 15. Oktober 1912 mit eindringlichen Worten für den Verbleib mitten auf dem Kiez geworben: „Die Polizei legt größten Wert darauf, die Wache am Spielbudenplatz zu halten, weil der polizeiliche Dienst in dieser Gegend ohnehin besonders schwierig ist.“

Für den Neubau musste die zwischen der alten Wache und dem heutigen St. Pauli Theater gelegene öffentliche Bedürfnisanstalt weichen. Der Abriss der im Volksmund so genannten „Pissbude“ musste gegen den heftigen Widerstand ihrer Befürworter durchgesetzt werden. Nachdem auch der Streit um die Finanzierung des zunächst mit rund 110.000 Mark veranschlagten Baus beigelegt war, gaben Senat und Bürgerschaft grünes Licht für die – inklusive Mobiliar – 171.000 Mark teure, Ende 1914 fertiggestellte Wache.

Heute steht der von einem markanten „Polizei“-Schriftzug gezierte Rotklinkerbau unter Denkmalschutz. Offiziell heißt Hamburgs berühmtes, nur 0,85 Quadratkilometer großes Polizeirevier übrigens erst seit 1970 „Davidwache“.    

 

Volker Stahl © SeMa

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