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Ewig junger Fußballheld

Hamburgs erster Nationalspieler Hans Weymar liebte den Sport – und die Damen

Zeitgenössische Karikatur: „gestatten Sie ... Hans Weymar aus Hamburg“.

Foto: stahlpress/Archiv

Uwe Seeler? Kennt jeder. Auch der Barmbeker Jung Andreas Brehme, der Deutschland mit seinem verwandelten Elfmeter 1990 den dritten WM-Titel bescherte, ist noch in recht guter Erinnerung. Doch der erste Hamburger, der sich das schwarz-weiße Nationaltrikot überstreifte, ist nahezu vergessen – obwohl er eine illustre Persönlichkeit war: Hans Weymar, genannt der „schöne Hans“, war beim allerersten Länderspiel in der Geschichte des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) als einziger Norddeutscher dabei.

Das allererste Tor der Nationalmannschaft erzielte ein 18-jähriger Oberprimaner, assistiert von Mitspieler Weymar. „Unser erster Erfolg in der fünften Minute war ein sogenanntes Bilderbuchtor. Der Ball kam von Verteidiger Hempel zum linken Läufer Weymar; der setzte mit einem weiten Schlag unseren Rechtsaußen Hensel ein. Die Flanke, die Hensel nach schönem Lauf zur Mitte gab, fälschte unser Halbrechter Förderer aus dem Gedränge vor dem Tore zu einem Schuss ab, der knapp vorbeigegangen wäre. Der Schweizer Torwächter glaubte, nicht eingreifen zu müssen, unterschätzte dabei aber meine Schnelligkeit, und ich konnte den Ball gerade noch ins Tor lenken“, erinnerte sich der Frankfurter Fritz Becker später an die Tor-premiere der deutschen Elf vor 115 Jahren.

Hamburgs erster Nationalspieler kickte beim SC Victoria – damals eine Größe im deutschen Fußball. Auf Empfehlung von „Vicky“-Präsident Hugo Egon Kuba-seck, seines Zeichens auch Spielausschuss-Vorsitzender des DFB, kam Weymar am 5. April 1908 auf dem Sportplatz Landhof in Basel als linker Läufer zum Einsatz. 5.000 Zuschauer sorgten für eine stattliche Kulisse – darunter viele Frauen, die vom Sponsor der 700 Plätze bietenden Tribüne eine „Lucerna“-Schokolade als Begrüßungsgeschenk bekamen.

Der linke Läufer des SC Victoria, wie fast immer, ganz rechts am Bildrand zu sehen.
Foto: stahlpress/Archiv

Die Deutschen unterlagen mit 3:5 Toren und sorgten auch beim anschließenden Bankett mit Slapstick-Einlagen für Stimmung bei den Schweizer Gastgebern: Youngster „Fritzchen“ Becker ruinierte seinen Smoking auf der feucht-fröhlichen Feier bei einem unfreiwilligen „Bad“ in Worcestersauce und Senf. Nach der Sause kehrte die deutsche Delegation verkatert in die Heimat zurück. „Hans Weymar schimpft auf den Apfelwein“, berichtete der Chronist der Vereinszeitung des SC Victoria einige Wochen später amüsiert.

Auch sonst war Weymar kein Kostverächter. Sein Vereinskamerad Hermann Garrn berichtete von der gemeinsamen Zugreise zum Länderspiel nach Wien (2:3) im Juni 1908 wie folgt: „Nach der Verabschiedung mit großem Hallo durch einige 100 Taschentücher am Bahnhof begaben wir uns auf unsere Plätze und fingen an zu rauchen.“ Nicht gerade die optimale Vorbereitung auf ein Länderspiel.

„Mein Schwiegervater war ein Genussmensch“, erzählte des Schwerenöters Schwiegertochter Ilse Weymar gerne. „Wenn er mit seinem Sohn telefonierte, sagte er immer: ‚Ich muss mal eben die Zigarre in den Mund nehmen, sonst kann ich nicht sprechen.‘“ Auch sonst habe ihr Schwiegervater nichts anbrennen lassen: „Er war ein sehr großer Frauenfreund. Am liebsten hätte er zwei oder drei Freundinnen gleichzeitig gehabt, möglichst recht junge. Dafür war er auch bekannt.“

Dokument: Weymars 1954 ausgestellter Personalaus-
weis. Foto: stahlpress/Archiv

Als der DFB den ersten „Länderkampf“ – wie es im zeitgenössischen Jargon hieß – bestritt, mussten die Nationalspieler unter großen Mühen mit der Bahn nach Basel reisen, mit schlappen 20 Mark Spesen in der Tasche. Die Auswahlkicker hatten noch keinen Hofstaat dabei, sondern lösten die Fahrkarte eigenhändig am Bahnsteig. Einen „Reichstrainer“ gab es erst ab 1926, also bestimmte Kapitän Arthur Hiller (26) vom 1. FC Pforzheim Taktik und Aufstellung, obwohl er die meisten seiner aus elf Vereinen zusammengewürfelten Mitspieler nicht kannte. Am Ball waren leidlich austrainierte Schüler, Weinhändler und Dekorateure. Weymar war gelernter Bankkaufmann und später Geschäftsführer eines Viehgroßhandels auf dem Hamburger Schlachthof, wo er bis zu seinem Tod arbeitete.

Der Sport hat den flinken Außenläufer, der nach einer im Ersten Weltkrieg von einem Schrapnell-Geschoss erlittenen Fersenverletzung auf Tennis umsatteln musste, lange jung gehalten – allerdings nicht so jung, wie sich der Frauenschwarm später gern machte. „Er war ein sehr eitler Mensch. Deshalb hat er sich immer jünger gemacht, als er war“, berichtete Ilse Weymar. So hätten ihn viele zum 70. Geburtstag beglückwünscht, als er bereits 75 Jahre alt geworden war. Sogar der DFB bemerkte den Schwindel nicht und übermittelte ihm stets zum falschen Geburtstag freundliche Sportgrüße. Die „Hamburger Morgenpost“ ulkte zu seinem 75.: „Wenn Sie ihm eine Freude machen wollen, gratulieren Sie ihm zum 65!“

Nachdem er mit dem Fußball aufgehört hatte, spielte sich Weymars Leben jahrzehntelang im Tennisklub ab. Fast jeden Tag fuhr er mit der S-Bahn zu seinem HTHC, auch an seinem Todestag. Am 4. Juli 1959 erlitt Hans Weymar auf dem Tennisplatz bei 35 Grad einen Herzschlag, als er nach dem Einzel noch zum Doppel antrat. Hundstage in Hamburg: Auch am Tag seiner Beerdigung war es so heiß, dass die Kerzen in der Kirche schmolzen. Tränen aus Wachs zum Abschied – das dürfte dem schönen Hans gefallen haben.         

 

Volker Stahl © SeMa

(Bild ganz oben: Hans Weymar (rechts außen) beim Länderspiel 1908 gegen England. Foto: stahlpress/Archiv)

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