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„Eine von diesen“

In Hamburg entstand 1892 das dritte Krematorium in Deutschlands

Das 1891 eingeweihte Krematorium an der Alsterdorfer Straße war einmal eine Touristenattraktion.

Im Römischen Reich war die Einäscherung die vorherrschende Form, um Leichen zu entsorgen. Damit machte das Christentum Schluss. Im Glauben an die „Wiederauferstehung des Fleisches“ wurde die Erdbestattung nicht nur bevorzugt, sondern die Feuerbestattung war als „heidnisch“ verboten. Wer sie trotzdem praktizierte, wurde sogar ab 786 von Karl dem Großen mit der Todesstrafe bedroht.

Ende des 18. Jahrhunderts brachte die Philosophie der Aufklärung christliche Dogmen ins Wanken. Hinzu kam ein zunehmendes Bewusstsein für Hygiene. Eine Abhandlung von 1840 sah es kritisch, dass die Toten rings um die Kirchen, also mitten in der Stadt, begraben wurden: „In Hamburg waren Anfang dieses Jahrhunderts wegen der von den Kirchhöfen aus sich verbreitenden verpesteten Luft die in der Nähe befindlichen Wohnungen um die Hälfte wohlfeiler als in anderen Gegenden der Stadt.“

Das Grabmal von Anita Rée wurde 1995 vom Urnen-hain am Alten Krematorium auf den Ohlsdorfer Friedhof umgesetzt.

Der medizinische Fortschritt verringerte die Sterblichkeit und sorgte für Bevölkerungswachstum. Daraus ergab sich eine Überbelegung der Begräbnisstätten. Um Platz zu schaffen, wurden noch nicht ganz verweste Körper ausgegraben. Die Verbrennung unter freiem Himmel auf einem Scheiterhaufen, wie sie im hinduistischen Indien bis heute üblich ist, war demgegenüber kein Fortschritt. Für den sorgte ein Ofen des Ingenieurs Friedrich Siemens. Er war von Carl Heinrich Reclam animiert worden. Der Arzt und Bruder des Leipziger Verlegers war eifriger Verfechter der Feuerbestattung. Am 9. Oktober 1874 wurde im Siemenschen Glaswerk in Dresden die mit 32 Jahren im Kindbett gestorbene Frau eines britischen Diplomaten eingeäschert. Die erste Leichenverbrennung in Deutschland überhaupt hatte knapp zwei Wochen vorher in der städtischen Gasanstalt in Breslau bei einer von Reclam geleiteten Naturforscher-Versammlung stattgefunden.

Im thüringischen Gotha entstand 1878 das erste Krematorium auf deutschem Boden. 1891 folgte Heidelberg. Zu dem Zeitpunkt war auch in Hamburg ein Krematorium zwar fertiggestellt, konnte aber den Betrieb nicht aufnehmen, weil Senat und Bürgerschaft noch nicht die juristischen Voraussetzungen geschaffen hatten. Schon 1874 war im Anschluss an einen Vortrag von Carl Reclam ein Feuerbestattungsverein gegründet worden. Ein zweiter Verein warb seit 1883 für einen „Leichenverbrennungsapparat“ und kaufte 1887 ein Gelände unweit des zehn Jahre zuvor eröffneten Friedhofs Ohlsdorf.

Im Rathaus zögerte man, weil durch „Leichentourismus“ Konflikte mit den preußischen Nachbarstädten Wandsbek und Altona befürchtet wurden. Dann jedoch sorgte im Sommer 1892 eine Cholera-Epidemie für mehr als 8500 Tote, die rasch beseitigt werden mussten. Am 17. November 1892 wurden die „Bestimmungen betreffend das Feuerbestattungswesen“ verabschiedet, und zwei Tage später fand die erste Einäscherung statt.

Blick von der Fuhlsbütteler Straße aus auf das 1930–32 von Fritz Schumacher auf dem Ohlsdorfer Friedhof erbaute Krematorium.

Das nach den Entwürfen von Ernst Paul Dorn an der Alsterdorfer Straße errichtete Krematorium entsprach der damaligen Industriearchitektur. Die Höhe des Schornsteins von 25 Metern war baupolizeilich vorgeschrieben. Das Gebäude wurde zu einer durch Postkarten bekannten Sehenswürdigkeit. „Jeder neue Brauch wird am leichtesten dann volkstümlich und hat am ehesten dann Aussicht auf Verallgemeinerung, wenn er sich möglichst dem Hergebrachten anschließt“, bemerkte der Vorsitzende des Feuerbestattungsvereins. Ein Haupteinwand gegen die Kremierung war die Übergabe des Leichnams an eine seelenlose Technik. Wie die Berichte über die Einäscherung des Pianisten und Dirigenten Hans von Bülow am 29. März 1894 zeigen, wurde darauf geachtet, die Trauerfeier, bei der Gustav Mahler am Harmonium saß, von der Verbrennung strikt zu trennen. Vom Sarg wurde der Blumenschmuck entfernt und den Angehörigen übergeben, bevor der Sarg durch eine hydraulische Anlage in den Ofen in der Tiefe gelangte.

Wilhelm Cordes, der Direktor des Ohlsdorfer Friedhofs, schuf von 1901 bis 1904 einen Park für die Beisetzung der Urnen. Hier befand sich das Grabmal für Anita Rée, die sich als Jüdin und verfemte Künstlerin 1933 das Leben genommen hatte. Es wurde 1995 auf den Althamburgischen Gedächtnisfriedhof versetzt. Das Krematorium wurde 1932 geschlossen und von einem Neubau auf dem Ohlsdorfer Friedhof abgelöst. Dessen Architekt Fritz Schumacher hatte es mitten in der Stadt platzieren wollen, um den Trauergästen den Weg zu ersparen, konnte sich damit aber nicht durchsetzen.

Die Evangelische Kirche schloss 1920 ihren theologischen Frieden mit der Leichenverbrennung, die Katholiken brauchten noch bis 1963. Ausgerechnet das Regime der Nationalsozialisten regelte im Mai 1934 die Feuerbestattung gesetzlich und stellte sie mit dem Erdbegräbnis gleich. Dass vor der Kremierung eine zweite ärztliche Leichenschau erfolgt sowie der Friedhofszwang für Urnen gehen darauf zurück. Seit 1965 gibt es ein Krematorium in Öjendorf. Heute werden in Hamburg rund 80 Prozent der Verstorbenen verbrannt.

Auf der der Stadt zugewandten Seite des Ohlsdorfer Krematoriums, das beim Personal „Dom“ genannt wird, befindet sich eine Uhr, unter der die Passanten lesen: „Eine von diesen“.    
    

Text: Volker Stahl © SeMa/Fotos: © stahlpress Medienbüro

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