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Ein Herz für Tiere

Amanda Odemann initierte 1841 die Gründung des „Hamburger Vereins gegen Thierquälerei“

Bürgertochter Amanda Odemann gründete 1841 den Hamburger Tierschutzverein.

Abgemagerte und erschöpfte Hunde ziehen schwere Lastkarren durch das Hamburger Holpergassengewirr, Spediteure schlagen brutal auf ihre Pferde ein, gesetzliche Mindeststandards bei der Schlachtung von Nutztieren gibt es nicht – trauriger Alltag in der Hansestadt zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Um das alltägliche Leid der Tiere schert sich kaum jemand, Grausamkeiten gegen sie bleiben ungestraft. Nur bei wenigen Menschen regt sich Mitgefühl: Im November 1841 veröffentlicht die erst 20 Jahre alte Amanda Odemann in der Zeitung einen Aufruf gegen „Thierquälerei“, einen Monat später wird der Tierschutzverein gegründet.

Ein Blick in europäische Denktraditionen hilft, die Geringschätzung der Kreatur zu verstehen. Jahrhundertelang hatten Theologen das christliche Diktum „Macht euch die Erde untertan“ gepredigt und Philosophen das Leid der Tiere aus ihrem Denken verbannt. „Wie die Hausfrau, die die Stube gescheuert hat, Sorge trägt, dass die Türe zu ist, damit ja der Hund nicht hereinkomme und das getane Werk durch Spuren seiner Pfoten entstelle, also haben religiöse und philosophische Denker darüber gewacht, dass ihnen keine Tiere in der Ethik herumliefen“, schreibt der 1965 verstorbene Philanthrop Albert Schweitzer in seinem Buch „Die Lehre der Ehrfurcht vor dem Leben“, in dem er seine Menschenliebe auf die Tierwelt ausweitet. Es sei, als hätte der französische Denker René Descartes (1596–1659) die neuzeitliche Philosophie verhext mit seiner Auffassung, Tiere hätten keine Seele und seien bloß schmerzunempfindliche Maschinen, seufzt Schweitzer.

Zuerst kümmerte sich der neu gegründete Verein um geschundene Lastpferde.

Auch in der Elbmetropole kümmert sich lange fast niemand um die Qualen der Tiere – nur deren Nutzwert zählt. Erst das „Conclusum Collegis Ehrbarer Oberalten“ fordert 1825, dass die „das Grundwesen der Sittlichkeit untergrabende Thierquälerei durch ein positives Gesetz gewehrt werden möge“. Die Vereinigung der jeweils drei Gemeindeältesten der Hamburger Hauptkirchen beklagt das „Übel der Misshandlung“ der Pferde und des Schlachtviehs, „unmenschliche Experimente“ am lebenden Tier sowie die rohe Grausamkeit gegen Haustiere „wie in den Martern und Qualen, welche eine sträfliche Nachsicht der Familienhäupter der Kinder gegen allerlei Kreaturen verstattet“. Nur ein Beispiel: Einige Hamburger Buttjes machen sich seinerzeit einen Spaß daraus, Spatzen in Fallen zu zerquetschen.

Erst 16 Jahre später wird der Hamburger Tierschutz institutionalisiert – dank der jungen Bürgertochter Amanda Odemann aus dem damaligen Vorort Eppendorf. In einem einspaltigen Artikel, der am 11. November 1841 in den Wöchentlichen Gemeinnützigen Nachrichten erscheint, prangert sie die Überlastung der Lasttiere beim Abtransport von Sand aus der Grube des Stadtgrabens an der Sternschanze an: „Schaudererregend ist es zu sehen, wie die zum Theil schon alten und schwachen Pferde ... mit Peitschenhieben und Hackenstößen von ihren unbarmherzigen Führern behandelt werden.“ Fünf Tage später kritisiert sie solche „Gräuel“ ein zweites Mal in dem Blatt. Die Resonanz ist überwältigend. Am 30. November erfolgt die Einladung zu einer Versammlung am 10. Dezember. An diesem Tag gründet Amanda Odemann zusammen mit 112 Gleichgesinnten, darunter zahlreiche Hamburger Honoratioren, den „Hamburger Verein gegen Thierquälerei“, der seit 1861 seinen heutigen Namen trägt: Hamburger Tierschutzverein (HTV).

Sogar junge Elefanten fanden auf dem Gnadenhof des Vereins Unterschlupf.

Zu diesem Zeitpunkt existiert in England bereits seit zwei Jahrzehnten ein Tierschutzgesetz. Endlich können auch hiesige Tierschützer ersten Erfolg verbuchen: Ein Jahr nach der Vereinsgründung verfügt die Hamburger Polizeibehörde, dass ein Pferd nicht mehr als eine Tonne Gewicht ziehen darf. Und Schuttfahrer, die mit ihren Gespannen zu schnell durch die Stadt ruckeln, werden zu drei Tagen Arrest, ersatzweise zwei Talern Strafe verurteilt. Außerdem müssen die Hufe der Gäule nun ausreichend mit Hufeisen beschlagen sein, und die eiserne Gebissstange darf ihnen nicht mehr kalt ins Maul gesetzt werden. Und es ist nicht mehr erlaubt, kleine Hunde vor einen Karren zu spannen.

Auch für das Schlachtvieh kann der Verein bald von den Behörden sanktionierte Erleichterungen durchsetzen. Ab 1855 muss „jedes geknebelt in St. Pauli ankommende Lamm von seinen Banden befreit werden, sobald es die Landungsbrücke berührt“. 1887 wird das erste Tierheim an der Neustädter Straße eingeweiht. Ab 1891 nutzt der Verein spezielle Hebekräne, mit deren Hilfe die Polizei verunglückte und im Ambulanzwagen herbeigeschaffte Pferde wieder auf die Beine bringt. Nur herrenlosen Hunden und Katzen droht weiter ein trauriges Schicksal: Sie werden nach kurzer Verweildauer in der Fronerei, dem alten Gefängnis gegenüber der Petrikirche, getötet – wenn sich kein neues Frauchen oder Herrchen ihrer erbarmt.

Seit 1897 befindet sich das Tierheim im Stadtteil Hamm. Streuner werden nun von Pferdekutschen – deren Nachfolger heißen später „Struppiwagen“ – eingesammelt und dorthin verbracht. Nach den Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg und notdürftigen Reparaturen an den schwer beschädigten Gebäuden wird 1962 auf dem 25 000 Quadratmeter großen Grundstück an der Süderstraße eine moderne Tierheimanlage gebaut. Dort warten aktuell 760 Tiere, darunter 164 Hunde und 178 Katzen, auf ein neues Zuhause.    
    

Text: Volker Stahl © SeMa/Fotos: © HTV

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