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Ein Gebäude erzählt von Geschichte

Vor 100 Jahren wurde der Meßberghof als Ballinhaus eingeweiht

Das Kontorhaus in einer Aufnahme von 1929 im Buch „Hamburg und seine Bauten“.

Zur feierlichen Eröffnung stellte die Zeitung „Hamburgischer Correspondent“ den Neubau als „das erste Turmhaus in Hamburg“ vor. Damals galt schon dieses Gebäude mit zehn Stockwerken als „Wolkenkratzer“. Mit 50 Metern Höhe erscheint das Haus mit der Adresse Meßberg 1 heute eher niedrig, gemessen am Emporio-, dem früheren Unilever-Hochhaus, mit 98 Metern oder der Elbphilharmonie mit 110 Metern – ganz zu schweigen vom Elbtower, der sich auf 245 Meter erheben sollte und dessen Errichtung bei 100 Metern gestoppt wurde.

An der Stelle des „Turmhauses“ hatte sich ein Labyrinth aus Fachwerkhäusern befunden, in dem rund 20.000 Menschen unter elenden Bedingungen lebten. Der Unrat floss in einer Rinne mitten durch die Gassen und Twieten. „Abruzzen“ nannten Bessergestellte den Slum im Herzen der Kaufmannsmetropole. 1892 brach hier die Cholera aus, die nahezu 9.000 Tote forderte. Das durch den Abriss des „Gängeviertels“ frei gewordene Grundstück wurde von einem Finanzkonsortium für 50 Jahre gepachtet, nach deren Ablauf es ohne Entschädigung an die Stadt zurückging. Der Bau des Bürogebäudes mit einer Nutzfläche von 14.000 Quadratmetern, in dem etwa 3.000 Menschen beschäftigt waren, begann im Juni 1922.

Ein Brüderpaar entwarf die mit Klinkern verblendete Stahlbetonkonstruktion. Hans und Oskar Gerson waren 1881 bzw. 1886 in Magdeburg geboren worden und 1887 nach Hamburg gekommen, wo ihr Vater mit Zucker und Kaffee handelte. Hans Gerson hatte in München Architektur ohne Abschluss studiert; Oskar hatte lediglich gemeinsam mit dem Bruder in einem Architekturbüro in Berlin gearbeitet. „Architekt“ war noch keine gesetzlich geschützte Berufszeichnung, also konnten sie 1907 in Altona ein eigenes Büro eröffnen. Mit Stadt- und Landhäusern für Kaufleute wie Nicolaus Darboven oder den Bankier Max Warburg machten sich die Gebrüder Gerson einen Namen. 1922 bezogen sie ein Büro im Thaliahof, den sie gegenüber dem Theater erbaut hatten.

Architekt Hans Gerson
(1881–1931).
Zeichnung: Uwe Ruprecht
© stahlpress Medienbüro

Zu Klängen von Beethoven versammelten sich am Vormittag des 24. März 1924 im Foyer des neuen Kontorhauses am Meßberg allerhand Honoratioren, voran der Erste Bürgermeister Carl Wilhelm Petersen (1868–1933). Sie enthüllten ein bronzenes Porträt-Medaillon von Albert Ballin (1857–1918), nach dem das Gebäude benannt wurde. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts flohen Millionen vor Armut und Unterdrückung aus Europa und wanderten in die USA aus. Mi- gration war ein Riesengeschäft. Ballin übernahm 1886 die Leitung der Passagier-Abteilung der Hamburg-Amerikanischen Packetfahrt-Actien-Gesellschaft und machte die Hapag binnen eines Jahrzehnts zur weltgrößten Schifffahrtslinie.

Nicht nur die Überfahrt wurde verkauft, sondern die Reederei versorgte die Auswanderer auch in rund 30 Hallen auf der Veddel, die 1963 abgerissen wurden. Einige sind inzwischen wieder aufgebaut und beherbergen seit 2007 das Museum „BallinStadt“. Seit 1905 war Wilhelm II. mehrfach zu Gast in Ballins Villa in Rotherbaum, was diesem den Ruf eines „Reeders des Kaisers“ einbrachte.

Nach dem „Ballinhaus“ waren die Gebrüder Gerson für eine Wohnanlage am Kellinghusens Park in Eppendorf verantwortlich und begannen 1927 zusammen mit Fritz Höger, dem Baumeister des Chilehauses, mit dem mittleren Teil des Sprinkenhofs. Während der westliche Teil entstand, erlag Hans Gerson 1931 einer Herzattacke. Und dann übernahmen die Nationalsozialisten die Macht.

Architekt Oskar Gerson (1886–1966).
Zeichnung: Uwe Ruprecht
© stahlpress Medienbüro

Als Jude wurde Oskar Gerson vom Bund Deutscher Architekten ausgeschlossen. 1939 ging er ins Exil in die USA. Den östlichen Teil des Sprinkenhofs stellte Fritz Höger allein fertig; er war 1933 der NSDAP beigetreten. Am 14. November 1938, nachdem die Synagogen gebrannt hatten, verfügte der mächtigste Mann der Stadt, Reichsstatthalter Karl Kaufmann, dass das Kontorhaus am Meßberg nicht mehr den Namen des Juden Ballin tragen solle. Dessen Porträt-Medaillon im Foyer wurde zerstört, die Dokumente der Behörden über das Gebäude verschwanden.

Im nun umgetauften „Meßberghof“ hatte seit 1928 die Firma Tesch & Stabenow ihren Sitz. Sie war der Branchenführer bei der Schädlingsbekämpfung und hatte ein Monopol für Vertrieb und die Anwendung des 1922 von der Chemiefirma Degesch in Frankfurt am Main patentierten Blausäuregases namens Zyklon B. Damit wurde ab 1941 die SS beliefert, die es in den Vernichtungslagern einsetzte.

Nach 1945 wurde vergeblich versucht, die Bezeichnung „Meßberghof“ rückgängig zu machen. 1992 wollte die Kulturbehörde am Meßberghof eine Informationstafel zur Geschichte des Hauses anbringen, aber der Eigentümer sperrte sich, weil dies „eine zügige Vermietung voraussichtlich behindern würde“. Seit 1997 wird trotzdem am Eingang gegenüber der U-Bahnstation Meßberg an die Rolle des Hauses im Holocaust erinnert. Zur selben Zeit wurde der Hauptsitz von Hapag-Lloyd „Ballinhaus“ getauft. Er liegt an der Straße, die 1947 von Alsterdamm in Ballindamm umbenannt wurde.

Mitte der 1970er Jahre erwog man den Abriss des Meßberghofs. Stattdessen wurde er 1983 unter Denkmalschutz gestellt und gehört seit 2015 als Teil des Kontorhausviertels zum UNESCO-Weltkulturerbe.
    

Text: Volker Stahl © SeMa/Fotos: © Archiv stahlpress

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