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„Der braucht keine Blumen“

Die Freunde Reinhold Meyer und Albert Suhr gehörten zum Hamburger Zweig der Widerstandsgruppe „Weiße Rose“

Reinhold Meyer im Jahr 1943. Foto: Archiv stahlpress

Die Weiße Rose hat im Widerstand gegen den Nationalsozialismus einen festen Platz in den Geschichtsbüchern. Während der mutige Protest der Münchner Gruppe um die Geschwister Sophie und Hans Scholl gut bekannt ist, wissen nur wenige, dass es einen Hamburger Ableger dieser Widerstandsgruppe gab. 1943 wurden in der Hansestadt 30 Personen verhaftet, die zu dem studentischen Freundeskreis gehörten; einige von ihnen bezahlten ihr Engagement mit dem Leben. Ihr „Verbrechen“: Sie hatten Flugblätter hektografiert, von den Nazis verbotene Literatur gelesen und verbreitet. Von den Schulfreunden Reinhold Meyer und Albert Suhr überlebte nur der Letztgenannte.

„Die zunehmende Einschränkung der individuellen Freiheit, die Missachtung christlich-humaner Werte und die Verfolgung jüdischer Freunde ließen in den musisch interessierten Kreisen die Gespräche über Dichtung und Kunst immer häufiger in politische Diskussionen übergehen. Ab Herbst 1942 diskutierte man die durch Traute Lafrenz aus München nach Hamburg gelangten Flugblätter der Weißen Rose und fertigte davon Abschriften an, die an vertrauenswürdige Personen weitergereicht wurden“, berichtete Nina Schneider, Witwe des Germanisten und Weiße-Rose-Aktivisten Karl Ludwig Schneider, über die ersten Aktivitäten des akademisch geprägten Kreises in der Hansestadt.

Stolperstein für Reinhold Meyer an der Edmund-Siemers-Allee (Rotherbaum). Wikipedia

Kurz nach ihrem Abitur nahmen Meyer und Suhr mit ehemaligen Klassenkameraden Kontakt zu oppositionellen Gruppen in der Hansestadt auf. An der Hamburger Universität gab es nur wenige Refugien, wo besonderer Wert auf geistige Unabhängigkeit gelegt wurde. Das Anthropologische Kolloquium unter der Leitung von Professor Wilhelm Flitner war so ein Ort. Dort trafen sich Kritiker und Gegner des Nationalsozialismus. In dem Kreis pflegten der Germanistikstudent Reinhold Meyer und seine Kommilitonen – bei aller Vorsicht – in Referaten humanistisches Gedankengut, zitierten Passagen verbotener Literatur.

Zu einem festen Treff entwickelte sich die Buchhandlung von Johannes P. Meyer, dem Vater von Reinhold. In den Kellerräumen des Hauses Jungfernstieg 50 empfing der Juniorchef Gleichgesinnte, um über von den Nazis geächtete Literatur zu diskutieren. Zu den Gästen gehörten Studenten, Künstler und Intellektuelle wie der Jazzmusiker Olaf Hudtwalcker oder der Schriftsteller Louis Satow. „Die Abende hatten schon fast den Charakter einer sich organisierenden Gemeinschaft. Man traf sich hier im größeren Kreise, laufend kamen neue, ebenfalls oppositionell gestimmte Menschen hinzu, und beinahe systematisch wurden hier auf hohem Niveau alle uns junge Menschen bewegenden Fragen diskutiert“, beschrieb der zum Kern der Gruppe gehörende Heinz Kucharski die Atmosphäre später. Im Herbst 1942 las man die ersten Flugblätter der Weißen Rose. Traute Lafrenz, die 1941 von Hamburg an die Münchner Universität gewechselte Vertraute der Geschwister Scholl, hatte sie bei einem Besuch in ihrer Heimat mitgebracht.

Albert Suhr kurz vor seinem
Tod 1996. Foto: stahlpress

Spitzel verrieten die Gruppe. Albert Suhr wurde am 13. September 1943 als Erster von der Gestapo verhaftet und ins Konzentrationslager Fuhlsbüttel („Kolafu“) gesteckt. Später wurde er ins Landesgerichtsgefängnis nach Stendal verlegt und vor dem Volksgerichtshof wegen „Vorbereitung zum Hochverrat, Feindbegünstigung und Wehrkraftzersetzung“ angeklagt. Doch er hatte Glück: Eine Woche vor der am 19. April anberaumten Verhandlung befreiten ihn amerikanische Truppen. Der Medizinstudent war misshandelt worden, überlebte aber und arbeitete später als Arzt. Die Dämonen aus der Zeit der Gestapohaft bekämpfte er mit dem Aufputschmittel Preludin. Mitte der 1960er Jahre wurde er nach missglückten Abtreibungen, bei denen zwei Frauen verbluteten, wegen „Unzurechnungsfähigkeit“ in eine Heilanstalt eingewiesen, konnte später aber wieder seinem Beruf nachgehen.

Sein Freund Reinhold Meyer, den er während der Gymnasialzeit wegen dessen Knochenmarkerkrankung zwei Jahre lang jeden Tag bei den Schularbeiten unterstützt hatte, starb mit 24 Jahren im KZ Fuhlsbüttel nach einem Gestapo-Verhör in den Armen eines Mithäftlings. Meyer war ein Schöngeist. Er liebte Gedichte von Hermann Hesse, las Goethes Faust und in der Bibel. Und er mochte Blumen. Als er seine Mutter einmal darum bat, ihm ein Blümchen nach „Kolafu“ zu schicken, legte sie Stiefmütterchen auf das Paket. Der Gestapobeamte ergriff den Strauß und warf ihn auf den Boden: „Der braucht keine Blumen!“

Das Mahnmal in Schnelsen erinnert an den Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Foto: stahlpress

Die Stadt Hamburg würdigte die Weiße Rose erst spät. Anfang der 1970er Jahre wurde eine Gedenktafel des Bildhauers Fritz Fleer in den Boden des Auditorium maximum der Universität eingelegt – auf Anregung von Wilhelm Flitner: „Mir läge daran, dass auch einer Studentengruppe gedacht wird, deren Mitglieder 1943 in meinem Oberseminar waren, und die im Zusammenhang mit der Tat der Geschwister Scholl aufgespürt wurde.“ Über Meyer sagte der alte Professor: „Er war ein besonders begabter, feinsinniger und aufrechter Mensch.“ Seit 1978 erinnert in Volksdorf eine zwei Meter hohe Skulptur aus weißem Muschelkalk an die Weiße Rose. Anfang der 1980er Jahre wurden elf Straßen in Niendorf-Nord nach Frauen und Männern aus dem Widerstand benannt. Nur einen Steinwurf entfernt erinnert seit 1987 das Mahnmal „Tisch mit 12 Stühlen“ des Künstlers Thomas Schütte an Hamburger Nazi-Gegner, die vom Regime ermordet wurden.    

 

Volker Stahl © SeMa

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