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Blindes Vertrauen

– mit Führhund mehr als eine Redensart! Hund und Mensch – schon für die Steinzeit ist belegt, dass es wohl keine engere Verbindung des Menschen zu einem Tier gibt als die zum Hund. Sie waren und sind Jagdgenossen, Schutzschild, Freund und Spielgefährte ...

„Such Treppe“ – ganz selbstverständlich führt „Buddy“ Andreas Schmelt zur Treppe und immer zu einer Seite mit Handlauf. Foto: Krause

Hunde übernahmen und übernehmen auch heute noch hoch spezialisierte Aufgaben. Wie in der Frühzeit schützen sie wieder Nutztierherden vor Wölfen, suchen Verschüttete unter Schnee oder Trümmern. Hunde tragen ihren Teil durch das Erschnüffeln von Rauschgift dazu bei, dass Menschen vor ihm geschützt werden. Es gibt unzählige Aphorismen, die Loblieder über den Hund singen. „Je mehr ich von den Menschen sehe, umso lieber habe ich meinen Hund“ so Friedrich II., der Große (1712–1786), preußischer König, der seine Windhunde mehr schätzte als viele seiner Minister. „Wer nie einen Hund gehabt hat, weiß nicht, was lieben und geliebt werden heißt“, resümierte der Philosoph Arthur Schopenhauer (1788–1860), der seit Studententagen bis zum Lebensende Pudel an seiner Seite hatte. Ein Bericht über Blindenführhunde wäre unvollständig, würde er nicht auch den Dichter Friedrich Hebbel (1813–1863) zitieren, der lapidar feststellte: „Der Hund ist der sechste Sinn des Menschen.“

Schon im alten Rom

Die Ausgrabungen in Pompeji fördern immer wieder interessante Informationen über das „normale“ Leben seiner Bewohner vor rund 2000 Jahren zutage. So auch ein Fresko, das einen Blinden mit seinem Hund zeigt. In der Bibel, dem heiligen Buch der damals erst aufkommenden christlichen Religion, finden sich an rund 50 Stellen Passagen, die sich mit dem Thema „Blindheit“ beschäftigen.

Der blinde Saint Hervé mit dem Wolf, der bei ihm Dienst als Führhund tun musste. Darstellung im Fenster der Kirche Notre-Dame in Penvénan (Côtes-d'Armor), Bretagne. Quelle: Wikipedia

Nicht verwunderlich, dass bereits im 6. Jahrhundert ein Blinder in die große Schar der Heiligen Einzug hielt. Der Legende nach wirkte Saint Hervé in der Bretagne. An seiner Seite: ein Hund. Die Heiligengeschichte berichtet, dass sein Hund von einem Wolf gefressen worden sei, woraufhin der Heilige den Wolf zwang, den Hund zu ersetzen. Wer die Betgange-Krimis um Kommissar Dupin liebt, sollte sich Saint Hervé merken. Der Mann und sein Name sind urbretonisch. Hervé ist der Schutzpatron der bretonischen Barden und wird bei Augenerkrankungen angerufen. In der Bretagne steht Hervé außerdem im Ruf, das Quaken der Frösche stoppen zu können. Für Geschlechterparität bei für Augen zuständigen Heiligen sorgte ein Jahrhundert später die Heilige Odilia. Historisch verbürgt, starb sie um 720 in dem von ihr gegründeten Kloster Niedermünster im Elsass. Wenn später Blinde den Weg in Chroniken schafften, dann häufig im Zusammenhang mit ihrem Hund. So heißt es in der Straßburger Bettelordnung von 1464: „Es soll in Zukunft kein Bettler einen Hund haben oder aufziehen, es sei denn, er wäre blind und brauche ihn.“ Der Hund an der Seite eines Blinden – bereits im Mittelalter eine logische Verbindung.

Nicht nur goldene Schwänze

Ein kleines Mädchen soll Martin Luther (1483–1546) gefragt haben, ob Hunde in den Himmel kämen. Luther soll geantwortet haben: „Natürlich, und im Himmel wedeln alle Hunde mit goldenen Schwänzen.“ Ob das stimmt, lässt sich schlecht überprüfen. Zutreffend ist aber, dass es mit Beginn der Neuzeit Versuche gab, die Versorgung von Blinden mit Hunden zur Regel zu machen. In Paris gibt es das Hôpital des Quinze-Vingts. Der Legende nach wurde es für 300 von den Sarazenen geblendete Kreuzritter gegründet, die Ludwig IX. (1214–1270) von seinem ersten Kreuzzug mitgebracht habe. In dem heute noch auf Augenkrankheiten spezialisierten Krankenhaus begann man vermutlich ab 1750 Blinde systematisch mit Hunden zu versorgen. Die „Ausbildung“ der Hunde dürfte damals allerdings durch die Besitzer erfolgt sein. Belegt und dokumentiert ist das für Joseph Reisinger, über den 1813 der Wiener Augenarzt Georg Joseph Beer ausführlich berichtet. Reisinger war mit 20 Jahren erblindet und erhielt Jahre später einen Spitz geschenkt, „um den Geleitsmann zu sparen“. Das gelang ihm so gut, dass er nach dem Spitz zwei weitere Hunde ausbildete, um sie für sich als Führhunde zu nutzen. Ein weiterer Schritt zum „modernen“ Führhund war die Empfehlung von Johann Wilhelm Klein, des Leiters der Wiener Blindenanstalt, im Jahre 1819, der zu einer festen Verbindung zwischen Führhund und Mensch riet. Zusätzlich merkte er an: „Das Abrichten des Hundes sollte, wenigstens anfänglich, durch einen Sehenden geschehen.“ Im Jahr 1847 diktierte der blinde Schweizer Jakob Birrer die „Anleitung zur Selbstausbildung eines Führhundes“ und wies ganz eindringlich darauf hin, dass mit Gewalt nichts zu erreichen ist. Und dass gute Arbeit des Hundes auch gutes und ausreichendes Futter verdient. Das sollte zumindest in Großbritannien ab 1878 kein Problem gewesen sein, denn das britische Parlament befreit Hunde, die von Blinden als Führer gehalten wurden, von den Steuern. Mit der Eröffnung der ersten Blindenführhund-Schule der Welt 1916 in Oldenburg begann die Geschichte der „modernen“ Führhunde.

„Duplo“ führt an der Seite seiner Paten ein sorgenfreies Welpenleben und lernt dabei spielerisch die Welt kennen, durch die er einmal einen Blinden führen wird. Foto: Krause

Der Krieg ist aller Dinge Vater

Die umstrittene Behauptung des griechischen Philosophen Heraklit von Ephesos (um 520 v. Chr. bis um 460 v. Chr.) trifft zumindest für die organisierte Ausbildung von Hunden zu Führhunden von Blinden zu. Denn 37 Kriegsblinde aus Berliner Lazaretten gründeten am 5. März 1916 den Bund erblindeter Krieger. Aufgabe des Bundes war es, für die 3500 Kriegsblinden, die nach dem Ersten Weltkrieg in Deutschland leben, eine angemessene materielle Versorgung und gesellschaftliche Anerkennung zu erstreiten. Bereits im Ersten Weltkrieg gründete der Oldenburger Druckereibesitzer Theodor Heinrich Christian Stalling (1865–1941) den „Deutschen Verein für Sanitätshunde“, aus dem sich später die erste Schule für Blindenführhunde entwickelte. Die Universität Freiburg verlieh ihm in Anerkennung seiner Verdienste auf diesem Gebiet den Dr. med. h. c. Noch im Krieg vermeldete man stolz die Ausbildung von acht Führhunden in Oldenburg. Im Laufe der Jahre wurden weitere Ausbildungsstätten für Führhunde gegründet. Bei allen stand ausschließlich der Kriegsblinde im Fokus der Arbeit. Der Zweite Weltkrieg brachte erneut Soldaten um das Augenlicht und steigerte die Nachfrage nach Führhunden sowohl in der DDR als auch in der BRD. Galt anfänglich die Fürsorge nur Kriegsblinden, setzte sich langsam die Erkenntnis durch, dass nicht nur sie von Blindheit betroffen sind.

Das Notgeld der Stadt Oldenburg in Oldenburg aus dem Jahr 1921 erinnerte an die erste Blindenführhundschule. Quelle: alt-oldenburg.de

Solche und solche Vereine

„Fünf Deutsche – drei Vereine“ – die im Ausland belächelte Neigung der Deutschen, sich zur Pflege gemeinsamer Interessen in Vereinen zusammenzutun, hat mit den von Minister Lauterbach erfundenen Cannabis-Anbauvereinen derzeit eine ganz besondere Hanf-Blüte gezeitigt, die so wohl nur in Deutschland fruchtbaren Boden finden konnte. Es lohnt sich, den Gesetzestext zu verinnerlichen: „Anbauvereinigungen sind eingetragene, nicht-wirtschaftliche Vereine oder eingetragene Genossenschaften, deren Zweck der gemeinschaftliche, nicht-gewerbliche Eigenanbau und die Weitergabe von Cannabis und Vermehrungsmaterial (Samen und Stecklinge von Cannabispflanzen) zum Eigenkonsum sowie die Information ihrer Mitglieder über cannabisspezifische Suchtprävention und -beratung ist. Sie werden nach den Grundsätzen des Vereinsrechts geleitet.“ Ganz anders liest sich die Präambel eines Vereins, der sich seit dem Jahr 2010 ehrenamtlich aber dennoch hochprofessionell mit dem Thema Führhunde beschäftigt: „Der Verein Deutsche Blindenführhunde e.V. ist die einzige Interessenvertretung blinder Menschen in Deutschland, die sich ausschließlich dem Thema Führhund widmet. Wir sind ein anerkannter, mildtätiger, gemeinnütziger Verein, der das nationale Blindenführhundewesen engagiert fördert, pflegt und weiterentwickelt. Deutschlandweit sind wir der kompetente Ansprechpartner bei allen Fragen zum Thema Blindenführhund. Dabei setzten wir uns in gleichem Maße für eine erhöhte Lebensqualität von blinden und sehbehinderten Menschen wie auch ihrer aktiven und pensionierten Hunde ein. Der gleichwertige Fokus auf Menschen und Tier ist dabei Herzstück und Richtschnur aller Vereinsaktivitäten.“

Als Welpen sind selbst Hapfhunde zum
Kuscheln süß. Nur wenige Hunderassen retten
diese Ausstrahlung ins Erwachsenenalter.
Labradore gehören dazu.
© Verein Deutsche Blindenführhunde e.V.

Auf die Kinderstube kommt es an

Auch ein Hundeleben beginnt mit der Geburt – nicht anders als beim Menschen. Und wie beim Menschen sind es auch beim Welpen die ersten Monate, die mitentscheiden, mit welchem Rüstzeug der spätere Blindenführhund in die Ausbildung geht. Deshalb sucht der Verein regelmäßig Patenfamilien, in denen junge Labrador-Retriever die ersten tapsigen Schritte ins Leben machen können. Barbara (58) und Volker (60) – Tochter und Sohn studieren außerhalb – haben mit „Duplo“ bereits den zweiten Hund, dem sie für bis zu 15 Monate die volle Aufmerksamkeit schenken werden. „Es war uns schon beim ersten Hund, ‚unserem Bounty‘, bewusst, dass es nicht leicht sein würde, unseren jungen Hausgenossen einmal zur weiteren Ausbildung abzugeben“, berichtet Barbara im Gespräch mit dem SeMa. „Der Hund hat das leichter weggesteckt, zumal er schon in der Zeit bei uns seinen zukünftigen Ausbilder kennengelernt hatte.“ Und ihr Mann ergänzt: „Bounty ist heute bei einer blinden Berlinerin, die uns am Telefon ganz begeistert von ihren Erfahrungen berichtete. Für sie stellt das Laufen mit dem Führhund ein Quantensprung an Mobilität dar. Ihre Welt ist mit ‚Bounty‘ wieder groß geworden.“ Die Paten bereiten „ihren“ Hund auf seine zukünftige Aufgabe vor. Neben den Grundbefehlen wie „Sitz“, „Platz“ und „Fuß“ erfährt der Hund an ihrer Seite das pralle Leben. Volle Bahnsteige, Fahrten mit Bahn, Bus und Fahrstuhl, laute Straßen, tobende und kreischende, aber auch streichelnde Kinder sind ihm bald nicht mehr fremd. An der Seite seiner Familie gewöhnt er sich an jede Art von Untergründen. Vom Teppich bis zum Gitterrost. Wenn er am Ende seiner Kinderstube auch noch alle Gesundheits- und Wesenstests gut übersteht, dann ist er wie ein junger Spitzensportler für die weitere Ausbildung und seine verantwortungsvolle Aufgabe bestens gerüstet.

Als Gespann sind Andreas Schmelt und „Buddy“ zügig in der Fußgängerzone unterwegs. Foto: Krause

Intelligenter Ungehorsam

Andreas Schmelt ist nicht nur Vorsitzender des Vereins Deutsche Blindenführhunde e.V., sondern er hat als Betroffener selbst ei- nen Führhund an der Seite. Im Gespräch mit dem SeMa berichtete er anschaulich über Theorie und Praxis. „Uns ist wichtig, dass der Hund nicht nur seine Aufgabe erfüllt, sondern artgerecht leben kann. Der Verein hat nicht nur eine eigene Zucht, sondern sorgt über die Patenfamilien für das Welpenprogramm hinaus für spontane Betreuung des Hundes, sollte ‚sein‘ Blinder krank werden oder wenn der Hund altersbedingt in Pension gehen muss. Wir sind“, so Schmelt, „in Sachen Führhund Ansprechpartner für Blinde und ihre Familien.“ Das „blinde Vertrauen“, von dem Schmelt gern lächelnd spricht, hat seine Wurzeln im Wissen darum, dass der Hund eine standardisierte, gründliche Ausbildung durchlaufen hat. Das sind nicht nur 30–40 Hörzeichen wie „voran“, „links“, „rechts“, „Ampel“ oder „Such Zebra“. Auch intelligente Verweigerung ist Teil der Ausbildung. Der Hund lernt, Gefahrensituationen – zum Beispiel eine ungesicherte Baustellengrube – eigenständig zu erkennen und auf einem alternativen Weg zu umgehen. Wichtig ist es auch, dass der Hund räumliches Sehen beherrscht und daraus Schlussfolgerungen zieht. Beispielsweise sicher einen Zebrastreifen anzeigt. Ein Führhund muss zudem erkennen, dass ein niedrig hängender Ast, der für ihn selbst kein Hindernis ist, für den geführten Menschen gefährlich sein kann. Am Ende einer rund 400 Stunden dauernden Ausbildung ist der Hund für seinen blinden Führer ein Gespann-Partner, der nicht nur „blindes Vertrauen“ rechtfertigt, sondern der „seinem“ Menschen weit mehr schenkt als sichere Mobilität. „Blinde, die nur mit dem Blindenstock unterwegs sind, haben ungleich weniger soziale Kontakte, als wenn sie mit dem Führhund laufen“, schildert Andreas Schmelt das Umfeld blinder Menschen. „Der ruhige, gelassene Hund weckt allgemein Sympathie und ist als ‚Door Opener‘ eine Brücke zu anderen Menschen. Das ist nicht zu unterschätzen. Grundsätzlich gilt – wir erleben viel Empathie. Fast alle Menschen sind hilfsbereit.“

Die Kinder sind weitgehend außer Haus – mit „Duplo“ haben Barbara und Volker eine Aufgabe, die beiden viel Freude macht. Foto: Krause

Die Sache mit dem Recht

Das Fünfte Sozialgesetzbuch regelt die rechtliche Situation. Demnach übernimmt die gesetzliche Krankenkasse gemäß § 33 Abs. 1 Satz 5 SGB V die dem Versicherten durch die Anschaffung und Haltung des Blindenführhundes entstehenden Kosten. Regelmäßig entstehende Kosten (u. a. Futterkosten, Impfkosten) werden von der Krankenkasse durch Zahlung eines monatlichen Pauschbetrages abgegolten. So weit, so recht. Da ein ausgebildeter Führhund aber nicht nur mit einmaligen Kosten vom um 40 000 Euro und jahrelangen laufenden Kosten verbunden ist, reißen sich die Kassen nicht zwingend darum, einen Führhund zu bezahlen. Oft gilt es daher etliche Hürden zu überwinden. Hier ist der Verein Deutsche Blindenführhunde e.V. für Betroffene ein kompetenter Ansprechpartner. Ist die Kostenfrage geklärt, steht die entscheidende Frage „passen Mensch und Hund zusammen?“ im Raum. „Man muss keine Hundeerfahrung haben“, erklärt Schmelt. „Wichtig ist vielmehr, dass der Blinde grundsätzlich eine positive Einstellung zu lebenden Wesen hat.“ Wenn dann auch noch nach einem bis zu 28 Tage dauernden Einarbeitungslehrgang mit der bestandenen anschließenden sogenannten „Gespannprüfung“ bestätigt ist, dass Mensch und Hund ein gutes Gespann bilden, dann eröffnet sich dem blinden Gespann-Partner die Tür zu einer neuen Mobilität!     

Eine ganze Reihe von Hunderassen eignet sich als Blindenführhund. Waren es zu Beginn vornehmlich Schäferhunde, die zur Ausbildung als Blindenführhund herangezogen wurden, so arbeiten Führhundeschulen in Deutschland heute oft mit Labradoren, Labradoodles oder Golden Retrievern. Gemeinsam ist diesen intelligenten Hunden ein gutmütiges, fröhliches Wesen und eine große Anhänglichkeit an ihre Menschen. Sie sind sensibel und friedlich. Hinzu kommt ein ausgeprägter Drang, seinem Menschen gefallen zu wollen. Diese Hunde freuen sich über jedes Lob. Gleichzeitig sind sie vielseitig und belastbar. Zu Fremden sind sie ebenso freundlich wie zu ihrem eigenen Menschen und zeigen wenig Misstrauen.

Als gemeinnütziger Verein ist der Deutsche Blindenführhund e.V. auf Spenden interessierter und engagierter Menschen angewiesen. Für eine Unterstützung seiner Arbeit für blinde und sehbehinderte Menschen und Blindenführhunde ist man daher sehr dankbar.
Bankverbindung: GLS Bank, Deutsche Blindenführhunde e.V., IBAN: DE33 4306 0967 1032 2847 00

F. J. Krause © SeMa 

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