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Aufklärer Kant

Er gab dem Hirn die Flügel

Denker brauchen Denker, um sich an ihnen zu reiben. So auch Kant. Bei seinen regelmäßigen Tischrunden dürfte es hoch hergegangen sein. Aber Bier gab es nicht, denn das mochte der Professor nicht.

Nie gab es mehr Aufklärung als heute. Und wem ist das zu verdanken?

Für den früheren Dunkelbereich unterhalb des Bauchnabels natürlich Oswald Kolle. Da dessen professorale Art nicht jeden Geschmack traf, waren es dann rund 60 Report-Filme, die dem Bundesbürger den Aufklärungs-Spiegel vorhielten. Parallel mit dem Siegeszug des Fernsehens entwickelte sich eine weitere, wohnzimmerverträgliche und jugendfreie Aufklärer-Zunft – die der Oberinspektoren und Kommissare.

In unzähligen Folgen klärten Horst Tappert und Erik Ode auf. Heute hat fast jede Stadt mit Selbstachtung einen fernsehtauglichen Aufklärer. Welche Rolle in der Aufklärung würde sonst die Widertäufer-Stadt Münster spielen, gäbe es dort nicht bereits seit 1998 Georg Wilsberg (Leonard Lansink) und seit 2002 Kommissar Frank Thiel (Axel Prahl) und den Rechtsmediziner Prof. Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers)? Fast jedem fällt auf Anhieb der Name eines Aufklärers ein.

Aber Immanuel Kant – in welcher Serie ist der denn aktiv?

Lüneburg ist immer einen Besuch wert – und das Ostpreußische Landesmuseum mit der Immanuel-Kant-Sonderausstellung liegt in der wunderschönen Altstadt. Foto: Krause

Keine Serie – eine ganz andere Liga

Immanuel Kant wurde vor dreihundert Jahren am 22. April in Königsberg, dem heutigem russischen Kaliningrad, geboren. Er war weder Oberinspektor noch Kommissar, sondern Professor für Philosophie und setzte sich mit den existenziellen Fragen des menschlichen Seins kritisch auseinander. Was Kant und die von ihm in Deutschland wesentlich beeinflusste Aufklärung letztlich für Könige von Gottes Gnaden wie auch für Diktatoren von heute so gefährlich macht, fasst die Uni Bonn so zusammen: „Die Aufklärung betont die moralische Autonomie des Individuums ebenso wie die Unveräußerlichkeit der politischen Rechte für alle Menschen. Absicht der Aufklärung ist es, traditionelle Vorurteile in Religion, Staat und Gesellschaft hinter sich zu lassen. Die Aufklärung verteidigt die Prinzipien von Kritik und Emanzipation und spricht sich für eine wissenschaftsbasierte Orientierung in der Welt aus. Die Ideen der Aufklärung verstehen sich als universell: Alle Menschen gelten als gleich, unabhängig von Geschlecht, Religion, Nationalität, ethnischer Herkunft oder sexueller Orientierung. Kant ist einer der bedeutendsten Vertreter der europäischen Aufklärung und fügt dieser Bewegung viele entscheidende Überlegungen hinzu.“

Johannes Heydeck,
Immanuel Kant,
Öl auf Leinwand, 1872.  
© Ostpreußisches Landesmuseum /
Leihgabe Stiftung Königsberg

Die Gedanken sind frei?

In George Orwells Science-Fiction Roman „1984“ gehört die Gedankenpolizei zum Repertoire der Unterdrückungsmechanismen totalitärer Staaten. 40 Jahre später ist nicht nur in China Orwells Romanwelt Wirklichkeit geworden. Was in der Feuerzangenbowle heiteres Geplänkel ist: „Sie sollen aber nicht denken.“ „Er denkt ja schon wieder“. „Er denkt ja immer noch.“ Das selbstständige Denken war zur Kants Zeiten eine gefährliche Angelegenheit. Das gilt für etliche Staaten auch heute noch. Zu groß war und ist der Wunsch von Politiken in Diktaturen oder Klerikern wie zum Beispiel im Iran, für andere mitzudenken. Nicht von ungefähr entstand der Text zum Lied „Die Gedanken sind frei“ in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Aus gutem Grund heißt es da: „Und sperrt man mich ein im finsteren Kerker ...“  Der Professor in Königsberg dachte aber nicht wie im Lied „In der Still“ und „wie es sich schicket“, sondern trug seine Gedanken ganz öffentlich vor und publizierte sie auch noch sehr erfolgreich. Unter König Friedrich dem Großen war das kein Problem. In seinem Preußen konnte „ein jeder nach seiner Fasson selig werden.“ Sein Neffe und Nachfolger sah das ganz anders und verbot Kant per Kabinettorder, weiter laut über Religionsfragen nachzudenken. Die Gedanken waren damals nicht frei und sind es in vielen Teilen der Welt auch heute noch nicht. Das Gedankenfreiheit aber zumindest in demokratischen Staaten inzwischen Realität ist, verdanken sie nicht zuletzt einem Mann, der dachte und das aufschrieb – Immanuel Kant.

Im Museum in Lüneburg gibt es im Café Bernstein nicht nur süße, sondern auch herzhafte Angebote. Natürlich auch Königsberger Klopse. Unbekannt ist, ob Kant die mochte. Sicher ist aber, dass er gern drei Gänge auftischen ließ – oft dabei: dicke Erbsen,
Teltower Rübchen; Göttinger Wurst, Linsenbrei,
Pudding und weißer englischer Käse. Selbstverständlich gab es zu jeder Mahlzeit Senf. Foto: Krause

Und was dachte der denn so?

Zum Beispiel so gefährliche Sachen wie „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen.“ Kants Kollege in Göttingen, der Professor für Experimentalphysik Georg Christoph Lichtenberg (1742–1799), formulierte es ähnlich „Lass dich nicht an-stecken, gib keines andern Meinung, ehe du sie dir anpassend gefunden, für deine aus; meine lieber selbst.“ Im Unterschied zu Kant vertraute der Göttinger den Satz einem seiner „Sudelbücher“ an, die erst nach seinem Tod publiziert wurden. Selbst denken braucht Mut – denken lassen macht unfrei. Lapidar stellte Kant deshalb auch fest: „Wer sich zum Wurm macht, kann nachher nicht klagen, wenn er mit Füßen getreten wird.“ Schon Kants Anhänger und Zeitgenossen hatten Probleme damit, dass nicht alle Lehrsätze des Professors so griffig sind, wie die Aufforderung, den eigenen Verstand zu benutzen. „Man sollte Kant ins Deutsche übersetzen“, so Friedrich von Schlegel (1772–1829), „vielleicht ginge da den Schülern ein Licht auf.“ Übersetzung – also eine gewisse Erläuterung – benötigt bis heute der bedeutendste Lehrsatz Kants, der ...

Kategorische Imperativ

Den Begriff kennen sogar Menschen, die mit „Kant“ mehrheitlich das Kantholz und mit Königsberg spontan Klopse mit Kapernsoße in Verbindung bringen. Was aber ist der kategorische Imperativ? „Kategorisch“ steht für: „keinen Widerspruch duldend“, und „Imperativ“ ist die Befehlsform. Gemeinsam also ein Befehl, der keinen Widerspruch, kein Wenn und Aber duldet. Bei Immanuel Kant liest sich das so: „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“ Das heute nur noch selten genutzte Wort „Maxime“ steht für Lebensregel und moralischen Kompass, der vor jeder Entscheidung befragt werden sollte. Das könnte zum Beispiel die Frage sein, ob es richtig ist, sich nach dem fünften Glas Bier noch hinters Steuer zu setzten. Was aber, wenn das alle täten, wenn angetrunken Auto zu fahren ein „allgemeines Gesetz würde“? Ja, das will natürlich keiner. Kants kategorischer Imperativ funktioniert ganz einfach und ist bei jenen, die ihn anwenden, äußerst wirkungsvoll.

Nicht nur in der Philo-
sophie – verbürgt ist, dass Kant zu fast allen Speisen seinen von ihm selbst gemachten Senf dazugab. Stich von A. R., nach einer Zeichnung von Carl Friedrich
Hagemann (1801), 1844.
© Ostpreußisches Landesmuseum / Leihgabe Stiftung Königsberg

Kant in Lüneburg

Es wird eine Sondermünze und eine Sonderbriefmarke geben. Und obwohl Kants Geburtstag am 22. April ein Samstag war und der 22. April in diesem Jahr auf einen Montag fällt, sind Sonntagsreden zu erwarten. Ganz konkret wird Kant ab dem 23. April in einer Sonderausstellung des Ostpreußischen Landesmuseums in Lüneburg in der Heiligengeiststraße 38 zu erleben sein. In der historischen Altstadt gelegen, bietet das Museum Gelegenheit, in die Welt des Professors mit Langzeitwirkung einzutauchen. Das Museum verspricht: „Zu sehen sind einzigartige, zum Teil noch nie öffentlich gezeigte Originalobjekte: Haare von Kant, sein Spazierstock, zahlreiche Ölgemälde, das ‚Kant-Glas‘ mit persönlichen Gravuren und vieles mehr, Kurioses wie Erhellendes. Im Mittelpunkt der Ausstellung steht die Person Kants, nicht seine Philosophie. Wie wurde aus dem Handwerkersohn ein Gelehrter? Warum spielte Kant Billard? Wer waren seine Freunde? Fast sein gesamtes Leben verbrachte Immanuel Kant in seiner Heimatstadt Königsberg. Virtual-Reality-Stationen lassen das historische Königsberg aus der Zeit Kants in 3D wieder auferstehen und bieten spielerische Zugänge zu seinen Ideen.“ Die Sonderausstellung ist sozusagen eine Ouvertüre zu einer umfangreichen Kant-Dauerausstellung, die 2025 in Lüneburg eröffnet wird.

Kant heute

Das SeMa hat nachgefragt, wie die Kirchen, wie der Hamburger Senat heute zu Kant stehen. Feiern sie das Jubiläum mit und welche Rolle spielt Kant bei Senatsentscheidungen?

SeMa: Wie steht die Kirche zu Kant – feiert sie mit?

Natürlich feiern wir mit. Denn kein Philosoph war für die evangelische Theologie so einflussreich wie Kant. Er war keineswegs nur ein Gegner der christlichen Religion, sondern viel mehr einer, der sie reformieren wollte. Er wollte „dem Glauben Platz schaffen“, indem er ihn einer kritischen Umformung unterzog. Darin ist er von großer Bedeutung – bis heute.

Dr. Johann Hinrich Claussen, früher Hauptpastor und Propst in Hamburg, heute Leiter des Kulturbüros des Rates der evangelischen Kirche in Deutschland.

Dr. Johann Hinrich Claussen.
© Kulturbüro der EKD,
Andreas Schoelzel

Immanuel Kant ist eine große Persönlichkeit nicht nur der deutschen Geschichte, sondern auch der Philosophiegeschichte insgesamt, die in kirchlichen und theologischen Diskursen gleichsam kritisch wie zustimmend gewürdigt wird. Seine Philosophie hat im kirchlichen Bereich Diskussionen ausgelöst, aus denen einige auch kirchlich wichtige Erkenntnisse erwachsen sind. In der Auseinandersetzung um das Verhältnis von Glauben und Vernunft etwa wird man um Kant nicht herumkommen. Große Theologen wie Joseph Ratzinger und Karl Rahner haben sich insofern mit unterschiedlicher Nähe und Distanz mit Kant befasst, etwa mit seinem Gottespostulat durch praktische Vernunft. Den Anstößen der Kantischen Philosophie folgen wesentliche Beiträge zur Verhältnisbestimmung von katholischer Kirche und Moderne. Wie man diese denkerisch einordnet, wird natürlich kontrovers diskutiert. Aber man wird sagen können, dass ein Theologiestudium, in dem der Name Kant nicht fällt, kaum vorstellbar ist. Und welche größere Würdigung könnte einem Philosophen zukommen als die der kritischen Auseinandersetzung?

Dr. Andree Burke.
© Matthias Schatz

Dr. Andree Burke, Leiter der pastoralen Dienststelle des Erzbistums Hamburg.

Den Hamburger Senat haben wir gefragt: „Werden im praktischen politischen Handeln in Hamburg Kants Prüfkriterien berücksichtigt?“ 

Allein die Pressestelle des Senats hat gemäß Internet 19 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Sie sind ausschließlich verantwortet für die Medien- und Öffentlichkeitsarbeit des Ersten Bürgermeisters, des Senats und der Senatskanzlei. Selbstverständlich gibt es für alle Senatoren eigene Presseleute. Doch weder der Leiter der Senatspressestelle Marcel Schweitzer noch seine Stellvertreterin Julia Offen beantworteten die schlichte Frage nach Kant.

Fazit: Kant kam nur bis Lüneburg!        

 

F. J. Krause © SeMa

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