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Wahlen zum Europäischen Parlament

– selbst wer raus will, möchte reinkommen!

Seit 1979 besteht das Europäische Parlament. Seine Tagungsorte sind Brüssel und Straßburg. Die Mitgliederzahl wuchs von 434 Abgeordnete auf in 2024 zu wählende 720 Volksvertreter aus 27 Ländern mit insgesamt 450 Millionen Einwohnern. Es wird alle fünf Jahre in allgemeinen, unmittelbaren, freien, geheimen, aber nicht gleichen Europawahlen von den Bürgern der EU gewählt. Damit ist das Europäische Parlament das einzige direkt gewählte Organ der Europäischen Union und die einzige direkt gewählte supranationale Institution weltweit. Selbst jene Politiker, die gegen die Europäische Union sind, möchten da nicht fehlen. So sind es allein in Deutschland 33 Parteien und Gruppierungen, die für alle Bundesländer kandidieren. Hinzu kommen die CSU nur für Bayern sowie die CDU-Landesverbände je für ihr eigenes Bundesland. Sie alle wollen weiter oder zukünftig im Europäischen Parlament vertreten sein.

Besser als 6 aus 49

Die Chance, beim Lotto 6 Richtige mit Superzahl zu treffen, steht 1 zu 139.838.160, bei 6 Richtigen immer noch ungünstige 1 zu 15.537.573. Also eigentlich ziemlich schlecht. Häusliche Unfälle mit Todesfolge gab es 2022 in Deutschland dagegen 15.551. Davon betraf gut 90 % die Altersgruppe 65 Jahre und älter. So traurig es ist – die „Chance“ eines tödlichen Unfalls im häuslichen Umfeld ist ungleich höher als die eines großen Lottogewinns. Noch besser stehen allerdings die Chancen der 1.331 Kandidatinnen und Kandidaten, bei den Wahlen einen der 96 deutschen Plätze im Europäischen Parlament zu ergattern. Das führte dazu, dass allein die FDP 194 Kandidaten und die SPD vergleichsweiser bescheidene 96 Bewerber auf den gemeinsamen Listen für alle Länder aufgestellt hat. Bei bisher 7 bzw. 16 Europäischen Parlamentariern dieser Parteien wurde ganz offensichtlich Luft nach oben identifiziert. Selbst die AfD, die eigentlich die EU verlassen möchte, schickt 4 Frauen und 31 Männer ins Rennen um die begehrten Europäischen Parlamentsplätze. Allerdings hinkt der Vergleich mit dem Lotto. Denn anders als da entscheidet nicht Fortuna über den Hauptgewinn, sondern der Listenplatz. Wer da weit unten steht, hat sozusagen von vornherein eine Niete gezogen.

Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer

... und eine Oma noch längst kein Altersheim. In den Anfängen des Europäischen Parlaments war gelegentlich der Slogan „Hast du einen Opa, dann schick ihn nach Europa“ zu hören. Und tatsächlich war das Durchschnittsalter der dortigen Parlamentarier höher als jenes ihrer Kollegen in den nationalen Parlamenten. Positiv interpretiert – nur die besten und erfahrensten Politiker aus allen Ländern der EU sollten hier am Aufbau eines geeinten Europas mitwirken. Negativ gedeutet, ergab sich diese Sicht: Politiker, die in ihren Ämtern oder Parteien in eine Sackgasse geraten waren und noch „untergebracht“ und versorgt werden mussten, wurden nach Europa „entsorgt“. Das- mit der 66-jährigen Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann eine Oma und Seniorin die Liste der FDP anführt, ändert nichts an einem Umkehr-Trend in der Altersstruktur der Bewerber. Da gilt – etwas überspitzt gesagt – je jünger, desto besser. Ein Beispiel dafür ist die 1998 geborene Rosa Domm, die sich so vorstellt: „2017 bin ich als Studentin in Hamburg bei B90/DIE GRÜNEN und der Grünen Jugend eingetreten und dafür streite ich heute als Politikerin in der Hamburgischen Bürgerschaft in der Grünen Fraktion. Für die Europawahl kandidiere ich auf Platz 21 der Europaliste von B90/DIE GRÜNEN“. Berufstätig war Frau Domm nicht – immerhin kann sie ein abgeschlossenes Studium vorweisen. Das unterscheidet sie von anderen Spitzenpolitikern. Längere Berufserfahrungen scheinen inzwischen in der Politik für eine Karriere eher hinderlich zu sein. Parteiübergreifend gilt hier: „Der junge Vogel fängt den Wurm.“

Und der ist nicht zu verachten

Das monatliche Gehalt eines MdEP beträgt 10.075,18 EUR brutto und 7.853,89 EUR netto nach Abzug von EU-Steuern und Versicherungsbeiträgen. Die Mittel stammen aus dem Haushalt des Parlaments. Die Mitglieder des Deutschen Bundestages erhalten eine monatliche „Abgeordnetenentschädigung“ in Höhe von 10.591,70 EUR (Stand 1. Juli 2023). Die Freizeit-Parlamentarier der Hamburger Bürgerschaft können sich immerhin noch über monatlich brutto 4.281 Euro freuen. Hinzu kommen bei allen Abgeordneten Aufwandspauschalen, Sitzungsgelder und weitere Zuwendungen. Und da es bei Parlamentariern kein „Einstiegsgehalt“ gibt, machen die Jungeinsteiger einen Einkommenssprung, von dem andere Bürger nur träumen können. Hohe Abgeordnetendiäten sollten in ihren Ursprüngen auch gut verdienenden Selbstständigen und Menschen mit Berufserfahrungen in leitenden Positionen den Wechsel in die Politik erleichtern. Heute verlocken sie junge, politisch engagierte Frauen und Männer möglicherweise dazu – teilweise sogar ohne abgeschlossene Ausbildung – mit keiner oder nur kurzer Berufserfahrung politisch Karriere zu machen.

Rente mit 63

Nicht zuletzt erhalten die EU-Parlamentarier eine großzügige Regelung der Altersversorgung. Gehört ein Abgeordneter dem Parlament volle 10 Jahre an, bekommt er mit 63 Jahren aus dieser Tätigkeit ein Ruhegehalt. Es beträgt 3,5 % des Gehalts für jedes volle Jahr seiner Amtszeit und ein Zwölftel davon für jeden weiteren vollen Monat, insgesamt jedoch nicht mehr als 70 %. Stand heute sind das 3.526,31 Euro brutto. Auch wer es nur für eine Legislaturperiode nach Europa geschafft hat, kann sich mit 63 Jahren über monatlich 1.769,15 Euro brutto Ruhegehalt freuen. Zum Vergleich: Wer 45 Jahre lang arbeitet und in jedem Jahr 2 Rentenpunkte erreicht, sammelt in seinem gesamten Berufsleben 90 Rentenpunkte. In Deutschland beträgt die Höchstrente derzeit somit maximal 3.538,30 Euro brutto monatlich. Dem Rentenversicherungsbericht 2022 ist zu entnehmen, dass lediglich 50 Rentner es geschafft haben, monatlich über 3.000 Euro brutto Rente zu bekommen. Es ist also nicht nur ehrenvoll, in eines der Parlamente einzuziehen.

Wenn nicht ein Wunder geschieht, wird Svenja Hahn (34) von der FDP wie schon seit 2019 die Hamburger Fahne im
Europäischen Parlament allein hochhalten. Foto: Krause

Hamburg in Europa

Mit berechtigtem Stolz nennt sich die Hansestadt das „Tor zur Welt“. Doch wenn es um Europa geht, besteht Nachholbedarf. Hamburg hat 1.910.160 Einwohner. (31. Dez. 2023). Nach Abzug nicht wahlberechtigter Ausländer verbleiben rund 1.635.000 Deutsche und EU-Ausländer, die für das Europäische wahlberechtigt sind. Deutschland hatte 2023 84,6 Millionen Einwohner. Davon waren 5,1 Millionen aus EU-Ländern und weitere 8,8 Millionen aus Ländern außerhalb der Europäischen Union. Wird nur die Einwohnerzahl zugrunde gelegt, dann wohnen in Hamburg 2,3 % aller in Deutschland lebenden Menschen. Demzufolge ständen Hamburg gut 2 der begehrten 96 Europa-Abgeordnetenplätze zu. Die bisherige Realität ist, dass mit Svenja Hahn von der FDP lediglich eine Hamburgerin in Europa vertreten ist und es mit Listenplatz 2 wohl auch weiter sein wird. Frau Hahn ist ein klassisches Beispiel für einen „jungen Vogel“. Nach abgeschlossenen Studiengängen von Geschichts- und Kulturwissenschaften sowie Medienwissenschaft arbeitete sie von März 2015 bis zum Juli 2019 in der Public-Relations-Abteilung der edding International GmbH, bis sie als 29-jährige ins Europaparlament wechselte. Der Listenplatz 21 wird für Rosa Domm von den Grünen wohl ebenso wenig reichen, wie für Laura Frick von der SPD der 19. Listenplatz. Immerhin könnte mit dem Spitzenkandidaten vom „Bündnis Sahra Wagenknecht – Vernunft und Gerechtigkeit (BSW)“, dem 1980 geborene Fabio De Masi, ein früherer Hamburger den Sprung nach Europa schaffen. Denn De Masi hatte zuvor das Parteibuch der Hamburger Linken und saß für sie im Bundestag. Da er inzwischen seinen Lebensmittelpunkt in Berlin hat, wird wohl Frau Hahn weiter allein die Hamburger Fahne in Europa hochhalten müssen.

„Wahlen“ und Wahlen

Gewählt wird auf der ganzen Welt. Auch dort, wo zuvor dafür gesorgt wurde, dass es keine oder kaum Opposition gibt. Russ-land, Indien, China – die Reihe ließe sich beliebig verlängern. Denn leider sind die Demokratien auf dem Rückzug. Auch in der EU bröckelt es an den Rändern. Autokraten und Militärdiktaturen scheinen in Mode zu kommen. Die Wahlbeteiligung bei den Europawahlen lag in Deutschland 2019 bei lediglich 61,4 %. Bei den Wahlen für die Hamburger Bezirksversammlungen – dort, wo ehrenamtlich die politische Kärrnerarbeit geleistet wird – lag sie 2019 mit 58 % noch niedriger. Wertschätzung für freie Wahlen sieht anders aus. Dabei ist es in Deutschland so einfach, seine Stimme abzugeben und damit die Demokratie zu stärken. Warum eigentlich keine Wahlpflicht einführen? Das Zahlen von Steuern ist ja auch nicht beliebig. Derzeit gibt es weltweit etwa 30 Staaten, in denen die wahlberechtigten Bürger der Pflicht zur Wahl unterliegen. Zu ihnen gehören zum Beispiel Brasilien, die Türkei, Ägypten, Luxemburg, Belgien, Italien, Griechenland und Australien. In den meisten Ländern wird dem Bürger zwar eine Strafe angedroht, allerdings wird diese meist nicht durchgesetzt. Trotzdem ist es auffällig, dass die Wahlpflicht in vielen Ländern zu einer hohen Wahlbeteiligung führt.
Ein Tipp: nach dem Motto „Erkenne dich selbst“ bietet der Wahl-O-Mat im Internet eine bemerkenswerte Hilfestellung an, zu ermitteln, welche Partei wohl die besten Voraussetzungen bietet, die eigenen politischen Ziele verwirklicht zu sehen. https://www.wahl-o-mat.de/europawahl2024.    

 

F. J. Krause © SeMa

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