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Teures Pflaster Pflegeheim

Eigenanteil für Pflegeplatz steigt trotz mehr Zuschuss vom Staat

Es war – eigentlich – eine gute Nachricht für Menschen in Pflegeheimen: Die Zuschüsse zum Eigenanteil, den Pflegebedürftige selbst für Pflege und Unterbringung zahlen müssen, steigen ab Januar 2024: Vater Staat hatte das Pflegeunterstützungs- und Ent-lastungsgesetz (PUEG) auf den Weg gebracht, um etwa der Mutter im Heim stärker unter die Arme zu greifen: Seit 2022 gewähren die Pflegekassen Zuschüsse zum Eigenanteil, gestaffelt je nach Aufenthaltsdauer im Heim. Im ersten Jahr zahlt die Kasse 15 Prozent (vorher 5 Prozent), im zweiten 30 Prozent (vorher 25 Prozent), im dritten 50 Prozent (vorher 45) und im vierten Jahr 75 Prozent (vorher 70 Prozent). D. h., in den Anfangsjahren sind Leben und Pflege im Heim teurer, da die Pflegekassen erst ab dem dritten Jahr einen größeren Teil der reinen Pflege- und Betreuungskosten tragen. Erst spät kümmert sich der Staat um seine Alten.

Teilkasko

Denn die Pflegeversicherung zahlt nicht alles für die Pflege. Sie ist, so heißt es offiziell, nur eine sogenannte Teilkostenver-sicherung. Was sie zahlt, hängt vom individuellen Pflegegrad ab. Der gibt an, wie schwer pflegebedürftig jemand ist – und wie viel er bekommt. So bedeutet Pflegegrad 2 einen Zuschuss von 770 Euro, 3 = 1.262 Euro, 4 = 1.775 Euro, und 5 bringt 2.005 Euro. Ab Januar 2025 steigen die Beträge um jeweils 4,5 Prozent.

Pflegegrad und Zuschuss

Je höher also der Pflegegrad, desto höher der Zuschuss. Aber: Für den Teil der Pflegekosten, der nach den pflegegradabhängigen „Leistungen“ übrig bleibt, stellt das Pflegeheim eine Rechnung aus. Hier steht dann schwarz auf weiß, was an Eigenbeteiligung fällig wird. Monat für Monat. Das ist erstens: der einrichtungseinheitliche Eigenanteil an der pflegerischen Versorgung, im Pflegedeutsch abgekürzt EEE. Dieser bleibt für alle Pflegegrade gleich. Zweitens: die Ausgaben für Unterbringung und Verpflegung, die sogenannten Hotelkosten. Drittens. die Ausgaben für den Erhalt und die Modernisierung von Gebäuden oder technischen Anlagen, die sogenannten Investitionskosten. Sie fallen an, wenn Bäder oder Aufenthaltsräume renoviert werden.

Was wird gezahlt?

Alle Positionen schlagen per Saldo beim Bewohner massiv auf  – und  immer stärker zu Buche. So führt das Wort „Versicherung“ im Begriff „Pflegeversicherung“ auf den falschen Weg. Denn der Pflegebedürftige ist alles andere als komplett ver- und gesichert, wenn er im Alter ein Pflegeheim wählt. Der Grund: Die „Leistungen der Pflegeversicherung“ werden nur auf die Kosten für die Versorgung durch das Pflegepersonal angerechnet. Alles andere, was Leben und Betreuung noch ausmacht, muss aus dem eigenen Portemonnaie kommen. Dabei tragen alle dazu bei, dass diese Pflegeversicherung gefüllt ist, zumindest die, die einen sozialversicherungspflichtigen Job haben. Manche wissen gar nicht, wie man den Lohnzettel liest: Hier versteckt sich das unscheinbare Kürzel: PV. Es steht für Pflegeversicherung und bedeutet (seit 1. Juli 2023), dass allgemein 3,4 Prozent des Bruttoeinkommens abgezogen werden, Kinderlose zahlen 4 Prozent. Personen mit 2 Kindern unter 25 Jahren 3,15 Prozent (jeweils gemindert um den Arbeitgeberanteil). Mit diesem Geld soll die Pflegeversicherung das Leben im Alter sichern: Aber die Kosten für Heime schießen ins Kraut – trotz Pflegeunterstützungs- und -entlastungsgesetz. Die Gründe, die das Portemonnaie aufhalten muss, liegen auf der Hand: Die gestiegenen Baukosten machen etwa die neuen Fliesen im Bad zu einer kostspieligen Sache. Öl und Gast und Strom werden teurer. Das Pflegepersonal bekommt mehr Geld, um gute Pflege zu sichern und um überhaupt genug Personal für diese Arbeit zu begeistern – und es im Haus zu halten. Da die Zuschüsse der Pflegeversicherung je nach Pflegegrad ein Festbeitrag sind, wirken sich Erhöhungen der Personalkosten direkt auf den Eigenanteil aus.

Was kostet was?

Was bedeutet das nun derzeit in Heller und Pfennig? Das Gute vorab: Wer ein Heim betreibt, muss eine geplante Erhöhung bei Aufsichtsgremien beantragen, begründen und genehmigen lassen und die Kosten für die Bewohner aufschlüsseln. Wer hier an Grenzen stößt, kann kündigen. Diese Möglichkeit ist aber rein theoretisch. Viele pflegebedürftige Menschen und Angehörige sind froh, einen Heimplatz gefunden zu haben – wenn sie nicht den (kostengünstigeren) Ausweg, die Pflege zu Hause, wählen. Denn: Der Staat gibt zwar seit 2024 mehr dazu, aber es kommt auch mehr aus der privaten Schatulle. So lag der „einrichtungseinheitliche Eigenanteil“ 2022 als Teil der Pflege- und Betreuungskosten im Bundesdurchschnitt bei 1.245 Euro. Dieser Eigenanteil für die pflegerische Versorgung ist für alle mit Pflegegrad 2 bis 5 gleich hoch. Er kommt zu den Nebenkosten (Unterkunft, Essen, Investitionskosten) hinzu – und macht den Kohl fett. Denn: Er wird weiterhin nicht bezuschusst – obwohl er steigt. Unterm Strich: Die durchschnittliche Zuzahlung im Pflegeheim für das erste Jahr im Heim lag nach Abzug der gesetzlichen Leistungen im Juli 2022 noch bei 2.248 Euro (plus dem Betrag, den die Pflegeversicherung übernimmt), im Juli 2023 waren es 2.610 Euro, so der Verband der Ersatzkassen. Die staatliche Regelung der Pflege und das Sozialgesetzbuch XI, auf denen alles beruht, sind dann auch für Kritiker nicht dazu angetan, die stationäre Pflege zu beflügeln.

Dr. Martina Hasseler.
Foto © Babette Lorenz

Frau und Pflege

Martina Hasseler, Professorin für Klinische Pflege, Hochschule Ostfalia und Mitglied der „Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung“: „Das System der Pflege belastet die Einzelnen und mindert Renten. Ob die Reform ab 2024 Verbesserungen für Pflegebedürftige im Heim und zu Hause mit sich bringt, bleibt zu hoffen. Das SGB XI finanziert keine Pflege, sondern war dazu gedacht, dass eine Frau zu Hause bleibt. Die Reform dient dazu, ein insuffizientes SGB am Leben zu erhalten. Wenn Menschen zu Hause gepflegt werden wollen und können, müssen die Bedingungen dafür aber nicht nur finanziell gestärkt werden.“ Hasseler verweist darauf, dass angesichts der demografischen Alterung der Bedarf an professioneller und privater Pflege steigt und zur Kostendämpfung immer mehr auf Angehörige gesetzt wird: „Es sind oft die Frauen, die die unentgeltliche Betreuung übernehmen müssen. Wir brauchen eine Versicherung, die eine bedarfsangemessene Pflege zahlt. Das macht das SGB XI nicht. Seine limitierten Leistungen dienen nur als Ersatz der Angehörigenpflege, mehr nicht.“

Pflegerisiko

Der Sozialverband VdK schlägt in die gleiche Kerbe, die Pflege werde zum privaten Risiko. Die Zuschüsse kosten die Pflegeversicherung bundesweit jährlich über fünf Milliarden Euro, ohne  dass der Eigenanteil sinke. Ein monatlicher Eigenanteil von rund 2500 Euro im ersten Jahr „karikiert den Begriff Versicherung“, so der Bundesverband.

Pflege in Hamburg

Und wie sieht es in Hamburg aus? Klaus Wicher, Hamburg-Chef des Sozialverbandes SoVD, hält wenig vom neuen Entlastungsgesetz: „Die Zuschläge sind zwar erhöht worden, aber sie wirken nicht. Menschen am unteren Rand der finanziellen Möglichkeiten oder im Grundsicherungsbezug bleibt am Ende nur ein Taschengeld von rund 100 Euro. Das ist menschenunwürdig. Ein paar Hundert Euro mehr sind ein Schlag ins Gesicht pflegender Angehöriger, die seit Jahren die Kassen entlasten. Die zusätzlichen Kosten für Entlastung durch Pflegedienste sind damit weiterhin für viele kaum aufzubringen.“ Er fordert, die Pflegeversicherung zu einer Vollversicherung umzuwandeln.

 

Eigenanteil Hamburg

Die Landesvertretung Hamburg im Verband der Ersatzkassen (vdek) legt Zahlen auf den Tisch, Sie zeigen: Pflegebedürftige in Hamburger Pflegeheimen müssen im Vergleich zum Vorjahr erneut höhere monatliche Eigenanteile zahlen. Zwei kleine „Aber“ trösten kaum. Die Steigerung ist geringer als im Vorjahreszeitraum, da die EEE-Zuschüsse für 2024 erhöht wurden. Zum an-deren liegt Hamburg mit 2.385 Euro (ges. Eigenbeteiligung im ersten Jahr, dazu ein Zuschuss von 162 Euro) im Ländervergleich im hinteren Feld und unter dem Bundesdurchschnitt. 2023 kostet ein Heimplatz in Sachsen-Anhalt im ersten Jahr durchschnittlich 1.868 Euro, im Saarland 2.847 Euro. Aber: Wer will im Alter umziehen in ein Heim, das weit weg liegt? Dennoch: Der Eigenanteil, der die reinen Pflegekosten umfasst, ist im Vorjahresvergleich für Hamburger Heime um 154 Euro, im Landesdurchschnitt auf 1096 Euro, gestiegen (01.01.23: 942 Euro). Er ist nur ein Pflaster auf der klaffenden Kostenwunde. Stefanie Kreiss; vdek-Sprecherin aus Hamburg: „Nach Ansicht des vdek bietet das Pflegeunterstützungs- und Entlastungsgesetz keine Perspektive für eine langfristige Lösung. Unter anderem haben die Zuschläge zur Verminderung der Eigenanteile in Pflegeheimen zwar abbremsende Wirkung, aber sie sind zu gering, um die allgemeine Kostensteigerung wettzumachen. Die Lösung des Kernproblems, eine grundlegende Finanzierungsreform der sozialen Pflegeversicherung, wurde mit dem PUEG weiter vertagt.“

Pflege + Unterkunft + Essen

Neben dem EEE fallen Kosten für Unterkunft und Verpflegung an – sie steigen in Hamburger Heimen um 46 auf 880 Euro pro Monat (01.01.23: 834 Euro). Die Investitionskosten erhöhten sich um 6 auf 573 Euro monatlich (01.01.23: 567 Euro). Summa summarum erreicht die gesamte Eigenbeteiligung nun die stolze Summe von durchschnittlich 2.385 Euro monatlich im ersten Heimjahr. Das sind 89 Euro mehr als im Vorjahr (2.296 Euro). Im zweiten sind es derzeit 2.220 Euro, 112 Euro mehr (01.01.23: 2.108 Euro). Im dritten sind 2.001 Euro aus eigener Tasche zu bestreiten, ein Plus von 82 Euro (01.01.23: 1.919 Euro). Kathrin Herbst, Leiterin der Landesvertretung Hamburg, erinnert an eine Hamburger Besonderheit: „Die Finanzierung eines Pflegeheimplatzes darf die Menschen nicht finanziell überfordern. Würde Hamburg sein politisches Versprechen einlösen und die Investitionskosten vollumfänglich übernehmen, würden Pflegebedürftige um bis zu 573 Euro entlastet.“

Hamburger Kosten

Die Zahlen der Ersatzkassen zeigen Durchschnittswerte. Wie sieht es beim Hamburger Musterbeispiel, Karl Stillersee, aus, der mit Pflegegrad 2 einen „vollstationären Pflegeplatz“ hat? Wolfgang Arnhold, Pressesprecher der Sozialbehörde, kennt die Beträge. Im Dezember kostet der Heimplatz für Karl Stillersee im Schnitt insgesamt rund 3.485 Euro (Pflegegrad 2). Kommen im Laufe der Jahre Erkrankungen dazu, sodass Karl mehr Pflege braucht, klettert der Pflegegrad auf 5 und das Heimentgelt auf etwa 4.720 Euro (Gesamtkosten). Enthalten sind der Pflegesatz je nach Pflegegrad, rund 161 Euro für Ausbildung, 890 Euro für Unterkunft und Verpflegung und Investitionskosten von 585 Euro. „Da die Personalkosten den größten Anteil ausmachen, sind die jeweiligen Steigerungen der Tariflöhne und die Steigerung des regional üblichen Entgelts für die Pflegeeinrichtungen ohne Tarifbindung von rund 6,8 Prozent entscheidend für die Preissteigerungen in 2024. Neben den Preissteigerungen für Lebensmittel können auch die Auswirkungen der Energiepreissteigerungen nach Auslaufen der staatlichen Energiepreisbremse ab Mai 2024 die Heimentgelte weiter erhöhen ...“ Arnhold beziffert den durchschnittlichen pflegebedingten Eigenanteil aus den „Einrichtungseinheitlichen Eigenanteilen“ mit 1.235 Euro. Auch er wertet die vom Bundesgesetz angestrebte Kostensenkung kritisch: „Die gesteigerten Leistungen der Pflegeversicherung dämpfen die Preissteigerungen für die Pflegebedürftigen ab, können diese aber nicht ausgleichen.“

 

Hilfe zur Pflege

Reicht die Rente nicht für die Heimkosten, gibt es mehrere Möglichkeiten zur Unterstützung, u. a. die Hilfe zur Pflege vom Sozialamt. Das prüft die Bedürftigkeit und rechnet nach: Einkommen, auch des Ehepartners, Renten und Pensionen, Miet- und Pachteinnahmen, Einkünfte aus Kapitalvermögen, Nießbrauchrechte. Leben beide Ehepartner im Heim, müssen sie ihr ganzes Einkommen für die Heimkosten einsetzen. Ist ein Ehepartner noch in den eigenen vier Wänden, muss ihm/ihr, so viel Geld übrig bleiben, dass er seine Lebenskosten bestreiten kann. Oft eine wichtige Frage. Muss das Haus, das man erbaut und abbezahlt hat, verkauft werden? In der Regel ja. Es bleibt tabu, wenn der Pflegebedürftige Eigentümer des Hauses ist, ein Angehöriger (z.B. das Kind) es bewohnt und nach dem Tod des Heimbewohners weiter bewohnen will.

2022 bekamen  nach Angaben des Statistischen Bundesamts rund 377.000 Menschen Hilfen zur Pflege. Der Großteil– rund 300.000 – lebte in einem Pflegeheim, einschließlich teilstationärer Pflege und Kurzzeitpflege. Dies sind fast sechs Prozent weniger als im Vorjahr. Auch ein Indiz, dass Pflege im Heim für manche zu teuer wird und auf Angehörige zu Hause zurückgegriffen wird? Arnhold nennt Hamburger Zahlen: 2023 erhielten monatlich rund 6.500 Personen Hilfe zur Pflege in der vollstationären Pflege: „Für 2024 wird nicht mit sinkenden Fallzahlen gerechnet.“

Taschengeld

Und: Wer auf Sozialhilfe angewiesen ist und für kleine Dinge des Alltages, eine Schokolade zwischendurch, ein Kinobesuch mit dem Enkel ... nicht genug auf der hohen Kante hat, erhält einen Barbetrag (früher: Taschengeld): 152,01 Euro.   
Was käme nun auf Karl Stillersee zu, wenn er in eines der zwölf Häuser des Hamburger Heimbetreibers Pflege und Wohnen Hamburg GmbH einzieht? Katja Lohmann, Geschäftsführerin des Pflegeunternehmens, das lange in städtischer Regie war und seit 2007 wieder von einem privaten Träger übernommen wurde, meldet einen durchschnittliche Eigenanteil (vor Abzug der Kassen-Zuschläge je nach Pflegegrad) von 2.960 Euro Zur Erhöhung der „Leistungszuschläge“ 2024 sagt sie: „Sie werden die Bewohner in Hamburg zwar entlasten, es ist jedoch zu erwarten, dass sie die Steigerung der Pflegesätze nicht auffangen werden. Es ist zu erwarten, dass die Zuzahlungen der Pflegekassen steigen, aber sie werden vermutlich nicht überall die Kostensteigerungen der Pflegeeinrichtungen abdecken.“ Auch für sie sind die Personal- und Energiekosten sowie die steigenden Lebensmittelpreise die hauptsächlichen Preistreiber. Pflege ist  eben teuer – und gilt als schlecht bezahlte Arbeit mit hoher psychischer und physischer Bezahlung. Pflege und Wohnen hat im Herbst 2023 mit der Gewerkschaft ein Zeichen gesetzt und für die Mitarbeitenden ein Plus von 450 Euro vereinbart. Heimbewohner müssen mit steigenden Kosten rechnen. Im Durchschnitt steigt ihr Eigenanteil um 150 Euro im Monat. Was dem einen sin Uhl, ist dem andern sin Nachtigall.     

 

Dr. H. Riedel © SeMa  

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