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 Streit um Bismarck

Gerieben wurde sich am Bismarck-Denkmal im alten Elbpark schon vor seiner Errichtung. Und obwohl inzwischen eine Generation heranwächst, die den Namen Bismarck möglicherweise mehr mit Hering, Mineralwasser und Korn als mit Politik in Zusammenhang bringt, war der Streit um den steinernen Koloss noch nie so heftig wie in diesen Tagen. Grund genug für das SeMa, der Geschichte des Denkmals und der des Reichskanzlers Otto von Bismarck nachzugehen.

Frisch saniert, der Stein des Anstoßes. Mit einer
Gesamthöhe von
34,3 Metern ist das Bismarck-Denkmal in Hamburg das
„größte“ von mehr als 500 Exemplaren in Deutschland.
Es steht unter
Denkmalschutz.
Dennoch möchten
einige es ganz verschwinden oder einschneidend
umgestalten lassen.

Hamburg um 1900 – wenige Bürger, aber viel Bevölkerung
Eigentlich sind sie gar nicht so, die Hamburger. Vornehme hanseatische Zurückhaltung gepaart mit Sparsamkeit, das war um 1900 das Markenzeichen der bestimmenden Klasse an der Elbe – der Bürger. Denn nur eine Minderheit der Bewohner der Stadt durften sich deren Bürger nennen. Ausschließlich jene Männer, die damals ein jährliches Einkommen von mindestens 1200 Mark zu versteuert hatten, konnten Hamburger Bürgerechte beantragen und waren, abgestuft nach Klassen, wahlberechtigt. Obwohl es Arbeiter gab, die freiwillig diesen Betrag steuerlich anmeldeten, um wahlberechtigt zu sein, gaben in Hamburg die „Braven Bürger“ politisch den Ton an. Von den über 800.000 Bewohnerinnen und Bewohnern waren lediglich 44.000 Männer für die Bürgerschaft wahlberechtigt. So war es kein Wunder, dass die „Bürger“ sich in ihrer Mehrheit gestört fühlten, als 1901 mit Otto Stolten der erste Sozialdemokrat in die Bürgerschaft einzog. Bis 1904 saß er dort allein. Erst dann bildete sich mit 13 Sozialdemokraten eine eigene Fraktion. Und obwohl Otto von Bismarck als „Vater“ durchaus fortschrittlicher Sozialgesetzte einiges für die Arbeiterschaft getan hatte – ein Denkmal für ihn stand nie ganz oben auf der Agenda der SPD.

Als Sahnehäubchen den Sachsenwald

Das Jahr 1871 beschert dem Kanzler der Einheit Ehr und Gut. Bismarck wird in den erblichen Fürstenstand erhoben; den Sachsenwald gibt es als Zugabe.  Im Reich beginnt die Heldenverehrung bei denen, die er nicht unterdrückt. Sozialisten und Katholiken haben dagegen keinen Grund, das Weihrauchfässchen in Richtung des „Eisernen Kanzlers“ zu schwenken. Die Bismarck-Begeisterung wird auch nicht dadurch gebremst, dass Kaiser Wilhelm II. den Kanzler entlässt und versucht, ihn kaltzustellen. Zu seinem 80. Geburtstag am 1. April 1895 leistet das Postamt Friedrichsruh Schwerstarbeit, gilt es doch fast 10.000 Telegramme und rund 450.000 Briefe an den „Alten vom Sachsenwald“ auszuliefern. Und ob der greise Fürst bei den über 450 neuen Ehrenbürgerschaften den Überblick hat, kann bezweifelt werden. Hamburgs Ehrenbürger war er schon 1871 geworden. Ehre, wem Ehre gebührt.

Adolf Woermann, der „königliche Kaufmann“, galt schon zu seiner Zeit als besonders rücksichtloser Kolonialkaufmann, der sein Unternehmen mit wenig „königlichen“ Methoden in Afrika arbeiten ließ. Die Umbenennung zweier nach ihm benannten Straßen in Fuhlsbüttel lässt seit Jahren auf sich warten.
Foto © Wikipedia

Ein Sturm bricht los

Am 30. Juli 1898 stirbt Bismarck in Friedrichsruh. Dort wird er auch beigesetzt, obwohl Kaiser Wilhelm II. das gern in Berlin gesehen hätte. Die sich nun auftürmende zweite Welle der Bismarck-Verehrung begnügt sich nicht mit Telegrammen und Briefen. Von über 700 Bismarck-Denkmälern die bis 1914 im Deutschen Reich geplant wurden, kamen mehr als 500 zur Ausführung. Auch in Hamburg ist die Denkmalbegeisterung groß. Für Max von Schinckel, den Inhaber der Norddeutschen Bank, steht fest, „dass unverzüglich und solange noch jedem dieser unersetzliche Verlust heiß in der Seele brennt, auch in Hamburg die Schritte für die Errichtung eines grandiosen Bismarckdenkmals getan werden müssen“. Allerdings soll das Denkmal nicht aus Steuermitteln, sondern mit Spenden finanziert werden. Dem Gremium für den Bau eines Ehrenmals gehören elf angesehene Bürger Hamburgs an. Noch im gleichen Jahr erscheint ein Aufruf mit den Namen von 1000 „Gesinnungsgenossen“, die für ein Denkmal werben. Allen voran der erste Bürgermeister Johann Georg Mönckeberg, die Reeder Carl Laeisz bzw. Carl Ferdinand Laeisz, der Präsident des Oberlandesgerichts Ernst Friedrich Sieveking, der Architekt der Speicherstadt Franz Andreas Meyer, der Direktor des Museums für Kunst und Gewerbe Justus Brinckmann, der Architekt des Rathauses Martin Haller und der Direktor der Kunsthalle Alfred Lichtwark. Vertreten sind weitere, noch heute in Hamburg klingende Namen wie Lenhart, Nirrnheim, Nolte, Nottebohm, Suhr, Sydow, Tesdorpf, Thulesius, Lutteroth, Schmersahl, Schramm, Schroeder, Traun, Versmann, Vorwerk, Warnholz, Woermann und viele andere mehr. Keiner möchte fehlen – aber offensichtlich auch keiner so richtig großzügig spenden.  Denn es dauert länger als geplant, die veranschlagten 453.000 (Gold-) Mark – nach heutigem Goldwert acht Millionen Euro – zusammenzubringen.

Rund 80 Bilder schuf Franz von Lenbach von Bismarck –
hier eines aus
dem Jahr 1894.
Foto © Staatsgalerie
Stuttgart

Über Kunst kann man streiten

Von den „Bürgern“ begrüßt, aber von vielen „Bewohnern“ kritisch gesehen, hat es das Denkmal schon vor dem ersten Spatenstich schwer. Denn nicht nur der Denkmalsgedanke, auch der Standort für das Denkmal ist strittig. Der alte Elbpark, der Waseberg von Blankenese, die Fontenay an der Außenalster sowie ein Standort an der Binnenalster konkurrieren um den Hamburger Bismarck. Über die künstlerische Gestaltung wacht ein Preisgericht und entscheidet sich nach einer Ausschreibung 1902 unter 219 Einsendungen einstimmig für den Entwurf des in Eppendorf geborenen Architekten Karl Scheffler und des Bildhauers Hugo Lederer. Während Freunde der modernen Kunst das Ergebnis feiern, bricht sich „Volkes Stimme“ in unzähligen Leserbriefen Bahn. Einen „liebenswürdigen“ Bismarck will man sehen – sei der Fürst doch „kein finsterer Feind, sondern ein guter Freund des Volkes“ gewesen. Umgekehrt nehmen auch Befürworter kein Blatt vor den Mund. Allen voran der Hamburger Kunsthistoriker Aby M. Warburg, der in seiner Satire „Walpurgisnacht auf dem Stintfang“ die „kaufmännischen Spießer mit ihrem Drang zur platten Besitzergreifung“ geißelt. Denn das, was Kaiser Wilhelm II. und „die Spießer“ für Denkmal-Kunst halten, sind für die Anhänger der Moderne lediglich „Kleidergestelle“ ohne eigene Aussage.

Nur nicht hochsehen

Allen Kontroversen zum Trotz wird das Denkmal am 2. Juni 1906 in Anwesenheit der Nachkommen des Reichsgründers eingeweiht. Die einem mittelalterlichen Roland – Symbol für Stadtfreiheit – nachempfundene Riesenfigur gehört von nun an zum Stadtbild. Warburg notiert nach der Einweihung „Einfach grandios, plastisch und doch visionär überragend“. Damit steht er im Kreis der Kunstkritiker allein. Es mehren sich Stimmen, die bemängeln, dem Monument fehle es an Feingefühl und Kunstsinn, und der Versuch, eine mythische Größe mit vermeintlicher deutscher Ausdrucksstärke zu konstruieren, sei ein Fehlgriff. Aus ganz anderen Motiven mieden Wilhelm II. und Adolf Hitler den Blickkontakt zum steinernen Kanzler bei ihren Besuchen in Hamburg: Sie hätten zu ihm hochsehen müssen. Und das vermied Hitler selbst an dem Tag, als er am 14. Februar 1939 bei Blohm & Voss Ehrengast von Stapellauf und Taufe des „Schlachtschiffes F“ auf den Namen „Bismarck“ war.

Das Kontorhaus der Firma Woermann zeigt im Eingangsbereich heute noch eindrucksvoll, woher der Reichtum gekommen ist.
Foto © Krause

Abstieg mit Fackeln und Scheinwerfern

Ob Kunst oder nicht – der Koloss wurde zu einem Wallfahrtsort deutschnationaler Demokratiefeinde, die jährlich den Geburtstag des Kanzlers zelebrierten. Gegendemonstrationen und Straßenschlachten waren die Folge. Erst als 1932 die Fackelzüge zum Denkmal verboten wurden, kehrte im Elbpark Ruhe ein, denn die Nazis kannten nur einen, dem ihr Personenkult galt – den „Führer“ Adolf Hitler. Das Bismarck-Denkmal diente nur noch dazu, ab 1940 im Inneren Luftschutzräume zu beherbergen. Die dabei eingebrachten 2.000 Tonnen Beton, Witterungs- und Kriegsschäden machten Sanierungen notwendig. Das geschah 1998 auf Kosten des nationalkonservativen Bundes für Denkmalerhaltung. Als dieser Verein am 21. Mai 2003 erstmalig die Beleuchtung der Statue feierte, kam es zu Szenen, wie sie in der Weimarer Republik am Denkmal an der Tagesordnung waren.

Alter Klotz im neuen Blick

Während in der Vergangenheit die antidemokratische Haltung des „Kanzlers der Einheit“ im Fokus der Kritik stand, ist es seit der „Black Lives Matter“-Bewegung die Rolle Bismarcks in der Kolonialpolitik des Deutschen Reiches, an der sich die Diskussion entzündet. Dabei war Bismarck ursprünglich an Kolonien nicht interessiert. Vielmehr waren es Kaufleute aus Hamburg, die bei der Reichsregierung energisch in dieser Richtung intervenierten. Nicht Otto von Bismarck, sondern der Gründer und Vorsitzende der Hanseatischen Kolonisations-Gesellschaft, Vorstandsmitglied des Flottenvereins, Präses des Kirchenrates der evangelisch-reformierten Gemeinde und Vorstandsmitglied des deutschen Kolonialrates Julius Scharlach formulierte: „Kolonisieren, das zeigt die Geschichte, bedeutet nicht, die Eingeborenen zu zivilisieren sondern sie zurückzudrängen und schließlich zu vernichten ...“ Dennoch schuf Bismarck bei der Kongokonferenz 1884/1885 die Grundlage für die Aufteilung Afrikas in Kolonien. Großer Gewinner war damals der Belgische König Leopold II, der mit dem Kongo ein „persönliches“ Königreich erhielt. Auch das Deutsche Reich sicherte sich einen Teil der „Afrika-Torte“. Für Hamburgs Überseekaufleute begannen goldene Zeiten. Die Firma Woermann wurde sogar mit Truppentransporten nach Afrika reich. Es gibt Aussagen, nachdem Bismarck sich am Afrikageschäft auch persönlich bereichert habe. Denn 60 % der Ausfuhren des Deutschen Reichs in die Kolonien bestand aus Schnaps – gebrannt auch aus den Kartoffeln des Kanzlers.

Foto © Krause

„Kopf ab“, fordert der Pastor

Schleifen, köpfen, umgestalten – etliche Initiativen wollen, wenn es schon nicht verschwindet, dem Monument an der Elbe inhaltlich eine neue Richtung geben. Nun ist es an Hamburg, ihm ein begleitendes Rüstzeug zu verpassen, dass es vor weiteren Beeinträchtigungen schützt. Eine besonders drastische, ins Auge springende Umgestaltung fordert der evangelische Pastor Ulrich Hentschel „Kopf ab“, ist sein Vorschlag. Hamburgs Kultursenator Carsten Brosda formulierte im NDR unter anderem: „Der Bismarck steht da und er ist insofern auch Teil unserer Geschichte. Die Frage ist, wie wir mit dieser Geschichte vernünftig umgehen und wie wir dafür sorgen können, dass wir ein Gefühl dafür bekommen, aus welcher Zeit er stammt. Ich glaube, keiner würde heute mehr ein Bismarck-Denkmal bauen. Aber da wir nun eines haben, geht es darum, darauf hinzuweisen, welche Zeit es repräsentiert und wie wir uns in unserer Zeit dazu verhalten. Ob das mit Gegendenkmälern oder Installationen geschehen kann, müssen wir jetzt in einem gemeinsamen Prozess herausfinden. Ob ich das am Bismarck oder mit ihm mache, müssen wir dann diskutieren. Ich finde die Diskussion richtig, denn die Zeit damals gestaltet in manchen Bereichen unser Leben bis heute. Am Ende muss es darum gehen, wie wir das notwendige Störgefühl an dieser Stelle erzeugen, damit jeder, der an dem Denkmal vorbeigeht, nicht einfach ungerührt weitergeht, sondern weiß, dass es hier etwas gibt, womit er sich auseinandersetzen muss.“

Und wie sehen Sie es?

Wie freuen uns auf kurze Rückmeldungen, die wir gern (evtl. auszugsweise) in der nächsten Ausgabe veröffentlichen, wenn sie bis zum 12. März an die E-Mailadresse: SeMa@email.de gesendet werden.   

Der „Kopf ab“-Vorschlag ist für Dr. Johann Hinrich
Claussen, Beauftragter des Rats der EKD für Kultur und Leiter des Kulturbüros der EKD, nicht
diskussionswürdig. Er setzt vielmehr auf die Kraft
der künstlerischen Ironie und hat einen anderen
Vorschlag. Foto © Krause

Es wird gegenwärtig viel und heftig über Denkmäler gestritten, auch in Hamburg. Oft wünschte ich mir, man würde differenzierter diskutieren. Aber es braucht wohl die Empörung, damit etwas lange Übersehenes endlich zum öffentlichen Thema wird: zum Beispiel die deutsche Kolonialgeschichte.
Gerade wird das Bismarck-Denkmal, zwischen Reeperbahn und Michel, für sehr viel Geld saniert. Doch zugleich ist eine Debatte darüber entbrannt, ob man es nicht abräumen sollte. Ich würde für mehr Humor werben. Denn ich erinnere mich nur zu gern an eine Kunstaktion aus dem Sommer 2015. Damals hat im Rahmen des Hamburger Architektensommers das österreichische Künstlerteam Steinbrener/Dempf&Huber den eisernen/steinernen Kanzler zum Gegenstand einer klugen Erheiterung gemacht und gezeigt, dass Kunst manchmal einen erbitterten Streit auf ein anderes Gleis setzen kann. Die Künstler haben einfach oben auf das Bismarck-Denkmal einen lebensecht aussehenden Steinbock gesetzt, und schon war all das Massige und Monumentale wie durchgestrichen.
So wird man es nicht bei all den anderen problematischen Denkmälern machen können. Dazu sind judenfeindliche Schmähskulpturen an mittelalterlichen Kirchen oder Denkmäler mörderischer Kolonialisten zu schrecklich. Hier aber passt es. Denn bei Lichte betrachtet, ist dieses viel zu große und anachronistische Bismarck-Denkmal selbst eine ziemlich komische Figur. Warum also lässt man Steinbrener/Dempf&Huber nicht wieder ran?

Bismarck ohne Politik

Länge: 1,93 Meter, Sommersprossen

Als Korpsstudent „innerhalb dreier Semester“ 28 Mensuren (Duelle) nur ein „Schmiss“. Spitzname in Göttingen „Kindskopf“.

Beurlaubung wegen „Unwohlseins“ vom Staatsdienst, um seiner „ersten Liebe“ nachzureisen.

Täglich 10 bis 15 „starke“ Zigarren; gute Rotweine aus Bordeaux und Riesling aus Deutschland.

Mit seinem Ausspruch „dieses Ungeheuer schmeckt mir ungeheuer“ machte Bismarck die Weinlage „Forster Ungeheuer“ weltberühmt.

Mit Möweneiern auf einer Wellenlänge mit Kunst und Mode – der Komponist Richard Strauß war von ihnen begeistert – Claudia Schiffer ließ sie bei ihrer Hochzeit servieren. Auch für Bismarck waren Möweneier ein Hochgenuss.
Essig, Speiseöl, Zwiebeln, Senfkörner und Lorbeerblätter: badet ein roher Hering darin, wird er zum Bismarckhering. „Wenn Hering genauso teuer wäre wie Kaviar, würden ihn die Leute weitaus mehr schätzen.“ So der Fürst.

Der Züchter Wilhelm Richter aus Zwickau nannte 1885 eine Kartoffelsorte „Reichskanzler“. Sie wurde schnell zu einer der damals meistangebauten Standardkartoffeln. Die spät reife, mehligkochende Knolle mit auffallend hellem Fleisch und rötlicher Schale ist heute nur noch den echten Kartoffelkennern bekannt.

 

F. J. Krause © SeMa

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