Schrift ändern:AAA

Perspektive gegen Frust und Einsamkeit

Das Projekt Perspektive Wohnen im Alter (PWA) schlägt zwei Fliegen mit einer Klappe. Oder, modern gesagt: Es gibt eine Win-win-Situation in Hamburg-Bergedorf. Zum einen bietet das Projekt älteren und behinderten Menschen eine Chance, länger eigenständig in ihren Wohnungen zu leben. Zum anderen bringt es Langzeitarbeitslose wieder in Arbeit.

In Hamburg gibt es rund 500 Einrichtungen für Senioren, von schicken Residenzen, Alten- und Pflegeheimen, Wohnanlagen für Servicewohnen bis zu Wohngemeinschaften für Ältere. Aber viele der 330.000 Hamburger über 65 Jahren wollen ihre vier Wände nicht verlassen – solange es geht. Aber hier ist der Haken. Das Alter bringt Reife – aber auch die Einsicht, dass manches nicht mehr so einfach geht. Und zuweilen schlägt die Einsamkeit aufs Gemüt: Fast ein Drittel der Menschen 65+ lebt allein. Aber auch Menschen mit Einschränkungen brauchen Unterstützung.

Alltagsbegleiter K. Strube und Heini Schröter, 96 Jahre alt.

Sozialunternehmen

Hier hilft das Bergedorfer Projekt zum Wohnen. Es ist einer der „Unternehmensbereiche“ der Sprungbrett Dienstleistungen gGmbH (SDL). Diese gemeinnützige „Gesellschaft“ hat das Ziel, denen einen (neuen) Job und damit Hoffnung zu geben, die der erste Arbeitsmarkt an den Rand gedrängt hat. Etwas behäbig heißen derartige Unternehmungen „Beschäftigungsträger“. Dahinter verbirgt sich, wie bei SDL, konkret eine „Firma“, die aber anders ist als andere. Sie bietet seit 2001 dank der Förderungen durch das Hamburger Jobcenter „bezirksorientierte Beschäftigungsmöglichkeiten“. Das reicht von der Kleiderkammer über das Sozialkaufhaus Möbel Bergedorf bis zur Pflege von Grünflächen oder zur Alltagsbetreuung. Das Ziel des Sozialunternehmens ist, Menschen eine Chance zu geben, die eine längere Zeit ohne Arbeit waren.

Birgit Hockmann ist Koordinatorin des PWA-Projektes. Die Ökotrophologin hat selbst einen Schnitt gemacht, um „etwas Sinnvolles im Sozialen zu machen“, und sich als Betreuungskraft qualifizieren lassen. Sie erzählt von den Anfängen des nun von ihr koordinierten Projektes. Nach der Bewilligung von Fördermitteln durch den Europäischen Sozialfonds erfolgten Vernetzung und Austausch mit verschiedenen Kooperationspartnern, wie dem Bezirksamt Bergedorf, der Behörde für Stadtentwicklung, dem Jobcenter und den großen Wohnungsbaugenossenschaften im Stadtgebiet.

Wieder arbeiten

Sprungbrett SDL setzt praktisch um, was kompliziert heißt: Gesetz zur Schaffung neuer Teilhabechancen für Langzeitarbeitslose auf dem allgemeinen und sozialen Arbeitsmarkt. Denn darum geht es: um neue Chancen für die, für die der erste Arbeitsmarkt weit entfernt ist. Die ideale Situation in Bergedorf: Das Projekt hat einen Doppelnutzen. Einerseits gibt es Arbeitsuchenden über eine befristete Beschäftigung eine Perspektive. Andererseits ist diese „Perspektive“ sozial verwurzelt für – ältere – Menschen in Bergedorf. Sie können die Alltagsbegleiter buchen, bezahlt wird pro Stunde per 45-Euro-Zehnerkarte. Dafür ist jemand für sie da – beim Einkauf oder beim Besuch von Ärzten oder Behörden. Sie bringen so den Senioren ein Stück Selbstständigkeit ins Haus, damit sie ihren Alltag so lange wie gewohnt hinbekommen. Dafür sind unsere Mitarbeitenden geschult“, sagt Hockmann. Die Alltagsbetreuer vertreiben nicht nur die Zeit, sondern auch die Einsamkeit. Mit Pflege und medizinischer Betreuung haben sie nichts zu tun. Und ebenso wenig mit „haushaltsnahen Dienstleistungen“ wie Putzen.
Für die einen ist es ein neuer Job, für die anderen eine Hilfe, im Alter länger zu Hause zu wohnen. Hockmann: „Als ein Mitarbeiter seinen Vertrag unterzeichnete, hat er geweint.“  Die ehemaligen Langzeitarbeitslosen haben wieder eine Aufgabe. Das macht zufrieden und stolz. Und es gibt dem eigenen Alltag wieder eine Struktur, Regeln und dem morgendlichen Aufstehen wieder Ziel und Sinn. „Die Älteren geben viel an Dankbarkeit an unsere Mitarbeitenden zurück. Und diese erfahren tagtäglich, dass sie gebraucht werden. Wir sehen, wie sie wieder aufblühen. Das ist richtig schön.“

Nachdem der Arbeitsvertrag geschlossen wurde, ist entweder zunächst eine Kurzschulung oder eine viereinhalbmonatige Schulung inklusive Praktikum zu absolvieren. Dann geht es in das – fast ganz normale – Arbeitsleben. Mit Lohn, Proficard, Aufträgen, Kunden, Arbeitszeiten von Montag bis Freitag, Chefs, die allerdings hier Projektkoordinatorin und Einsatzleiter heißen. Aber sonst ist es wie woanders auch. Es gibt nur kleine Unterschiede: etwa wenn externe Coachings anstehen. Sie sollen vorbereiten, begleiten und helfen, wenn’s mal hakt bei den Dingen, die im PWA-Projekt aber auch anderswo zum A und O der Arbeit gehören: Zuverlässigkeit, Einfühlungsvermögen, Pünktlichkeit, Verlässlichkeit, Kommunikationsbereitschaft.

Wer das kann, ist fit für den Job: Sie und er sind Alltagsbetreuer für Ältere und Behinderte. „Wir finden schon im ersten Gespräch heraus, ob jemand geeignet ist“, sagt Hockmann. Meist sind es Menschen, die wegen Erkrankung oder psychischer Probleme aus dem bisherigen Arbeitsrahmen fallen. Elf Mitarbeitende sind derzeit dabei; ehemalige Bürokaufleute, Facharbeiter, Krankenschwester, ein Soziologe, Ingenieur ... Sie eint: „Wir wollen wieder.“ Für sie ist das Projekt PWA ein Sprungbrett, hinein in gewollte und gewohnte Verhältnisse. 

 

Dr. H. Riedel © SeMa

Analyse Cookies

Diese Cookies ermöglichen eine anonyme Analyse über deine Webseiten-Nutzung bei uns auf der Seite

Details >Details ausblenden