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Organspende – auch im Alter geht noch was

Dass Ältere grundsätzlich keine Organe mehr spenden können, ist ein Mythos. Es ist wie sonst auch im Leben: Es kommt auf Fitness und biologische Funktionalität an, nicht auf das numerische Alter. „Der älteste Spender bei uns war 90 Jahre alt, der älteste in Deutschland 99 Jahre“, operiert Dr. Gerold Söffker ein Vorurteil weg, nur Jüngere könnten dank Organspende helfen. Es ist ein Mythos, dass nur Jüngere infrage kommen. Es gibt keine Altersgrenze, es gibt nur die Organfunktion. Wer weit in die Jahre gekommen ist, wird sicher nicht mehr mit einem Herzen helfen können, aber eventuell sind Niere oder andere Teile des Körpers noch fit.“ Söffker muss es wissen. Er ist Oberarzt am Universitätsklinikum Eppendorf in Hamburg und hier hauptverantwortlicher Transplantationsbeauftragter. Im UKE „detektiert“, erkundet er, im Falle einer schwersten Hirnschädigung, wer gewillt und medizinisch geeignet zur Organgabe sein könnte. Der „Kümmerer“ (Söffker) berät Patienten, aber auch Hausärzte, Angehörige oder Notare. „Gerade Angehörige sind nach dem Tod eines geliebten Menschen überfordert.“ Hier im „Entnahmekrankenhaus“ schlägt das Schicksal häufig zu: Schlaganfall, Hirnblutung, Reanimation ... „Wir sind neutral, wir handeln und beraten ergebnisoffen“, nimmt er jedweden Druck von der sensiblen Angelegenheit Organspende.“ Jede und jeder muss selbst entscheiden. Aber er sagt auch: „Organspende hilft, Leben retten.“

Gerold Söffker.

So kann die Niere eines 65-Jährigen, die ihren Dienst tut, einem Dialyse-Patienten helfen. Was zählt, ist die Fitness des Organs. Auch die Niere eines Jüngeren kann bereits zu Schaden gekommen sein – und nicht infrage kommen. Ein 30-Jähriger muss nicht zwangsläufig besser mit einer Niere einer 33-Jährigen leben. Doch gibt es eine altersnahe Verwendung. Söffker erläutert das Old-for-Old-Programm: Dabei bekommen ältere nierenkranke Patienten bevorzugt ein Organ von ebenso älteren Spendern. Der Vorteil: Kommt ein Patient im Alter von z. B. 65 Jahren noch auf die Warteliste derer, die ein „neues“ Organ brauchen, wird er so hoffentlich noch ein Spenderorgan bekommen können. Söffker: „Für Ältere ein Segen“.

Sichere Sache

Für eine Organspende ist es also nie zu spät. So mir nichts, dir nichts klappt es jedoch nicht mit der Mitmenschlichkeit über den Tod hinaus. Da ist zum einen die postmortale Organspende. Ganz wichtig sind hier zwei eherne Regeln, die manchen Schrecken nehmen sollen: Zwei Ärzte prüfen unabhängig voneinander, ob ein Hirntod unumkehrbar eingetreten ist. Erst dann wird Hand angelegt. Beide dürfen nichts mit der späteren Transplantation zu tun haben. Und erst, wenn zuvor der Verstorbene oder Angehörige ihr „Ja“ gegeben haben, können Niere, Lunge, Leber und Co. in einem anderen Körper ihre Arbeit machen. Aber auch eine postmortale Gewebespende, wie Hornhaut der Augen, Herzklappen, Haut oder Blutgefäße, kann helfen.

Passt in jedes
Portemonnaie.

Auf der anderen Seite gibt es die Lebendspende: Hier haben meist Familienangehörige die Courage, eine Niere oder Teile der Leber abzugeben. Die Entscheidung muss freiwillig sein – und darf nur Ehepartnern, Verlobten, Lebenspartnern, Verwandten ersten oder zweiten Grades oder anderen, die dem Spender nahestehen, zugute kommen. Hier schiebt der Gesetzgeber einem aus dem  Fernsehen bekannten, vermeintlichen fiesen Organhandel einen Riegel vor. Ob Krimis oder Medienberichte zum „Organspende-Skandal“ die Bereitschaft zur Organspende sinken lassen? Angesichts des sensiblen Themas und des Datenschutzes gibt es kaum sichere Zahlen, weder für Hamburg noch für den Rest Deutschlands.

Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) meldet allerdings, dass das Herz der Bürger durchaus für Organspende schlägt: Eine Repräsentativbefragung von 2022 zeige, dass „die Einstellung der Allgemeinbevölkerung gegenüber der Organspende positiv ist: 84 Prozent der Befragten stehen der Organspende positiv gegenüber, 73 Prozent wären bereit, ihre Organe und Gewebe nach dem Tod zu spenden. Menschen, die gut informiert sind, sind eher bereit, eine Entscheidung zu treffen. Ängste, dass nicht mehr alles medizinisch Machbare getan wird, wenn zu Lebzeiten einer Organspende zugestimmt wurde, können durch die Information zu den Abläufen ausgeräumt werden“, sagt Diana Schulz von der BzGA. Doch zwischen gutem Willen und der guten Tat klaffen Welten. Bei vielen fehlt der Organspende-Ausweis im Portemonnaie. Fast 9.000 Menschen stehen in Deutschland auf der Warteliste, nur 1.000 Menschen wurden im vergangenen Jahr Organspender.

Warten und Leben

In der Pandemie ging die Zahl der gespendeten Organe zurück. Das meldet auch die Hamburger Sozialbehörde zum Tag der Organspende Anfang Juni 2022. Bundesweit stagnierte deren Zahl, in Hamburg sank sie sogar: 2019 gaben 52 Menschen nach ihrem Tod Organe ab, 2020 waren es (ohne Lebendspender) 48, 2021 nur 37. Manche geben „fast“ alles: 2019 standen 170 gespendete Organe bereit, 2020 waren es 171, 2021 noch 104.

Dabei hoffen nach Angaben des UKE-Transplantationszentrums in Hamburg 733 Menschen auf ein Organ bzw. sind auf der Warteliste. 174 von ihnen sind über 60 Jahre alt. Auch Stefanie Lambernd aus der Sozialbehörde weist darauf hin, dass keine Altersgrenzen für eine Transplantation bestehen: „Jedoch sind für die Aufnahme auf die Warteliste und für eine Transplantation der zu erwartende Erfolg und die Dringlichkeit für das Überleben ausschlaggebend. Eine weitere Grenze stellen Krankheiten dar, die nicht heilbar und bösartig sind oder solche, die ein lebensbedrohliches Risiko bei der Transplantation darstellen oder den längerfristigen Erfolg der Transplantation infrage stellen.“

Entscheiden oder Widersprechen

Damit die Anzahl der verfügbaren Organe und die der dringend gebrauchten nicht weiter auseinanderdriften, hat sich der Gesetzgeber nach jahrelangen Diskussionen zum „Gesetz zur Stärkung der Entscheidungsbereitschaft bei der Organspende“ durchgerungen. Was im Bundestag selten ist: In einer fraktionsoffenen, namentlichen Abstimmung gab es eine Mehrheit für die sogenannte Entscheidungslösung von Grünen und CDU/CSU. Abgeschmettert wurde der Entwurf von Ex-Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU/CSU) und Neu-Minister Karl Lauterbach (SPD). Damit wäre jeder automatisch Organspender, es sei denn, er widerspricht zu Lebzeiten.

Nach dem neuen, seit Frühjahr 2022 geltenden Gesetz kann jeder in Ausweisstellen erklären, Organspender werden zu wollen, Hausärzte sollen ihre Patienten regelmäßig (alle zwei Jahre) ermutigen, einen Organspende-Ausweis auszufüllen oder sich online voraussichtlich ab 2023 in ein Organspender-Register einzutragen, mehr Aufklärung soll für mehr Mut zur Spende sorgen, im Erste-Hilfe-Kurs für Autofahrer gibt’s Infos ... Die Entscheidungslösung, die alles vom Good Will abhängig macht, gab’s allerdings grundsätzlich schon vorher.

Wolfgang Veit.

Wille und Wirklichkeit

Ob das neue Gesetz für mehr Organe und damit für mehr Leben sorgt, bezweifeln Kritiker. Die Politik setzt weiter auf Aufklärung. Die Sozialbehörde nutzt das Fahrgastfernsehen in den U- und S-Bahnen sowie der Stadtinformationsanlagen, legt Postkarten mit integriertem Organspende-Ausweis in der Universität, in Restaurants und Veranstaltungszentren aus; verteilt Info-Materialien mit Spender-Ausweisen in Kundenzentren der Bezirksämter, Dienststellen des Landesbetriebes Verkehr und in der Zentralbibliothek. Zudem wirkt die Sozialbehörde in der „Initiative Organspende“ des UKE-Transplantationszentrums mit. Hier machen sich Ärztekammer Hamburg, Hamburgische Krankenhausgesellschaft und Selbsthilfeorganisationen stark für Organspende.

Reicht Aufklärung?

Schon früher wurde bundesweit die Werbetrommel gerührt. Die Deutsche Stiftung Patientenschutz kommentierte schon 2016 im Magazin „Spiegel“ die Aufklärungskampagnen der Regierung: Seit 2012 wurden 100 Millionen Euro in die Hand genommen, um alle Krankenversicherten anzuschreiben. Aber sie liefen ins Leere. Auch heute ist Wolfgang Veit von der Regionalgruppe Hamburg und Schleswig-Holstein im BDO – Bundesverband der Organtransplantierten e. V. skeptisch: „Die Politik kann nichts ändern, die Gesellschaft muss sich ändern. Doch der Gesellschaft ist noch nicht klar, wie wichtig Organspende ist – obwohl jeder ja auch ein Organ brauchen könnte. Jeder wird sich dann fragen: Woher kann es kommen. Selbst bei der Widerspruchslösung würden die Zahlen nicht besser. Die Krankenhäuser und Kliniken haben zudem ein organisatorisches Problem. Hier allerdings könnte die Politik helfen. Schon jetzt stehen Kliniken finanziell und personell mit dem Rücken zur Wand – und dann sollen sie auch noch die Organspende bewerkstelligen.“

Im Mai 2022, zwei Monate nach Inkrafttreten des Organspende-Gesetzes, lotete die Barmer Krankenkasse die Bereitschaft der Deutschen zur Organspende repräsentativ aus. Danach würden 34 Prozent Organe spenden. Im Vorjahr waren es 36 Prozent. Im Mai 2022 sagten 9 Prozent klar „Nein“, im Vorjahr waren es 6 Prozent. Bis Ende April 2022 zählte man in Hamburg 9 Organspender.

 

Dr. H. Riedel © SeMa

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