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Ohne Nord nix los

Aktion Kinderparadies – 70 Jahre alte Institution in Gefahr

Viele Seniorinnen und Senioren kennen die Aktion Kinderparadies noch aus ihrer Zeit als „aktive Eltern“. Schon in den 1950er Jahren konnten sie ihre Kinder bei den ehrenamtlich tätigen „Parktanten“ abgeben.  Die Idee: Kinder werden ohne Eltern betreut, anders als in der Kita, aber für wenige Stunden, flexibel nach Wunsch der Eltern und ohne Kita-Gutschein. Kinder haben zusätzlich zur Kita einen Spielort, bei dem sie draußen die Unbill des Hamburger Wetter haut- und naturnah erleben. So ging es 70 Jahre gut, seitdem 1952 der erste Platz am Grasweg eröffnet wurde. Doch als es kürzlich um Geld ging, zeigte sich: Das Leben ist kein Ponyhof – und das politische Leben schon gar nicht.

„Matsch und Moneten“

Pro Jahr machen derzeit 20.000 Kinder 18 Spielplätze unsicher, die von der Aktion Kinderparadies und deren ehrenamtlich Mitarbeitenden betreut werden. Das kostet 56.000 Euro, also 2,80 Euro pro Kind und Jahr. Das war der Sozialbehörde im Rathaus zu viel. Sie kündigte den Zuschuss. „Matsch und Moneten“ – beide haben auf den ersten Blick wenig miteinander zu tun. Aber wer genau hinsieht, erkennt doch einen Zusammenhang: So sieht das – mehrfach ausgezeichnete –Konzept der Hamburger „Aktion Kinderparadies e. V. vor, dass Kinder einige Stunden unter Aufsicht und freiem Himmel den Spielplatz besuchen: Hier butschern sie bei jedem Wetter draußen herum, buddeln in der Erde oder hüpfen – bei Regen mit Gummistiefeln durch Pfützen. Die Finanzierung für das Draußen-Spiel erfolgte bisher durch den Hamburger Senat. Anfang April aber wurde der Hahn zugedreht.

Bezirksamt Nord sichert Aktion Kinderparadies bis Ende 2021

Kurzfristig sprang nun der Bezirk Hamburg-Nord ein. Er sichert bis Ende 2021 das Budget für Versicherungen und Ausstattung, für eine halbe Minijobber-Stelle in der Verwaltung und eine halbe Stelle für die pädagogische Projektleitung. Sie leitet die derzeit 25 ehrenamtlichen BetreuerInnen an, die ein Auge auf die Deerns und Jungs haben. Danach müssen Spenden her.
„Im Bezirk Nord und überhaupt hat sich zuallererst die CDU für uns stark gemacht, die anderen Parteien sind aufgesprungen. Der Antrag an die Sozialbehörde stammte von Rot-Grün, wurde aber auch von der CDU unterstützt“, erläutert  Linde Kohl-Jürgens, Vorsitzende des Vereins, die politischen Spielzüge. Mit der überparteilichen Allianz war es bald vorbei. Im Senat hieß es: „Ihr müsst in den sauren Apfel beißen.“ Die Mehrheit von Rot-Grün fegte die Finanzierung vom Tisch. Es gebe, so stand es in den Medien, keinen Bedarf  mehr. Mit der Absage im Gepäck kamen einige politische Nordlichter zurück in ihre Bezirksvertretung – und sorgten dafür, dass es erst einmal weitergeht. Geld, das in Corona-Zeit an anderer Stell frei wird, fließt in die Spielplatz-Betreuung.

„So geht politische Flexibilität“, lobt Kohl-Jürgens das Licht am Ende des Tunnels. „Die Verantwortlichen im Bezirksamt Nord zeigen, dass sie unsere Arbeit wertschätzen. Sie wissen um den Mehrwert, den das Spielen unter freiem Himmel auf Spielplätzen hat.“ Das sieht die Sozialbehörde anders. Früher seien es 119.000 betreute Kinder gewesen, jetzt nur noch 20.000.

Paradies und Privileg

Das Kinderparadies – ein Auslaufmodell, ein Privileg für reiche Mamis und Papis? „Eltern aus allen Schichten bringen ihre Kinder zu uns. Es gibt darunter natürlich welche, die viel Zeit für ihren Nachwuchs oder Großeltern haben, die die Kleinen betütern. Aber es gibt auch die, denen selbst die 1,50 Euro für Betreuung pro Stunde schwerfallen. Dann verzichten wir“, sagt Kohl-Jürgens und verweist darauf, dass die Aktion Kinderparadies die bestehenden Kita-Angebote ergänze. Der Bedarf sei weiterhin da. Die Sozialbehörde müsse hinschauen. Sie sichere zwar zu, dass jedes Kind einen Fünf-Stunden-Platz bekommen könne. „Doch nicht alle Eltern ergattern“, so Kohl-Jürgens, „wirklich einen“. Andere Eltern wiederum wollen ihre Kinder nicht ganze fünf Stunden „abgeben“, andere sind zum Teil berufstätig, haben noch ein Baby, sind überlastet ... Kohl-Jürgens sagt: „Manche trauen den Kitas nicht und wollen sehen, was mit ihren Kindern geschieht. Und es gibt hyperaktive Kinder oder solche mit Allergien, die besser im Freien als in der Kita aufgehoben sind. Andere Eltern möchten keine Tagesmutter, die stundenweise die Betreuung übernimmt. Wieder andere finden es toll, wenn ihre Kinder draußen mit anderen herumtoben. In manchen Kitas gibt die Möglichkeit nicht, oft draußen zu spielen“, Und für Eltern ist es eine „pädagogisch nicht zu unterschätzende Möglichkeit, für überschaubare Zeit die Kinder von der Hand zu lassen ...“

Einst und jetzt

Damit im kommenden Jahr die Vertreibung aus dem Paradies vermieden wird, braucht der Verein Menschen, die ein Herz für Kinderspielplätze haben. Kommen dabei auch Ältere ins Spiel auf dem Platz? Kohl-Jürgens: „Jein. Bis 70 Jahre klappt es meist noch gut, aber dann wird es körperlich zu anstrengend. Man muss auch mal rennen, um ein Kind vorm Herunterfallen oder Verhauenwerden zu retten und legt einige Kilometer am Vormittag zurück. Doch Senioren können auch anders dabei sein. Sie können Wollsocken für kalte Tage stricken, den tropfenden Wasserhahn im Häuschen reparieren, Laub harken, vorlesen, singen ... Das alles sind Dinge, die gut auch für Ältere passen. Sie können sich an alte Zeiten und ihre eigene Kindheit erinnern – als es noch hohe Rutschen und Kletterbäume, quietschende Schaukeln und giftigen Goldregen hinterm Zaun gab.

All das ist heute nicht mehr zugelassen, weil man runterfallen, Sand in den Mund kriegen, sich klemmen kann ... Oder man traf sich zum Gummi-Twist oder auf dem Bolzplatz mit einem „Ding“, das kaum den Namen Ball verdiente. Kleinere wunderten sich, dass die Eltern den Sandkuchen dankend ablehnten. Einigen  genügte „nichts“. Sie erfanden Hüpfspiele mit einem Stein; malten ihre Fantasie aufs Pflaster, verfolgten bei Regenwetter selbst gebaute Papierschiffchen durch gebuddelte Kanäle. Manches klappt auch heute noch im Kinderparadies.

Unterstützung: Förderverein der Aktion Kinderparadies Hamburg e. V., Hamburger Sparkasse, IBAN: DE16 2005 0550 1207 1498 06, Verwendungszweck: Name und Adresse (für die Spendenbescheinigung), Kontakt: foerderverein@aktion-kinderparadies.de, http://aktion-kinderparadies.de     

 

Dr. H. Riedel © SeMa

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