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Muttertagbesuch – oder ein Name ist nicht genug

Zugergeben – es kommt heute seltener vor, dass Menschen einen Beinamen bekommen. Bei „Oxford Languages“ findet sich zum Thema „Beinamen“ nachstehende Definition: „zusätzlicher (inoffizieller) Name, mit dem jemand oder etwas aufgrund bestimmter Eigentümlichkeiten von seiner Umgebung benannt wird“. Auch wenn die Grenzen fließend sind, gibt es drei Kategorien von Beinamen: Sie beschreiben körperliche Eigenschaften, heben charakterliche Stärken sowie Schwächen hervor oder beschreiben die Gesamtleistung beziehungsweise den Herrschaftsbereich einer Persönlichkeit.

Ohlsdorf Cordes-Brunnen.

Was sie sagen – wie sie täuschen

Am einfachsten sind Beinamen nachvollziehbar, die körperliche Merkmale beschreiben. Das könnte man glauben. Doch Vorsicht: Der Vater Karls des Großen, Pippin der Kleine, war vermutlich gar nicht körperlich klein. Der Beiname sollte lediglich den historischen Unterschied zu seinem bedeutenderen Sohn hervorheben. Verbürgt ist hingegen der rote Bart Kaiser Friedrich I., genannt Barbarossa. Etwas komplizierter ist die Sache mit dem „Sonnenkönig“ Ludwig XIV. von Frankreich. Er sah sich – von Gottes Gnaden – als die Sonne und das Zentrum seines Landes an, das er 72 Jahre lang regierte. Folgerichtig führte er auch die Sonne im Wappen. Der deutsche Kaiser und spanische König Karl V. regierte über ein Reich, von dem er selber gesagt haben soll, dass in ihm „die Sonne niemals unterging“, reichte es doch von Mitteleuropa bis zu den nach seinem Sohn und Nachfolger Phillip benannten Philippinen. Aber bei Karl V. findet sich keine Spur von Sonne. Er blieb ohne Beinahmen. In der jüngeren Zeit gingen Fürst Otto von Bismarck als „Eiserner Kanzler“ und Margaret Thatcher als „Eiserne Lady“ in die Geschichte ein. Im Nachkriegsdeutschland hat es bisher noch kein Politiker zu einem Beinahmen gebracht – lediglich der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder hat seinen Freund Vladimir Putin mit dem schönen Beinamen „lupenreiner Demokrat“ bedacht, der aber vermutlich so nicht in die Geschichte eingehen wird. Und deutsche Politiker der Nachkriegszeit – weit und breit Fehlanzeige, wenn es um ehrende Beinamen geht.

Inge Meysel.

Sind wir deshalb arm dran?

Nein, nicht ganz. Die Bundesrepublik hatte Schauspieler mit Bei-namen. Da gab es das „Seelchen“ Maria Schell und die „Sünderin“ Hildegard Knef. Uschi Glas wird immer das „Schätzchen“ bleiben, obwohl ihre aktuelle Autobiografie genau das Gegenteil behauptet. Nicht zu vergessen Curd Jürgens. Er durfte sich als „normannischer Schrank“ – in der deutschen Presse wurde daraus ein Kleiderschrank – fühlen. Jürgens wurde als Curd Gustav Andreas Gottlieb Franz Jürgens am 13. Dezember in München als Sohn einer Französin aus dem Haute Savie – also keineswegs aus der Normandie – geboren. Sein Vater war aber ein begüterter Hamburger Exportkaufmann mit dänischen Wurzeln. Den „Schrank“ hängte ihm keine geringere als Brigitte Bardot an. Sie wird wohl wissen, warum sie das tat. Sein Lebensmotto war das des Schriftstellers und Dandys Oscar Wilde: „Auf alles könne ich verzichten, nur auf Luxus nicht.“

Und nun zur Mutter

Dass gerade sie, deren einziges Kind 1942 kurz nach der Geburt starb, „Mutter“ im Beinamen führte, ist eine Besonderheit, auf die die Schauspielerin Inge Meysel besonders stolz war. Sie pflegte das Mutter-Image bis ins hohe Alter. Sie war die Mutter der Nation! Bereits 1959 eroberte sie sich diesen Titel mit der Rolle der Portiersfrau Anni Wiesner und baute diese Stellung in der Rolle der Käthe Scholz in der Fernsehserie „Die Unverbesserlichen“ (1965 bis 1971) uneinholbar weiter aus. Nicht nur im Film war sie die streitbare Mutter, die für ihre Lieben und das, was sie für richtig erachtete, kämpfte. Auch im wirklichen Leben ließ sie kein strittiges Thema aus. Bereits 1925 – so berichtete sie – habe sie sich in einer Rede bei den Jungdemokraten als fünfzehnjährige Berliner Göre gegen die Todesstrafe ausgesprochen. Sie war gegen den Paragrafen 218 und für gleichgeschlechtliche Liebe. 1971 bezichtigte sie sich mit 373 anderen Frauen im „Stern“, abgetrieben zu haben.

Inge Meysels Grab.

Das Bundesverdienstkreuz lehnte sie mit der Begründung „Ich brauche keinen Orden dafür, dass ich anständig gelebt habe“ ab. Sie kämpfte gegen AIDS und unterstützte den Wahlkampf von Willy Brandt. Sie verhinderte gerichtlich, dass ein Deich ihr Haus vor dem Hochwasser der Elbe schützt. 2004 – da war sie bereits 94 Jahre alt – spielte sie trotz Altersdemenz die ihr seit neun Jahren vertraute Rolle der Oma Kampnagel in Polizeiruf 110. Sie war omnipräsent. Eine Talkshow mit ihr konnte gar nicht langweilig werden. Meysel starb am 10. Juli vor zwanzig Jahren. Ihre Urne liegt auf dem Parkfriedhof Ohlsdorf im Grab neben ihrem Mann John Frederick Olden, der bereits seit 1965 auf sie wartet. Er war 8 Jahre jünger als sie.

Muttertagbesuch

Sie hat ihn leicht gemacht, die Mutter Inge Meysel. Denn ihr Grab auf dem Friedhof Ohlsdorf ist einfach zu finden. Das Verwaltungsgebäude des Friedhofs im Rücken, geht es die Cordes-Allee in Richtung Osten. Nach kurzer Zeit findet sich auf der linken Seite der Cordes-Brunnen aus rotem Sandstein. Leise plätschernd fällt das Wasser in die Brunnenschale. Nun gilt es, die kleine Freitreppe auf der linken Seite zu erklimmen, um dann dem befestigten Weg nach links zu folgen. Schon bald führt ein Weg rechts ab. Bereits nach wenigen Metern steht auf der rechten Seite das Grabmal „Winnefeld“, geschmückt mit einem Obelisken. Direkt hinter dieser Grabstelle befindet sich eine kleine Lichtung. Am Boden eine große schwarzgraue Steinplatte. Hier liegt sie, die Mutter der Nation. Hier ruht nach einem kämpferischen, langen Leben die Schauspielerin Inge Meysel.       

 

F. J. Krause © SeMa

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