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LOTTI MÜLLER

... ein Hamburger Original, Vorbild in Sachen Kampfgeist und die älteste Langstreckenschwimmerin der Welt

Grünkohl auf ihrem Balkon.
Foto © Marion Schröder

Als wir die als „Schwimm-Lotti“ bekannte Hamburgerin in ihrer Wohnung im zweiten Stock in Hamm zum Interview trafen, waren wir erstaunt und amüsiert, als sie uns zuerst die ungewöhnlichen, schönen grünen Pflanzen in ihren Balkonkästen zeigte.

„Ist das nicht toll, ich konnte den ganzen Winter über die Blätter kochen oder als Salat zubereiten, es ist Grünkohl“, erklärte sie voller Stolz. ,,Im Jahr davor hatte ich Kartoffeln hier angepflanzt und konnte viele aus der Erde buddeln und in verschiedenen Variationen zubereiten.“

Schon daran ist zu erkennen, wie kreativ Lotti Müller ist, die am 3. Mai ihren 90. Geburtstag feierte. Die Optimistin erzählte uns drei Stunden lang aus ihrem Leben und vor allem darüber, dass die Umsetzung der Worte „ich kann nicht, ich will nicht, ich möchte nicht“ für sie nie existierten und sie auch jetzt noch alles anpackt und hilft, wo sie kann. 

Lotti Müller mit
Ehemann Hans 1963.
Foto © privat

Kurz vor dem Zweiten Weltkrieg kam sie im Herzen Hamburgs auf die Welt. Ihre Mutter war Schneiderin, der Vater Koch und Konditor. ,,Von beiden habe ich sehr viel gelernt und bestimmt auch vererbt bekommen. Backen und Kochen sind nur einige meiner Leidenschaften. Meine Garderobe schneidere ich noch heute selbst. Wir hatten nicht viel Geld zur Verfügung, trotzdem war ich auch schon als Kind immer hübsch angezogen. Meine Mutter konnte aus allen Reststoffen etwas Elegantes nähen.

1939 kam ich zur Schule. Es war Krieg, und die Räume waren kalt und die Fensterscheiben zersplittert. Ich wurde oft verschickt. Gleich nach der Schulzeit erlernte ich die englische Sprache, weil ich wusste, dass mir dadurch die Welt offen steht. Damals ahnte ich natürlich noch nicht, dass ich bei meinen späteren Schwimmwettkämpfen in England, Schottland, Wales und auch rund um Malta sprachlich gewappnet war.“

Ihre Schwimmkarriere begann durch ein Venenleiden

Lotti war knapp 60, als ihr Arzt diese vererbte Krankheit nicht in den Griff bekam und keine Idee mehr für eine Heilung hatte. Es blieb nur die Alternative Rollstuhl oder Schwimmen. Sie entschied sich gegen den Rollstuhl und nahm mithilfe ihres Mannes, der sie ab diesem Zeitpunkt auch trainierte, den Kampf gegen die Krankheit auf. Sie schloss sich Vereinen und Seniorenschwimmen an, merkte aber schnell, dass sie mehr wollte als längere Strecken zu schwimmen: an Wettkämpfen teilnehmen, andere Länder und interessante Menschen kennenlernen. Sie schaffte sich damit immer schöne Erinnerungen, wie sie berichtete.

In Schottland bei dem
Schwimmwettbewerb RIVER TAY. Foto © privat

An vielen großen Wettbewerben nahm die Frohnatur teil, auch noch im Alter von 74 Jahren an der Überquerung des Ärmelkanals. Bürgermeister Ole von Beust gratulierte 2007 dazu und wünschte, dass ihr sportlicher Ehrgeiz noch lange anhalten möge.  

In den Hamburger Schwimmhallen ist Lotti bekannt und beliebt, da sie sehr kommunikativ ist und sich auch gern mit Menschen unterhält. Als einer der Klitschko-Brüder neben ihr schwamm, sprach sie ihn an und fragte, welcher der beiden er sei. Es war Wladimir. Lotti nahm, wie immer, kein Blatt vor den Mund. ,,Zu deinen Boxkämpfen kann ich dir gratulieren, aber dein Schwimmen würde ich als Katastrophe bezeichnen.“ Durch sein Gewicht und den Muskelaufbau konnte er nicht optimal schwimmen. Sie zeigte ihm einige erleichternde Züge, die er gern übernahm.

Die Mitarbeiter im Bäderland sind inzwischen zu ihrer Familie geworden, wie sie uns mitteilte. Über ihren Mann Hans schwärmt die Seniorin: „Ich hatte das große Glück, einen ganz tollen Mann an meiner Seite gehabt zu haben. Wir lern- ten uns früh kennen und lieben. Anfang 1954 heirateten wir und hatten 62 Jahre eine glückliche Zeit. Die Liebe blieb, bis er vor sechs Jahren starb.“ Danach musste sie ihr Leben allein in die Hand nehmen. Stillstand gab es für die inzwischen 90-Jährige nie, die in ihrer Wohnung auch ein Standfahrrad und Hanteln für ihre Beweglichkeit nutzt. 

Sie malt erst seit zwei Jahren. Foto © Marion Schröder

,,Auch heute noch schwimme ich einmal pro Woche in Hallenbädern oder im Sommer auch in der Elbe, wenn die Temperatur passt und die Strömung es zulässt. Ich backe und koche gern, male mit viel Freude seit zwei Jahren Bilder, sammle in der Stadt alte Regenschirme aus Papierkörben, reinige sie und nähe daraus Kleidung, Mützen und Taschen. Ich interessiere mich auch für Kultur und freue mich auf jeden Theaterbesuch, der für Menschen mit geringem Einkommen kostenfrei angeboten wird.“

Lotti Müller möchte allen älteren Leserinnen und Lesern Hoffnung machen, dem Alter entsprechend die Bewegung im Wasser zu genießen und dadurch Freude zu empfinden. ,,Ab 60 aufwärts und auch noch über 80 ist das Alter egal. Man kann im Wasser kleine Schritte machen, die Fußspitzen aufsetzen, mit den Armen kleine Brustschwimmbewegungen ausführen oder sie nur neben dem Körper hin- und herschlenkern, mit erhobenen Kopf durch das Wasser  gehen und lächeln. So bleibt der Hals schön gerade. Das tut dem Kreislauf, der Atmung und besonders auch der Seele gut.“

Wenn Sie noch mehr über diese außergewöhnliche Seniorin  erfahren möchten, können Sie das im Internet finden oder sich den NDR-Film vom 10.09.22 mit dem Titel „Elbschwimmerin mit 89 Jahren: Kälte ist relativ“ ansehen.

 

Text + Fotos Marion Schröder (3) © SeMa

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