Keine Ruhe im nassen Grab
Die Grenzen sind fließend. War es Archäologie im Sinne der Geschichtsforschung, oder waren es schlicht Gewinnsucht und Geltungsbedürfnis, die Menschen wie den aktuell gefeierten Heinrich Schliemann zum Schatz des Priamos oder Howard Carter im Tal der Könige zum Grab des goldenen Pharaos Tutanchamun führten? Grabräuber oder Forscher? Zumindest bis zur Mitte des letzten Jahrhunderts entzogen sich Gräber in der See solchen Überlegungen. Das hat sich geändert.

Vom Luxusliner „General von Steuben“ zum Lazarettschiff „Steuben“.
Versunkene Geschichte
Am 31. Mai 1564 gelang es den verbündeten Dänen und Lübeckern, bei einer schon am Vortag begonnen Seeschlacht, das Flaggschiff der Schweden, die „Mars“, zu entern. Ihr Kommandant geriet in Gefangenschaft. Das seinerzeit größte Kriegsschiff auf der Ostsee geriet in Brand und sank. Vermutlich 900 Menschen fanden den Tod. 2011 wurde bekannt, dass das Wrack der „Mars“ in einer Tiefe von 75 Metern, etwa 18,5 Kilometer nördlich von Öland gefunden wurde. Der Dokumentarfilm „Das Jahrhundertwrack“, der erstmalig 2015 auf arte ausgestrahlt wurde, dokumentiert die Geschichte des Schiffes und die Entdeckung des Wracks.
Faszination des Untergangs
Die Geschichte vom Untergang des Lazarett- und Flüchtlingsschiffs „Wilhelm Gustloff“, rund 400 Jahre später in der Ostsee gesunken, erzählt der 1960 in die Kinos gelangte Film „Nacht fiel über Gotenhafen“. Seine Besetzungsliste liest sich wie das „Who’s who“ der damaligen Schauspielelite. An den Kassen war der Film im Nachkriegsdeutschland ein großer Erfolg. Auch wenn die „Wilhelm Gustloff“ mit wohl 9.000 Toten das in der Nachkriegszeit bekannteste „Totenschiff“ in der Ostsee war, das einzige Schiff, das zum Kriegsende Menschen mit ins „nasse Grab“ riss, war sie nicht. In der Ostsee liegen Hunderte Wracks mit Seekriegsgrabstellen aus dem Ersten und Zweiten Weltkrieg. Alleine im Zuge der „Operation Hannibal“, der großen Evakuierungsaktion der Marine in den letzten Kriegsmonaten, gingen nach modernen Schätzungen über 200 Schiffe und Boote in der Ostsee unter. Sie transportierten verwundete Militärangehörige, aber auch zivile Flüchtlinge, vor allem Frauen und Kinder. Zehntausende kamen damals um. All diese Wracks sind unabhängig von ihrer Lage noch immer deutsches Eigentum. Als Seekriegsgräber genießen sie zudem besonderen rechtlichen Schutz. Wirklich?

Ausweis Ursula Matern
Von Dichtern besungen – von Tauchern geplündert
Im heute noch gern zitierten Gedicht „Das Grab im Busento“ schildert August Graf von Platen die (historisch nicht verbürgte) Bestattung des Gotenführers Alarich (370–410) im Flussbett des süditalienischen Busentos. Dazu sei der Fluss vorübergehend umgeleitet worden, damit Alarichs Grab niemals gefunden werden sollte. Ob Dichtung oder Wahrheit – das Grab wurde nie entdeckt und geplündert. Anders die Gräber in der Ostsee: Dort gibt es keine „göttliche Hut“ für die „Heldengräber“, wie sie Georg Dennler mit hohlem Pathos besang. Vielmehr ist festzustellen, dass der Tauchtourismus vor diesen Grabstätten nicht Halt macht. Wracktaucher plündern die Grabstätten und suchen nach Wertgegenständen oder Militaria-Sammlerobjekten. Selbst die Gebeine der Toten werden dabei manches Mal beschädigt oder entwendet. Von einer „Totenruhe unter Wasser“ kann keine Rede sein.

Ihr Retter ging unter – Ursula Matern fordert Grabesruhe für ihn.
Nur unerträglich für Zeitzeugen?
Das empört ganz besonders Ursula Matern, die 1945 als Rot-Kreuz-Helferin den Untergang der „Steuben“ miterlebte. Die „Steuben“ war ein Lazarettschiff und wurde in der Nacht des 9. Februars von einem sowjetischen U-Boot torpediert. Über 3000 Menschen starben damals. Ursula Matern überlebte, weil ihr ein Matrose von der „Steuben“ das Leben rettete. Er selbst kam dabei jedoch um. Seit der Entdeckung des Wracks im Jahr 2004 ist auch die „Steuben“ ein Tummelplatz für selbst ernannte „Forscher“ und Schatzsucher geworden. Inzwischen ist das Wrack regelrecht „abgegrast“. Ursula Matern feierte im Oktober 2021 ihren 101. Geburtstag. Die Erinnerung an die „Steuben“ ist für sie ein steter Begleiter. Der Gedanke, dass dieses Seekriegsgrab, in dem sich auch die Gebeine ihres Lebensretters befinden, immer wieder von Grabräubern heimgesucht wird, ist für sie nur schwer erträglich.
Zeitzeugen gesucht
Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge wird zusammen mit dem Deutschen Marinebund im September 2022 in den Räumlichkeiten des Internationalen Seegerichtshofes in Hamburg eine große, mehrtägige internationale Tagung durchführen, auf der die Bedrohung der Seekriegsgräber durch Plünderer auf der Tagesordnung stehen wird. Er ist in diesem Zusammenhang sehr dankbar für Beiträge Betroffener. Dazu gehören Personen, die selbst Schiffsuntergänge überlebten, oder Personen, die Angehörige/Vorfahren haben, deren Gebeine in Seekriegsgräbern auf dem Meeresboden ruhen. Deren Erleben oder Berichte, in kurze Texte zusammengefasst, sollen Teil der geplanten Dokumentation werden. Ziel ist es, die Öffentlichkeit für die Problematik des Schutzes von Seekriegsgräbern zu sensibilisieren.
Das SeMa wird gern entsprechende Berichte – die wir auch an den Volksbund weiterleiten – veröffentlichen. Wir freuen uns auf Ihre Rückmeldungen. Gern dokumentieren wir auch Ihre mündlichen Berichte! Mails an: SeMa@email.de oder redaktion@senioren-magazin-hamburg.de, Tel.: 040/41 45 59 97.
F. J. Krause © SeMa
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