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Kaffee ist nicht alles

Geld vom Senat für Seniorentreffs?

Der eine oder andere mag skeptisch sein. Da werfen sich im Leben Ergraute einen roten Plastikball zu und rufen ihren Namen, andere knüpfen Makramee-Schlüsselanhänger, andere schwingen gymnastisch um den Stuhl, wieder andere studieren ihr Smartphone. In einer ruhigen Ecke hört man Schach dem König. Einige machen einen Ausflug zum Wildgehege. Ein Team spielt Wii-Bowling. Und andere halten bei Kaffee und Kuchen Klönschnack. All das will organisiert sein. Oft übernehmen engagierte Senioren aus den eigenen Reihen ehrenamtlich das Ruder, aber immer öfter fehlen diese helfenden Hände. Die Politik will daher in Hamburg, die Seniorentreffs mit 500 000 Euro unterstützen und hauptamtliche Hilfe geben. Rot/Grün hat Grau erkannt und entdeckt: Miteinander schützt vor Einsamkeit.

Das haben auch Wissenschaftlicher im Auftrag der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Anne Spiegel, herausgefunden. Sie sagt: „Es ist gut, dass die meisten Menschen im hohen Alter nicht per se einsam sind. Aber die Pandemie hat viele einsam gemacht, die es davor nicht waren. Viele ältere Menschen haben sich zurückgezogen und ihre Kontakte  eingeschränkt, um sich vor Corona zu schützen. Einsamkeitsgefühle haben dadurch leider zugenommen.“

Alt und einsam

Frauen sind mehr als doppelt so häufig von Einsamkeit im Alter betroffen wie Männer: Der Anteil einsamer älterer Menschen in Heimen beträgt 35,2 Prozent, in Privathaushalten 9,5 Prozent. Eine andere Studie zeigt: Während Corona hat das Einsamkeitsempfinden der Menschen ab 46 Jahren deutlich zugenommen. Im Sommer 2020 lag der Anteil sehr einsamer Menschen zwischen 46 bis 90 Jahren bei knapp 14 Prozent und damit 1,5-mal höher als in den Vorjahren. Aber: Ältere Menschen haben das gleiche Risiko, einsam zu sein, wie jüngere Menschen. „Bild am Sonntag“ hat Ältere gefragt. Die sagen, was ist: Vier von zehn Rentnern sagen, dass man in Deutschland nicht gut alt werden kann. 23 Prozent geben an, dass sie sich manchmal einsam fühlen, sechs Prozent häufig.

Die Bundesregierung denkt gleich im Großen und an eine „Strategie gegen Einsamkeit“. Hierzu zählt das Bundesmodellprogramm „Stärkung der Teilhabe Älterer – Wege aus der Einsamkeit und soziale Isolation im Alter“. Hamburg ist näher dran mit dem 500 000-Euro-Paket – wenn es denn losgeschickt wird. Als Ende 2022 der Haushalt der nächsten Jahre beraten wurde, sah der Plan eben diese Summe vor. 2023 und 2024  solle es losgehen mit Projekten zur hauptamtlichen Unterstützung von Seniorentreffs. Der Antrag: Rot/Grün sah (und sieht) vor, den rund 80 hamburger Treffs Rückenwind zu geben, indem künftig – auch professionelle Mitarbeiter die Zügel in die Hand nehmen. Die offene Seniorenarbeit soll gestärkt, offener, bunter, internationaler und diverser werden. Mit dem Projekt der rot-grünen Bürgerschaftsfraktion soll das Ehrenamt nicht abgelöst oder entmündigt werden. Vielmehr geht es um Verstetigung der Arbeit in den Seniorentreffs.

Planen und machen

Der SPD-Bürgerschaftsabgeordnete Markus Schreiber, geboren 1960 und Vorstandsmitglied der SPD-Arbeitsgemeinschaft 60plus in Hamburg, erklärt dazu die gute Absicht der Politik: „Die Tätigkeit der Seniorentreffs geht weit über Kaffee und Klönschnack hinaus. Computerkurse, Smartphone-Kurse, Sportangebote, Gedächtnistraining, Sprachkurse, Kulturangebote sind nur einige Stichworte. Die Seniorinnen und Senioren aus der Einsamkeit zu holen und ihnen interessante Angebote zu machen ist aus meiner Sicht eine ungemein wichtige Aufgabe. Gerade in Stadtteilen, in denen sich nicht alle Golfkurse und Kreuzfahrten leisten können, muss es preiswerte, niedrigschwellige Angebote geben. als Vorsitzender der AWO Hamburg-Mitte, mit Treffs in Billstedt, Wilhelmsburg, Horn, der Veddel und Rothenburgsort, weiß ich, wovon ich da spreche. Aber er benennt auch die derzeitige Lage:

„Es ist sehr schwer, ehrenamtliche Nachfolgerinnen oder Nachfolger zu finden, wenn die zum Teil hochaltrigen Leitungen aufhören. Deshalb wollten wir die ehrenamtlichen Leitungen durch hauptamtliche Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter entlasten. Das haben wir Ende 2022 beschlossen. Leider ist Ende 2023 noch keine einzige hauptamtliche Kraft in einem Seniorentreff tätig, sondern die Fachbehörde streitet noch mit der AWO und anderen Trägern um die Telefonkosten etc.! Das ist aus meiner Sicht ein Skandal. Die Behörde ist zu langsam.“ Der seniorenpolitische Sprecher der SPD kritisiert: „Leider hat der Senat die Hauptamtlichkeit in den Seniorentreffs nicht unterstützt, sondern die SPD-Bürgerschaftsfraktion hat diesen Vorschlag im Rahmen der Haushaltsberatungen gemacht und gemeinsam mit den Grünen beschlossen und finanziert. Im Grunde hätte dieser Impuls von der Behörde für Wissenschaft, Forschung, Gleichstellung und Bezirke kommen müssen.“

Vor- und Nachteile

Also bleibt alles (erst mal) beim und bei den Alten. Jutta Blankau, Präsidiumsvorsitzende der Arbeiterwohlfahrt AWO Hamburg und ehemalige Senatorin für Stadtentwicklung und Umwelt im Senat Scholz, beschreibt die (Leitungs-)Situation in den Treffs und nennt Vor- oder Nachteile einer hauptamtlichen Unterstützung: „Alle 25 AWO-Seniorentreffs werden von Ehrenamtlichen mit großem Engagement geleitet. Jedoch sind die Anforderungen an die Programme und Angebote über die Jahre kontinuierlich gestiegen, sodass auch der organisatorische Aufwand für die ehren-amtlichen Leitungen enorm ist. An dieser Stelle und auch bei der Weiterentwicklung der Programme und Angebote, zum Beispiel für neue Zielgruppen und für die Vernetzung im Quartier, ist aus unserer Sicht eine hauptamtliche Unterstützung vor Ort notwendig. Zumal unsere Erfahrung der letzten Jahre zeigt, dass es auch im Bereich der Seniorentreffs immer schwieriger ist, Ehren-amtliche für diese wichtige Aufgabe zu finden und die meisten Seniorentreffleitungen bereits selbst in einem hohen Alter sind.“

Kaffee und Kuchen

Auch Blankau weiß, dass Kaffee und Kuchen wichtig, aber nicht alles sind. Die Interessen der hier anzutreffenden „Senioren“ über 50 Jahre gehen über den (Untertassen-)Tellerrand hinaus:  „Mit Angeboten zu Gesundheit, Sprachen oder Medientechnik, kreativen Aktivitäten, Sport und Bewegung oder Kulturangeboten sind sie wichtige Lern- und Begegnungsorte im Quartier, insbesondere für Menschen, die über wenig Geld verfügen. Dabei ist ein regelmäßiger Klönschnack als offenes Angebot sehr wichtig. Unter anderem für Alleinlebende, um mit geselligem Beisammensein soziale Isolation zu verhindern.“  

Theorie und Praxis

Die AWO setzt um, was auch in der Theorie bekannt ist. Soziale Netzwerke fangen die Einzelnen auf, junge wie alte Menschen. Sie sind  eine Voraussetzung für Zufriedenheit, Sicherheit und persönliches Wohlbefinden. Wer kaum Geld und Kontakt hat, läuft Gefahr – auch sozial und seelisch – weiter zu verarmen. Menschen, die wenige Freunde, Familienmitglieder oder Nachbarn haben, von denen sie Rat oder Trost erhalten können, berichten häufiger von Einsamkeit: Personen in Armut und Personen mit geringer Bildung haben ein deutlich höheres Risiko, sich ausgeschlossen zu fühlen: Bei Personen in Armut ist das Einsamkeitsbefinden dreimal höher als bei denen, die nicht von Armut betroffen sind. die AWO steuert dagegen. Aber auch andere, die ganz auf sich allein gestellt sind und einer städtischen Förderung recht kritisch gegenüberstehen.

So wie der Verein Kreaktiv Hamburg, der allerdings kein klassischer Seniorentreff ist, wie der Vorsitzende Rainer Stelling betont: „Wir sind ein privater Verein, der schon über 30 Jahre in Hamburg tätig ist. Mittlerweile sind die meisten Mitglieder schon im Rentenstand, aber wir gestalten immer noch unsere Freizeit, wie wir es 1984 schon getan haben. Etwa 50 ehrenamtliche Mitglieder bringen sich monatlich ein, um unser Freizeit-Programm mit Aktivitäten zu füllen. Unsere finanzielle Situation ist der Mitgliederzahl entsprechend ausreichend, aber die Situation ist bedenklich, trotz Werbung gelingt es uns nicht, die Zahl von derzeit 200 Mitgliedern  um 50 neue zu erweitern.“

Privat und öffentlich

Einer öffentlichen Förderung gegenüber ist er skeptisch. Viele klagten zwar über Einsamkeit. „Dagegen wird auch der Hamburger Senat mit noch so viel Geld nichts machen können, denn die Menschen sind zwar Suchende – aber aktiv werden möchten sie auch nicht. Selbst wenn der Senat uns finanziell unterstützen würde, um Honorarkräfte für Freizeitangebote zu bekommen, müssten die Menschen immer noch selbst aktiv werden, um in unsere Vereinsräume zu kommen oder auch an öffentliche Orte, und darin liegt das Problem.“

Dabei sank die Zahl der Besucher zwar während der Corona-Zeit, da die Treffs schließen mussten. Aber der Senat geht von 600 000 Besuchern im Jahr aus. Und dabei geht es nicht nur um Kaffee und Kuchen. Kaffee und Kuchen können, aber müssen nicht sein. Es geht auch anders. Seniorentreffs sind und müssen keine altbackenen Programme haben, sagt Mitra Kassai, die Oll Inklusiv ins Leben gerufen hat und seither dirigiert ihren Verein – sogar bis in die NDR Talk Show. Vor fünf Jahren gründete die gelernte Hutmacherin, Kultur- und Musikmanagerin die „Initiative gegen Alterseinsamkeit und gegen Altersarmut. Und dass sie auch mal als Discjockey (DJane) Platten auflegte, merkt man: Das erste Projekt hieß „Halbpension“. Die Ü65 waren regelmäßig an Sonntagnachmittagen in die Clubs der Stadt eingeladen. Hier konnten sie das Tanzbein auf dem Dancefloor schwingen, ohne dass die Jugend über die Wiener-Walzer-Ollen lästerte.

Musik und Tanz

Heute geht’s um mehr. Der Name ist Programm. Es geht um ein „lebensbejahendes Gemeinschaftserlebnis“ mit Kultur, Rätselspaß, Tanz und Klönschnack: „Wir laden alle Menschen 60+ von Herzen ein, ohne Barrieren und voller Lebensfreude am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Auf Augenhöhe und mit viel Achtsamkeit setzt sich ein starkes ehrenamtliches Team dafür ein, Altersarmut und Einsamkeit entgegenzuwirken. So entsteht ganz selbstverständlich ein anregender Austausch zwischen Jung und Alt. Über Kultur, Kreativität, sportliche und soziale Aktivitäten schafft Oll Inklusiv positive Momente des Miteinanders, die unmittelbar beleben und nachhaltig wirken.“
Den Begriff Seniorentreff würde Kassai wohl eher ungern nutzen. Ihre Gäste sind denn auch keine Älteren, sondern Senioren und Señioritas. Dabei legt sie Wert auf diese Benennung. „Die neuen Alten sind mit Wirtschaftswunder und Rock’n’Roll aufgewachsen. Sie diskutieren und feiern gerne. Sie haben Ecken und Kanten, Glamour und Esprit. Sie sind die jüngsten Alten, die es je gab.“

Alt und digital

„Wie die Alten sungen, so zwitschern auch die Jungen.“ Das Sprichwort ist aus der Mode gekommen und gegen den Strich zu bürsten. Was die Jungen können, können Ältere auch. Alter schützt vor Digitalisierung nicht. Auch Seniorentreffs sind offen für die digitale „Transformation“ – die bieten Kurse, um mit dem Smartphone umzugehen, per WhatsApp mit den Kindern in Australien zu plaudern oder sich am Laptop über die neuesten Modelleisenbahnen, Tango-Schritte oder Denksportanlagen zu informieren. Barbara Sommerschuh vom Deutschen Senioren ComputerClub Hamburg e.V. erklärt, warum bei ihnen Kaffee und Klicks zusammengehören. Unser Ziel ist, „Menschen 50+ in die Geheimnisse der digitalen Zukunft einzuführen. Unser Grundprinzip ist die Weitergabe von Wissen und Fertigkeiten von Mitglied zu Mitglied. In unseren Clubräumen steht eine Infrastruktur von rund 20 PC-Arbeitsplätzen mit zentralem Server zur Verfügung.“ Hier finden Kurse statt, damit PC. Smartphone und Internet kein Neuland für Ältere bleiben. Es geht um Textbearbeitung oder Tabellenkalkulation, Digitalisierung von Papierbildern, Dias, Schallplatten und Filmen, das Erstellen und Bearbeiten von Videos oder – in letzter Zeit immer mehr, die Nutzung von Smartphone und Tablet. Und zum Geld? „Der Club finanziert sich ausschließlich über die Mitgliedsbeiträge, damit werden die Miete und Hard- und Software für den Unterricht finanziert. Er wird deshalb bisher als kommerziell eingestuft und erhält keinerlei Zuwendungen von der Stadt Hamburg.“

Wer einsam ist, geht nicht nur häufiger zum Arzt, weil dieser vielleicht der einzige soziale Kontakt ist. Er wird auch leichter krank, nicht nur, weil sich keiner kümmert. Einsamkeit kann Herzkrankheiten, Infarkte, Alzheimer fördern. 2018 ernannte Großbritannien die weltweit erste Einsamkeitsministerin. In Japan hat sich die Politik die Einsamkeit zu Herzen genommen und 2021 ein Ministerium für Einsamkeit gegründet. In Deutschland warnte Gesundheitsminister Karl Lauterbach vor einer „Pandemie der Einsamkeit“ und votiert für einen Regierungsbeauftragten zur Einsamkeit. Zum Fest 2022 erkannte Familienministerin Lisa Paus, dass Weihnachten „für einsame Menschen besonders schmerzlich sein kann“, nannte Pläne gegen Einsamkeit und erklärte, warum das Thema auch für die Demokratie wichtig ist. Hamburg hat seine 80 Seniorentreffs und schenkt ihnen nach dem Fest hoffentlich mehr Aufmerksamkeit und Geld.

 

Dr. H. Riedel © SeMa

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