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Grünkohl, Kultur und Königswürden

Oldenburg – wo aus Demokraten Monarchen werden!

„Superfood“ Grünkohl auf dem Hamburger Wochenmarkt – Thorsten Busch aus Bardowick mit Grünkohl der Sorte „Lerchenzunge“. Foto: Krause

„Und dann kommt der ersehnte zweyte Gang, die Hauptschüssel, eine ungeheure Kumme voll braunen Kohls! ... Mich ekelt er an ...“ Das schrieb 1586 der humanistische Gelehrte Justus Lipsius über ein Gasthausessen in Oldenburg in Oldenburg an einen Freund.

Schlau, aber voreilig

Das Beispiel Lipsius zeigt, dass auch kluge Leute mit ihren Meinungen gelegentlich zurückhaltender sein sollten, denn in seinem Brief zog er nicht nur über den Grünkohl her, sondern er trat sozusagen ganz Oldenburg und seine Bewohner „in die Tonne“! Denn auch wenn man sich über den Geschmack von Grünkohl durchaus streiten kann – sein Nutzen für den Menschen ist unstrittig. Die Wissenschafts-Zeitschrift „Lancet“ berichtete, dass Grünkohl vermutlich das gesündeste Wintergemüse mit einem hohen Gehalt an Vitamine C und E, Eisen und Kalzium ist. Nach neuesten Forschungen ist der im Grünkohl enthaltene Pflanzenstoff Indol-3-Carbinol geradezu ein pflanzliches Dauerschutzschild, den Schwangere ihren Kindern gegen Blut- und Lungenkrebs mit ins Leben geben können. Und in Zeitalter der „Smoothies“ ist Grünkohl ein „Superfood“, wofür in Australien im Hochsommer im Supermarkt für 200 Gramm stolze A$ 2,99 verlangt werden. Also, Herr Lipsius, erst forschen, dann Briefe schreiben. Auf jeden Fall war ein deftiges Grünkohlgericht schon bei den alten Griechen und Römern beliebt und ist heute trotz der nachgewiesenen medizinischen Vorzüge nicht rezeptpflichtig.

Grünkohl ist nicht nur gesund und schmackhaft, sondern auch vielseitig verwendbar. Hier Grünkohl-könig Boris Pistorius vor einem – noch – konventionell mit Tannengrün getarntem Panzer. Foto: Bundeswehr

Von der Theorie zur Praxis

Durch seine Schriften zum Militärwesen, in denen er die Notwendigkeit stehender Heere nachwies, begründete Lipsius die Verwissenschaftlichung des Kriegswesens. Waffenerfahrung, geschweige denn militärische Praxis, hatte der Grünkohlverächter allerdings nicht vorzuweisen. Ihm reichte die spitze Feder, mit der er nicht nur über den Kohl, sondern auch über seine durchaus zahlreichen Gegner herzog. Wenn Verteidigungsminister Boris Pistorius am 13. Februar beim 65. „Defftig Ollnborger Gröönkohl-Äten“ in der Niedersächsischen Landesvertretung in Berlin zur neuen Oldenburger Grünkohlmajestät gekürt wird, übernimmt nach gleich drei Damen ohne Wehrerfahrung ein Mann das Zepter, der nicht weit von Oldenburg in der 2003 geschlossenen Steuben-Kaserne in Achim 1980/81 seinen Grundwehrdienst abgeleistet hat. Mit ihm bewiesen die Oldenburger Kurfürsten ein glückliches Händchen. Denn Pistorius ist per Jahresende 2023 der beliebteste deutsche Politiker und liegt in der Gunst der Bürger deutlich vor Olaf Scholz auf Platz neun und Bundesfinanzminister Christian Lindner auf Platz 13, von dem er die Königswürde übernehmen wird.

Grünkohl gehört in Norddeutschland zum Winter – mit und ohne
Schnee. Foto: Krause

Nur die erste Riege

Nicht viele Städte können sich rühmen, so viele Spitzenpolitiker für sich so eingenommen zu haben wie Oldenburg. „Lassen Sie sich etwas echt Oldenburgisches einfallen und kommen Sie damit nach Bonn. Dann mache ich auch mit.“ So Bundespräsident Prof. Dr. Theodor Heuss 1956 auf eine Anfrage aus Oldenburg ob, er sich einen Besuch in der Stadt an der Hunte vorstellen könnte. Prompt wurde er der erste Grünkohlkönig und begründete damit eine Tradition, die eine Vielzahl von Spitzenpolitikern – so auch Hamburgs Bürgermeister Ole von Beust – fortsetzten. Natürlich durfte auch Helmut Schmidt nicht fehlen, der 1978 zu Protokoll gab: „Mit Grünkohl ist es wie mit manchem Jungpolitiker in Parlamenten: Sobald er drin ist, bläht er sich auf.“ Und 1984 stellte Helmut Kohl begeistert fest: „Als Kohl kam ich zur Welt, als Kohl werde ich sie irgendwann verlassen, und zwischendurch bin ich nun ein Jahr lang Kohlkönig – mehr Kohl kann man sich nicht vorstellen!“

Und wie isst der „Grünkohl-Papst“ Dr. Christoph Hahn den Grünkohl? Das SeMa hat nachgefragt: „Ich probiere gerne neue Gerichte mit Grünkohl aus, z. B. einen tollen Grünkohlauflauf oder eine Quiche; Grünkohl kommt bei mir auch auf die Pizza, in den Salat oder auf den Burger. Grünkohl klassisch ist aber natürlich auch fester Bestandteil meines Speiseplans.“
Foto: Universität Oldenburg

Doch – mehr Kohl ist möglich

An der Oldenburger Universität forscht und arbeitet ein Mann, der sich ganz dem Grünkohl verschrieben hat. Und anders als der schon erwähnte Holländische Gelehrte Lipsius nicht nur theoretisch, sondern auch ganz praktisch.

Es ist der Biologe Dr. Christoph Hahn. In seiner Promotionsarbeit „It’s all about kale“ ist er dem Grünkohl gründlich auf die Blätter und ihre Inhaltsstoffe gerückt. Mit spannenden Ergebnissen. Denn die weltweit 150 Grünkohlvarietäten tragen nicht nur klangvolle Namen wie „Winnetou“, „Lerchenzunge“,  „Lacinato“, „Black Magic“, „Scarlet“, „Ditzum“ oder „Neuefehn“, „Ostfriesischen Palme“, „Nero di Toscana“ oder „Champion“ – sondern es gibt mindestens vier genetisch unterschiedliche Gruppen: Eine Gruppe bilden die für Norddeutschland typischen Sorten mit krausen Blättern. Außerdem gibt es amerikanische Sorten mit breiteren, dicken und oft glatten Blättern, die der Wildform des Kohls ähneln.

Eine dritte Gruppe sind die italienischen Sorten. Sie besitzen längliche dunkle Blätter und sind auch als Palmkohl oder Schwarzkohl bekannt. Weiterhin existiert eine sibirische Gruppe mit eher niedrig wachsenden Sorten, die gezackte Blätter haben und besonders winterhart sind.

Aus all diesen genetischen Möglichkeiten hat Hahn einen Grünkohl gezüchtet, der seinen Idealvorstellungen entspricht – die „Oldenburger Palme“! Oldenburger Gartenfreunde haben im Herbst 2023 erstmalig deren Saatgut übernommen – im Feldversuch wird sich zeigen, ob zukünftig die Oldenburger Könige das Eigengewächs der Stadt serviert bekommen.

Nicht nur die Optik ist opulent – auch darstellerisch kann sich das Staatstheater Oldenburg hören und sehen lassen. Foto: Andreas J. Etter

Überhaupt Kultur

Mit der Carl-von-Ossietzky-Universität mit 15.677 Studenten und 2.872 Mitarbeitern (Stand: Wintersemester 2021/2022) hat die Stadt mit ihren knapp 170.000 Einwohnern deutlich mehr Studenten je Einwohner als Hamburg. Und das auch ansonsten die Kultur nicht zu kurz kommt, dafür sorgt unter anderem ein Musentempel, der keinen Vergleich mit größeren Städten scheuen muss. Bereits seit 1833 gibt es in Oldenburg ein Theater. Im Jahr 1893 wurde es von außen spätklassizistisch und von innen neobarock gestaltet. Seine Schönheit überzeugte die Stadtväter von Göttingen so, dass sie sich wenig später ihr Theater nach den gleichen Plänen bauen ließen. Im Februar und März gibt es in Oldenburg gleich zwei Premieren „The Crash“ (09.02.) und „Peter Grimes“ (09.03.) sowie die Wiederaufnahme von „Les Boréades“, der letzten Oper von Jean-Philippe Rameau (1683–1764), in französischer Sprache mit deutschen Übertiteln. Die Fachzeitschrift „Opernwelt“ schwärmt „... geistreich inszeniert, wunderbar getanzt, stilvoll musiziert – ein zauberhafter Abend, den Christoph von Bernuth da inszeniert hat und den Antoine Jully mit einer wunderbar biegsamen, vor Esprit nur so sprühenden Choreografie beseelt mit der Ballett Compagnie Oldenburg, deren Können ebenso betört wie ihre erotisch-komische Ausstrahlung.“ Geschichte, Kultur und Wissenschaft und eine liebenswerte, lebendige Innenstadt gehen in Oldenburg eine liebenswerte Symbiose ein, die es zu erkunden lohnt. Für Grünkohlkönige und bürgerliche Freunde einer deftigen Mahlzeit.  

 

F. J. Krause © SeMa

(Bild ganz oben: Biobauer Jochen Voigt aus Syke-Gessel freut sich über die prächtige Ernte. Seine Kunden im Laden- und Hofrestaurant teilen die Freude. Auch wenn Justus Lipsius das nicht verstehen würde. Foto: Voigt)

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