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Gendern: ideologische Verbalakrobatik?

„Weißt du, wie viel Sterne stehen, an dem blauen Himmelszelt?“ dichtete Pastor Johann Wilhelm Hey 1837 und schuf damit ein Lied, das noch heute Bestand hat. Im letzten Vers heißt es: „Gott im Himmel hat an allen seine Lust, sein Wohlgefallen ...“

Der „Rat für deutsche Rechtschreibung“ ist der Hüter des amtlichen Deutsch. Noch empfiehlt er das Gendern nicht.
© Leibniz-Institut für Deutsche
Sprache, Mannheim

Die Sterne, Doppelpunkte und Binnen-Is in Koalitionsverträgen sowie behördlichen Texten haben zwar nicht Gott der Herr, aber die Mitglieder der Volksinitiative „Schluss mit der Gendersprache in Verwaltung und Bildung“ „gezählet“. Das Resultat bereitete weder Lust noch Wohlgefallen. Ganz im Gegenteil – überflüssig, ja sogar schädlich für die Sprache seien Sterne, Striche und Doppelpunkte. Die Volksinitiative möchte dafür sorgen, dass die „Genderei“ wieder verschwindet. Sie wendet sich gegen eine Sprachveränderung, die in Hamburgs Verwaltung und öffentlich-rechtlichen Medien überwiegend benutzt wird, obwohl sie von den offiziellen Sprachhütern ausdrücklich nicht empfohlen wird. Die Sprachveränderungen werden von ihren Befürwortern als „wertschätzend“ gelobt – von ihren Gegnern als „sprachverdrehend“ abgelehnt.

Wer hat das Gendern beschlossen?

Offizielle Beschlüsse gibt es in drei Partei-en – bei den Grünen, der Linkspartei und der AfD. Die Grünen führten bereits im Jahr 2015 eine gendergerechte Sprache ein. 2017 beschlossen die Linken die Einführung des Gendersternchens. Ganz anders die AfD. Sie brachte Ende 2022 beim „Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung“ des Bundestages den Antrag 20/4898 eingebracht, nach dem Drucksachen, die im Plenum oder den Ausschüssen des Deutschen Bundestages behandelt werden, nicht in der sogenannter Gendersprache abgefasst werden dürfen. Die AfD-Fraktion fordert ein entsprechendes Verbot in der Geschäftsordnung des Bundestages. Konkret will sie, dass „insbesondere Gesetzentwürfe und Anträge“ in „klarer, verständlicher und einfach lesbarer Schreibweise“ abgefasst werden müssten. Vor allem Sternchen, Doppelpunkte und Binnen-I sollten nicht verwendet werden dürfen.

„Wir haben das Gendern nicht erfunden“, so Senatorin Fegebank gegenüber dem SeMa, „aber wir halten es für richtig und wichtig.“ Foto: Krause

Und was sagen die anderen Parteien?

Hamburgs CDU-Chef Christoph Ploß möchte die Gendersprache bei staatlichen Stellen verbieten und unterstützt eine entsprechende Initiative: „Zu Hause am Abendbrottisch sollte selbstverständlich jeder, der das möchte, nach Herzenslust gendern können“, so der junge Politiker in einem „Spiegel“-Interview. „Aber von Beamten, Lehrkräften und Dozenten erwarte ich, dass sie im Dienst gültige Regeln und Normen nicht einfach willkürlich verändern. Daher wehre ich mich dagegen, dass von Behörden, Ministerien, Schulen und Universitäten, also staatlichen Einrichtungen, eine grammatisch falsche, künstliche und ideologisch motivierte Gendersprache verwendet wird, die ständig das Trennende betont.“ Die SPD genderte in ihrem Programm zur Bundestagswahl 2021 und steht in Hamburg hinter den „Hinweisen“ der grün geführten Behörde. Selbst der Schulsenator Thies Rabe lässt in seiner Behörde die grammatikalisch falsche, geschlechtersensiblen Sprache verwenden. Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner äußerte sich auf www.abgeordnetenwatch.de so: „Die ‚modernen‘ Genderformen wie das Binnen-I oder den Genderstern nutze ich persönlich nicht. Ich halte sie auch weder für notwendig noch für zielführend – vor allem auch deshalb, weil unsere Sprache schon längst viele Möglichkeiten kennt, Vielfalt und Diversität auch über die konventionellen Gattungsbegriffe hinaus darzustellen. Grundlegend ist es natürlich jeder Person selbst überlassen, ob und wie man gendert. Wir Freie Demokraten lehnen Sprechverbote in jede Richtung jedenfalls ab – sowohl von vermeintlich progressiver als auch von reaktionärer Seite.“ Die SPD steht dem Gendern positiv gegenüber. Ob aus Überzeugung oder aus Rücksicht auf den Koalitionspartner, sei dahingestellt.

Warum überhaupt gendern?

Lena Zagst, die Vize-Fraktionschefin der Hamburger Grünen, erklärte gegenüber dem NRD die Bedeutung des Genderns so: „Gendersensible Sprache ist durchaus wichtig, weil es darum geht, Frauen und Personen, die sich als nicht binär einordnen, sichtbarer zu machen.“ Ziel ist es, die Wahrnehmung zu ändern. Wenn alle Geschlechter mitgesprochen werden, werden sie auch mitgedacht. Hamburgs Gleichstellungssenatorin Katharina Fegebank lehnt ein generelles Verbot der Gendersprache ab. „Wir wollen keine Vorschriften machen, wie jemand sprechen oder schreiben soll. In Hamburg ist weder in der Verwaltung noch in der Schule oder an der Uni die gendersensible Sprache vorgeschrieben. Es muss aber möglich sein, sie zu benutzen. Unsere Hinweise zur geschlechtersensiblen Sprache machen denjenigen konkrete Vorschläge, die diese verwenden möchten. Klar ist, dass dort, wo Texte unverständlich sind oder Wortungetüme entstehen, der Stern oder der Doppelpunkt mit gesundem Menschenverstand eingesetzt werden müssen.“

Nicht ganz so bierernst, dafür aber vor den Grünen in Deutschland, hat die Stiegl-Brauerei Salzburg zum Nationalfeiertag am 26. Oktober 2014 die geschlechtergerechte Sprache für ihre Werbung entdeckt.
Repro: Krause

Auswirkungen im Behördenalltag

Das SeMa hat versucht, die Aussagen von Frau Fegebank in behördliche Praxis umzusetzen: „Für alle Behördenbeschäftigten in Hamburg gilt, dass niemand zum ‚Gendern‘ verpflichtet ist. Sollte also ein Text ‚genderfrei‘ formuliert worden sein, darf er nicht von einem diensthöheren Mitarbeitenden der Hamburger Verwaltung geändert werden. Mit anderen Worten: Schriftstücke ein und derselben Verwaltung können sowohl gegendert – sowie auch nicht gegendert sein. Angehörigen der Hamburger Verwaltung entstehen keine beruflichen Nachteile, wenn sie der Empfehlung des ‚Rats für deutsche Rechtschreibung‘ folgen und nicht gendern.“ Silvie Wemper, die Pressesprecherin der Senatorin, tat sich schwer mit der SeMa-Interpretation und wollte ihr nicht ausdrücklich zuzustimmen oder sie ablehnen. Ihre Begründung: „Sie beschreibt ja lediglich eine Selbstverständlichkeit.“ Der Kommentar eines Mitarbeiters der Verwaltung dazu: „Wer’s glaubt, wird selig – wer’s nicht glaubt, kommt auch in den Himmel.“

Über sechs A4-Seiten führt die Behörde per „Hinweise“ in die geschlechtersensible Sprache ein. Demnach müsste dieses Magazin nicht SeMa, sondern „ÄltMeMa – Ältere-Menschen -Magazin“ heißen.

Der Rat für deutsche Rechtschreibung

Auch wenn es gern heißt: „so steht es im Duden“, ist der nicht die letzte Sprachinstanz. Was „richtiges“ Deutsch ist, darüber wacht der „Rat für deutsche Rechtschreibung“. Ihm gehören 41 Mitglieder aus sieben Ländern und Regionen an. Von diesen stammen 18 aus Deutschland, je neun aus Österreich und der Schweiz und je eines aus dem Fürstentum Liechtenstein, aus der Autonomen Provinz Bozen-Südtirol und von der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens. Das Großherzogtum Luxemburg ist mit einem Mitglied ohne Stimmrecht kooptiert. Die Ratsmitglieder für deutsche Rechtschreibung sind ehrenamtlich tätig. Sie üben Berufe aus, die sie im besonderen Maße für die Arbeit im Rat für deutsche Rechtschreibung qualifizieren: Neben fachlich ausgewiesenen Wissenschaftlern sind im Rat Sprachpraktiker aus dem Verlagswesen, aus den Zeitungs- und Zeitschriftenverlagen, aus dem pädagogischen sowie aus dem journalistischen und schriftstellerischen Bereich vertreten. Der Rat gibt das „amtliche Regelwerk“ heraus, das den Anspruch hat, in allen Ländern und Regionen mit Deutsch als Amtssprache gleichermaßen Geltung zu haben.

Sabine Mertens ist die Sprecherin der
Volksinitiative gegen das Gendern in Hamburg. Sie setzt auf die Unterstützung vieler Bürger.
Foto: Krause

Was sagen die Sprachhüter?

„Der Rat für deutsche Rechtschreibung bekräftigt in seiner Sitzung am 26.03.2021 seine Auffassung, dass allen Menschen mit geschlechtergerechter Sprache begegnet werden soll und sie sensibel angesprochen werden sollen. Dies ist allerdings eine gesellschaftliche und gesellschaftspolitische Aufgabe, die nicht allein mit orthografischen Regeln und Änderungen der Rechtschreibung gelöst werden kann. Das amtliche Regelwerk gilt für Schulen sowie für Verwaltung und Rechtspflege. Der Rat hat vor diesem Hintergrund die Aufnahme von Asterisk („Gender-Stern“), Unterstrich („Gender-Gap“), Doppelpunkt oder anderen verkürzten Formen zur Kennzeichnung mehrgeschlechtlicher Bezeichnungen im Wortinnern in das amtliche Regelwerk der deutschen Rechtschreibung zu diesem Zeitpunkt nicht empfohlen.“

Das Sprichwort sagt: „Kommt Zeit, kommt Rat.“ Die nächste Ratssitzung, bei der das Gendern auf der Tagesordnung steht, findet am 14. Juli in Eupen statt.

Eine Frau wehrt sich

Sprache, so die Gegner des Genderns, entwickelt sich von unten und nicht über „Hinweise“ von oben. Die Hamburgerin Sabine Mertens, Vorstandsmitglied im Verein deutsche Sprache VDS e. V., möchte sich nicht nur über die aus ihrer Sicht von einer idiologisch motivierten Minderheit verordneten Sprachveränderung ärgern. Sie will sich gemeinsam mit ihren Mitstreitern von der Volksinitiative „Schluss mit der Gendersprache in Verwaltung und Bildung“ aktiv dagegen wehren. „Wir lehnen Gendersprache ab, da sie diskriminierend, integrationsfeindlich und vorurteilsbeladen ist. Die im gesamten deutschsprachigen Raum verwendete Sprache zeichnet sich hingegen durch den Gebrauch von verallgemeinernden Begriffen aus, wo spezifische Merkmalsbeschreibungen wie Geschlecht, sexuelle Orientierung, Hautfarbe, Glaubensbekenntnisse und Ideologien bedeutungslos sind.“ Mit einem Volksentscheid will die Initiative dem Senat Beine machen und ihn zwingen, das amtliche Regelwerk des „Rats für deutsche Rechtschreibung“ verbindlich für Verwaltung und öffentliche Unternehmen in Hamburg vorzuschreiben. Mertens lädt dazu ein, sie zu unterstützen. Eine entsprechende Unterschriftenliste kann hier heruntergeladen werden: https://vds-ev.de/aktionen/aufrufe/hamburger-volksinitiative-schluss-mit-gendersprache-in-verwaltung-und-bildung/

Wenn alle Geschlechter mitgesprochen werden, werden sie auch mitgedacht. „Na, was bis Du denn: Böckchen, Zicklein oder nicht binär?“ Im September 2012 war Katharina Fegebank noch nicht Senatorin, sondern Bürgerschaftsabgeordnete. Verlautbarungen zum Thema Gendern sind aus dieser Zeit von ihr nicht überliefert.
Foto: Krause

Die rechtliche Situation (Quelle: Wikipedia)

Volksinitiative

Mit einer Volksinitiative können die Bürger ein Anliegen vor die Hamburgische Bürgerschaft zur verbindlichen Behandlung im Plenum bringen. Sie ist zugleich der notwendige erste Schritt zur Einleitung eines Volksbegehrens. Für eine erfolgreiche Volksinitiative müssen binnen einer Frist von sechs Monaten die Unterschriften von 10.000 Wahlberechtigten gesammelt werden. Übernimmt die Hamburgische Bürgerschaft das Anliegen nicht binnen einer Frist von vier Monaten, können die Initiatoren der Volksinitiative ein Volksbegehren einleiten.

Volksbegehren

Mit einem Volksbegehren können die Bürger ein Anliegen vor die Hamburgische Bürgerschaft zur verbindlichen Behandlung im Plenum bringen. Es ist zugleich der notwendige Schritt zur Durchführung eines Volksentscheids. Für ein erfolgreiches Volksbegehren müssen binnen einer Frist von drei Wochen fünf Prozent (ca. 60.000) der wahlberechtigten Einwohner Hamburgs dieses unterschreiben. Übernimmt die Hamburgische Bürgerschaft ein erfolgreiches Volksbegehren nicht binnen einer Frist von vier Monaten, kommt es zum Volksentscheid.

Volksentscheid

Beim Volksentscheid stimmen die wahlberechtigten Bürger direkt über das Anliegen eines Volksbegehrens ab. Sie können dabei nur mit „Ja“ oder „Nein“ abstimmen. Die Hamburgische Bürgerschaft kann mit der Mehrheit ihrer Mitglieder beschließen, beim Volksentscheid eine konkurrierende Vorlage ebenfalls zur Abstimmung zu stellen. In diesem Fall können die Abstimmenden bei beiden Vorlagen jeweils mit „Ja“ oder „Nein“ abstimmen. Damit eine Vorlage im Volksentscheid als angenommen gilt, muss sie sowohl die Mehrheit der abgegebenen Stimmen erhalten (bzw. eine Zweidrittelmehrheit bei Verfassungsänderungen) als auch ein Zustimmungsquorum überspringen. Letzteres hängt davon ab, ob der Volksentscheid eigenständig oder zeitgleich mit einer Bürgerschafts- oder Bundestagswahl stattfindet. Findet der Volksentscheid zeitgleich mit einer Bürgerschafts- oder Bundestagswahl statt, muss die Vorlage eine Anzahl an Ja-Stimmen erreichen, die der Mehrheit der in dem gleichzeitig gewählten Parlament repräsentierten Hamburger Stimmen entspricht. Erhalten beide Vorlagen mehr „Ja“- als „Nein“-Stimmen und schaffen es beide, das Zustimmungsquorum zu überspringen, gilt diejenige Vorlage als angenommen, die nach Abzug aller „Nein“-Stimmen die meisten „Ja“-Stimmen vorweisen kann. Die Wahl zur 23. Hamburgischen Bürgerschaft findet voraussichtlich im Winter 2024/Frühjahr 2025 statt. Voraussichtlich wird auch dann verbindlich über das Gendern in Hamburg entschieden.     

 

F. J. Krause © SeMa

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