Gemeinsam gegen das Vergessen
Bundeswehr und Volksbund auf dem jüdischen Friedhof Ifflandkoppel

August Pieper (1844–1891) entwarf Trauerhalle mit Friedhofssynagoge. Von ihm stammen auch die Portale der Neuen Elbbrücke.
Das jüdische Leben in Deutschland blickt auf eine 1.700-jährige Geschichte zurück, die mit einem bundesweiten Festjahr begangen wird. Es gibt mehrere hebräische Namen für „Friedhof“. Einer davon heißt „Haus des Lebens“ (Bet Ha’ Chajim); ein anderer „Haus der Ewigkeit“ (Bet Ha’Olam) Nicht schon ewig, aber seit dem Jahr 1883 bestatten bis heute Juden in Hamburg ihre Toten auf dem einem elf Hektar großen Begräbnisplatz in unmittelbarer Nähe zum städtischen Friedhof Ohlsdorf. Auf Zwang der Nazi-Machthaber wurde 1937 der viel ältere jüdische Grindelfriedhof vollständig geräumt. Unter der Leitung des Oberrabbiners Dr. Carlebach fanden circa 200 Grabsteine an der Ifflandkoppel einen neuen Platz. In den Jahren 1939 und 1941 kamen weitere 175 Grabmale vom Ottenser Friedhof hinzu. Neben dem deutlich kleineren jüdischen Friedhof, dem „guten Ort“ an der Königsstraße in Altona, ist der Friedhof an der Ifflandkoppel mit rund 18.000 Gräbern ein beeindruckendes Monument jüdischer Bestattungskultur in Hamburg.
Für die Ewigkeit
Die „Ruhezeit“ auf den städtischen Friedhöfen Hamburgs ist mit grundsätzlich 25 Jahren sowie möglichen Verlängerungen reichlich bemessen. Nach jüdischer Tradition ist dem nicht so. Jedes Grab bleibt für die Ewigkeit bestehen. Auch die Grabsteine werden nicht entfernt. Dadurch ergibt sich ein erheblicher Platzmangel, der umgangen wird, indem Verstorbene, getrennt durch Erdschichten, übereinander bestattet werden. Gläubige Juden erwarten im „Haus des Lebens“ die Auferstehung. Daher auch die Bezeichnung „Guter Ort“ für die Grabanlagen. Kaum einem Opfer der Nazis war es vergönnt, an einem „Guten Ort“ der Auferstehung zu verbleiben. Der Dichter Paul Celan beklagt sie in seiner „Todesfuge“: „... wir schaufeln ein Grab in den Lüften, da liegt man nicht eng.“
Ermordet in Lettland
Während des Lettischen Unabhängigkeitskrieges übernahmen Bolschewiki im Jahre 1919 zeitweise die Kontrolle über Riga und über weite Teile Lettlands. Es kam zu zahlrei-chen Todesurteilen gegen sogenannte Konterrevolutionäre. Einer der Hinrichtungsorte war der Wald von Biķernieki bei Riga. Die Nazis übernahmen die verbrecherische Tradition. In diesem Wald wurden Oberrabbiner Dr. Joseph Zwi Carlebach mit Frau und drei seiner Töchter am 26. März 1942 gemeinsam mit vielen Leidensgenossen erschossen und in Massengräbern verscharrt. Doch nicht einmal dort konnten die Toten Ruhe finden. Auf dem Rückzug vor der Roten Armee ließen die Deutschen 1944 bis zu 20.000 Leichen ausgraben und auf Scheiterhaufen verbrennen. SS-Hauptsturmführer Walter Helfsgott ließ die zu dieser Arbeit gezwungenen Arbeitshäftlinge erschießen. Deren Leichen wurden ebenfalls verbrannt, und die Asche wurde verstreut.

Mirka Haravi und Miriam Solomon von der Jüdischen Gemeinde Hamburg freuen sich über die tatkräftige Unterstützung durch die Bundeswehr.
Unverzichtbar trotz verdächtigen Namens
Ein Name kann belastend sein. Wer zwischen 1933 und 1945 geboren wurde und auf den Namen Adolf, Hermann oder Schwerthild hört, wird Mühe haben, glaubhaft zu versichern, seine Eltern seien Nazigegner gewesen. Beim „Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge“ ist das ähnlich – das ist kein Name, der nach Versöhnungs- und Friedensarbeit klingt. Dennoch, der 1919 gegründete Verein war schon vom ersten Tag an alles andere als ein Heldengedenkverein, obwohl an seiner Wiege die Sorge um die Gräber unzähliger Toter des Ersten Weltkrieges stand. Heute sind es nicht nur Soldatengräber, denen die Fürsorge gilt. Es sind inzwischen alle Opfergräber von Krieg, Unrecht und Gewalt, die im Fokus der Arbeit stehen. Mit Unterstützung des Volksbunds wurde 2001 im Wald von Biķernieki eine Holocaustgedenkstätte eröffnet. So ist auch zu verstehen, dass der Verein sich in Zusammenarbeit mit der Bundeswehr in Hamburg für die Pflege des Friedhofs an der Ifflandkoppel einsetzt. Dank seiner Arbeit wird die Mahnung der Toten: „Unrecht brachte uns den Tod – Lebende, erkennt Eure Pflicht“ immer wieder ins Gedächtnis gerufen. Auch bei denen, die sie nicht hören wollen.
Soldaten pflegen
Obwohl „Parlamentsarmee“, ist die Bundeswehr nicht un-umstritten. So weigerten sich in Berlin zum Beispiel einige Bezirksämter, in der Pandemie bei der Kontaktverfolgung die Hilfe von Soldaten anzunehmen und begründeten diese Ablehnung damit, sie sei „eine Lehre aus dem Zweiten Weltkrieg“. Anders sieht das die Jüdische Gemeinde in Hamburg, die wirklich Grund genug hätte, Vorbehalte gegenüber Menschen in militärischen Uniformen zu haben. Deren Vorsitzender Philipp Stricharz, ist dankbar für den freiwilligen Einsatz der Soldaten der Helmut-Schmidt-Universität und der Flugabwehrraketengruppe 61 aus Todendorf in Schleswig-Holstein. Das SeMa sprach mit ihnen über die Motivation, sich gärtnerisch in Hamburg einzubringen: „Wir sind in dieser Woche drei Tage im Einsatz, waren früher schon da und werden wiederkommen. Alle haben sich freiwillig gemeldet. Einerseits ist die Aktion natürlich eine willkommene Abwechslung – andererseits haben wir sehr viel in dieser Zeit durch unsere Kontakte zu Mitgliedern der Jüdischen Gemeinde gelernt“, berichteten die zwei Soldatinnen und vier Soldaten der Luftwaffe. Auch für das SeMa gab es etwas zu lernen: „Wir haben“, so eine aparte junge Frau mit Pferdeschwanz und dem Rangabzeichen eines Leutnants auf der Uniform, „es in der Bundeswehr als Frauen abgelehnt, ‚gegendert‘ zu werden. Auch für Frauen gelten deshalb die historischen Dienstgradbezeichnungen. Eine ‚Hauptfrau‘ gibt es nicht, sondern geschlechtsunabhängig nur ‚Hauptmann‘ und so weiter.“
Warum überhaupt Pflege?
Im Jahr 1945 stand auf dem Areal kein Baum und kein Strauch mehr. Die Hamburger hatten sich hier mit Brennholz versorgt. Im Jahr 2021 gleicht der Friedhof in Teilen fast einem Urwald. Das ist einerseits damit zu erklären, dass Grabpflege sowie das Mitbringen oder das Pflanzen von Blumen nicht gebräuchlich sind. Besucher bringen kleine Steine mit, die auf die Grabsteine gelegt werden. Andererseits fehlen der Gemeinde die Mittel, um der wild wuchernden Natur angemessen Einhalt zu gebieten. Da mittelfristig ein Dokumentationsraum für Besucher entstehen soll, ist es auch aus Gründen der Sicherheit notwendig geworden, regulierend in den Wildwuchs einzugreifen. Mit fachkundiger Beratung durch Mitarbeiter des Friedhofs Ohlsdorf sind unterschiedliche Gruppen am Werk. Der Volksbund koordiniert und die Gemeinde sorgt für die Verpflegung. Erster Arbeitsabschnitt war die Grabanlage der im Ersten Weltkrieg gefallenen jüdischen Soldaten. Weitere Friedhofsteile sowie Sichtachsen sind in Arbeit. Heute schon ist es berührend und spannend zugleich, den „Guten Ort“ an der Ifflandkoppel zu besuchen. Männer sollten auf jeden Fall eine Kopfbedeckung tragen, um die Würde der Verstorbenen nicht zu verletzen.
Öffnungszeiten: Montag–Freitag 8.00–16.00 Uhr, Sonntag 10.00–16.00 Uhr, Samstag und an jüdischen Feiertagen geschlossen
Bilder und Text: F. J. Krause © SeMa
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