Gehören zu Deutschland
Fastende Muslime und fastende Christen

Wechsel mit Feingefühl: Das Kreuz auf dem Turm wurde nicht durch einen Halbmond ersetzt, sondern durch das verbindende Wort „Gott – Allah“ in arabischer Schrift. © Al-Nour
Am 3. Oktober 2010, dem Tag der deutschen Einheit, hielt der damalige Bundespräsident Christian Wulff eine Rede, von der eine Aussage in Erinnerung geblieben ist, die bis heute für Kontroversen sorgt. Wulff sagte: „Das Christentum gehört zweifelsfrei zu Deutschland. Das Judentum gehört zweifelsfrei zu Deutschland. Das ist unsere christlich-jüdische Geschichte. Aber der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland.“ Die Zugehörigkeit der Muslime zu ihrer Religionsgemeinschaft ist – da behördlich nicht erfasst – mit den statistisch gesicherten Mitgliederzahlen der beiden großen christlichen Kirchen nicht direkt vergleichbar. Seriösen Schätzungen zufolge leben in Hamburg rund 170 000 Muslime. Die amtliche Zahl der Katholiken in Hamburg lag 2021 bei genau 170 050 Christen.
Ein Teil von Horn, ein Teil von Hamburg
Es gibt einen Ort in Hamburg, der sozusagen als Nagelprobe für Wulffs These gelten könnte. Es ist die ehemalige Kapernaumkirche in Hamburg-Horn. Heute dient sie als Al-Nour-Moschee einer muslimischen Gemeinde aus über 30 Herkunftsländern als Gotteshaus. Neben Arabern aus dem Nahen Osten und Nordafrika zählen ebenso Schwarzafrikaner sowie Asiaten von Afghanistan bis Indonesien und viele Deutsche zu den regelmäßigen Besuchern. Diese Vielfalt zeigt sich nicht nur in der kulturellen Herkunft, sondern auch in den unterschiedlichen gesellschaftlichen Schichten, aus denen die Gemeindemitglieder stammen. Über Studenten und einfachen Arbeitern besuchen ebenso Ärzte, Rechtsanwälte, Ingenieure und Kaufmänner die Al-Nour-Moschee. Der Zulauf an Gläubigen ist so groß, dass das Mittagsgebet am Freitag zweimal abgehalten wird.

Daniel Abdin, Vorstandsvorsitzender des Islamischen Zentrums Al-Nour, und Pastorin Susanne Juhl bei der Preisverleihung 2013. Foto © Krause
Vom Missgeschick zum Vorzeigeprojekt
Nicht nur aktuell, sondern schon früher verloren die christlichen Kirchen Mitglieder. Leere Kirchen waren die Folge. In Hamburg ist die 2004 geschlossene Bugenhagenkirche – benannt nach dem Reformator Hamburgs – für das „Überangebot“ an Kirchen ein besonders markantes Zeichen. Doch weit über Hamburg hinaus schlug die Kapernaum Kirche nach der 2008 erfolgten Entwidmung und ihren Weiterverkauf durch den Ersterwerber an einen Moschee-Verein im Jahr 2012 hohe Wellen. Der damalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Nikolaus Schneider, und der katholische Hamburger Weihbischof Hans-Jochen Jaschke nannten die Veräußerung ein „Missgeschick“. Es gab aber auch Befürworter der neuen Nutzung. Hamburgs Bischöfin Kirsten Fehrs wünsche sich „einen offenen und vorurteilsfreien Dialog zwischen Christen und Muslimen“. Fehrs fuhr fort: „Wir hätten die Moschee-Idee nicht forciert, aber jetzt stellen wir uns der Situation und wollen sie mit der Al-Nour-Gemeinde konsensorientiert und positiv gestalten. Für mich gilt: Die Kirche bleibt ein Gotteshaus.“ Das ist gelungen. Ein Jahr nach Übernahme erhielte die Horner evangelische Gemeinde gemeinsam mit der Al-Nour-Gemeinde den Sozialpreis Langenhorn – den „kleinen Friedensnobel-preis“ Hamburgs.
Ramadan ist Fastenzeit
Christen orientierten sich viele Jahrhunderte an dem heute weitgehend in Vergessenheit geratenen Satz: „Durch das Fasten des Leibes unterdrückst du die Sünde, erhebst du den Geist, spendest Tugendkraft und Lohn.“ Die christliche Fastenzeit geht von Aschermittwoch bis Ostern – in diesem Jahr also vom 22. Februar bis zum 9. April. Muslime weltweit und natürlich auch in Hamburg fasten ebenfalls. Der islamische Fastenmonat Ramadan ist der neunte Monat des islamischen Mondkalenders. Er geht 2023 vom Abend des 22. März bis zum Abend des 21. April. Im Ramadan sollen gläubige Muslime von Aufgang bis Untergang der Sonne nichts essen und trinken und auch sonst enthaltsam und bewusster leben. Ausgenommen vom Nahrungsverzicht sind Kinder vor der Pubertät, Schwangere, Reisende und Kranke. Beim Ramadan steht – wie beim Fasten der Christen auch – die bewusste religiöse Vertiefung im Vordergrund, weniger der Verzicht auf Nahrung.

Freuen sich über ihr viertes Kind Kind – Fatima Sultan, die Vorsitzende des Frauenausschusses,
mit ihrem Ehemann Imam Samir El-Rajab und der drei Wochen alten Maryam. Der große Sohn hat schon das Abitur – seine Geschwister sind auf dem Gymnasium Klosterschule. Foto © Krause
Die erste Woche ist am härtesten
Obwohl das Fasten langsam selbst bei Kirchenfernen wieder an Popularität gewinnt, ist das radikale Fasten gläubiger Muslime eine ganz besondere Herausforderung. „Die erste Woche ist schon sehr hart“, räumt Fatima Sultan, Vorsitzende des Frauenausschusses und Ehefrau des Imams Samir El-Rajab, ein. „Danach ist es recht gut zu ertragen. Ich koche auch keine besondere ‚Kraftnahrung‘, sondern das, was wir auch sonst essen. In unserer Heimat, dem Libanon, wird ohnehin nicht stark gewürzt gekocht. Im Ramadan verzichte ich zusätzlich auf Knoblauch und Zwiebeln, weil sie Durst machen. Nach Sonnenuntergang wird zuerst viel getrunken. Das daraus resultierende Völlegefühl führt dazu, dass folgenden Speisen nicht geschlungen werden. Unsere Küche ist gemüsebetont – Joghurt, Salat, alle Arten von Bohnen, Kichererbsen, Sesam, Reis und Nudeln in unterschiedlichsten Variationen – nicht zu vergessen viel Obst und wenig Fleisch und Fisch stehen auf dem Speisezettel.“ Und – hat auch ein „deutsches“ Gericht Einzug in die Küche der Imam-Familie gehalten? Fatima Sultan sagt lachend: „Ja gleich zweimal Kartoffelsalat – einmal mit Mayonnaise und einmal süddeutsch mit Essig!“
Interesse an einer Führung?
Ob Schulklassen, Konfi- oder Seniorengruppen – Besucher sind herzlich willkommen. Kontakt: Islamisches Zentrum Al-Nour e. V., Sievekingsallee 191, 22111 HH, Tel.: 040/280 539 14
F. J. Krause © SeMa
(Bild oben: Wichtiger Bestandteil der Küche – Hummus (pürierte Kichererbsen mit etwas Sesampaste). Quelle © Wikipedia
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