Schrift ändern:AAA

Frag VerA – und Senioren helfen

Lehrjahre sind keine Herrenjahre. Der Spruch mag trösten. Helfen tut er nicht. Wohl aber VerA und die Senioren, die nach ihrem Abschied vom Beruf helfen, wenn es in der Lehre hakt. Volker Hiebel und Michael Gehrke koordinieren VerA, das Programm zur „Verhinderung von Ausbildungsabbrüchen“ in Hamburg.

Hiebel, ehemalige Ingenieur bei Airbus, Jahrgang 1951

„Vera“ – der weibliche Vorname lässt sich übersetzen mit „die Wahre“, „die Siegbringende“, die „Scheue“. Trotz dieser positiven Vorzeichen rangiert der Vorname in Deutschland auf Platz 433. Zu Unrecht, wenn man VerA mit großem „A“ schreibt. Denn dann kann er wahrmachen, was in der zweiten Bedeutung steckt: die „Siegbringende“. Denn VerA will auch die ins Berufsziel (und damit zum ganz persönlichen Sieg) bringen, bei denen es in der Ausbildung klemmt und wo der Abschluss auf der Kippe steht. Das sind junge Menschen, die schlicht und einfach nicht gelernt haben zu lernen, die langsamer lernen, mehr Betreuung als andere brauchen.

Und derzeit gehen immer mehr junge Menschen mit Migrationshintergrund in die Lehre, die sich mit der deutschen Sprache und Lebensart bekannt machen wollen. Ihr Ziel: Sie wollen praktisch ernst machen mit dem, was in der Theorie „Integration“ heißt. Hiebel: „VerA konzentriert sich auf junge Menschen, egal welcher Nationalität, bei denen es in der Ausbildung hakt, warum auch immer. Viele haben begriffen, dass in Deutschland nur jemand Erfolg hat, wenn sie und er eine Ausbildung hat.“ Dafür stehen ihnen in Hamburg Ältere zur Seite, die nicht zum alten Eisen gehören, sondern junge Talente schmieden wollen. „Es kann nicht sein, dass in einer Metropolregion wie Hamburg viele eine Ausbildung beginnen, sie aber nicht beenden“, sagt Hiebel. Der ehemalige Ingenieur bei Airbus, Jahrgang 1951, erläutert die ehrenamtlichen VerA-Aufgaben. Das Programm ist eine Initiative des Senior Experten Service (SES), der Fach- und Führungskräfte im Ruhestand in Projekte im In- und Ausland vermittelt. VerA wird im Rahmen der Initiative „Abschluss und Anschluss – Bildungsketten bis zum Ausbildungsabschluss“ vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert. Eine VerA-Begleitung ist für Auszubildende und Ausbildungsbetriebe kostenlos. Sie läuft zunächst über zwölf Monate, kann aber bis zum Abschluss der Lehre verlängert werden. An der Elbe stehen etwa 100 ehrenamtliche BegleiterInnen bereit. Selbst in Corona-Zeiten sind mehr als 60 von ihnen, die ja naturgemäß älteren Semesters sind, aktiv.

Abbruch In Hamburg beginnen pro Jahr etwa 13.000 bis 14.000 junge Menschen eine Ausbildung. In Deutschland brechen etwa 25 Prozent die Ausbildung vorzeitig ab. Nur jeder Zweite setzt die Ausbildung in einem anderen Betrieb oder anderen Beruf fort. Etwa zehn Prozent verschwinden vom Radar, was den Job angeht. „Wenn diese Zahlen allein für sich stehen, vermitteln sie ein falsches Bild“, sagt Hiebel. „Denn wenn etwa ein Viertel die angefangene Ausbildung abbricht, bedeutet das nicht unbedingt ein Ende der Ausbildung. Manche wechseln die Fachrichtung, andere den Betrieb.“ Für VerA und Hiebel sind nicht nur auch die sozialen Folgekosten erheblich, wenn Sozialhilfe oder andere Unterstützung vonseiten des Staates geleistet wird. „Jeder Azubi zählt. Jeder Abbruch ist einer zu viel. Jeder Einzelne, der seinen Abschluss schafft, ist ein persönlicher Erfolg.“  

Dabei hilft VerA nicht allein in der Sache, also im Fachlichen des jeweiligen Ausbildungsberufes. Es geht auch um soziale Kompetenz, Zwischenmenschliches ... Es sind die Rahmenbedingungen, die es zu verbessern gilt, um das Ziel „Erfolgreiche Prüfung“ zu erreichen. Auf dem „Stundenplan“ steht Hilfe zur Selbsthilfe, nicht besserwisserische Nachhilfe oder gar neunmalkluges „Hab ich doch schon immer gewusst“. Hiebel: „Wenn jemand seine Ausbildung abbricht, werten wir nicht. Wir helfen, dass der Neuanfang besser klappt.“ Die Senioren sind mit Know-how dabei, Steine aus dem Weg zu räumen. Dazu repräsentieren die VerA-Profis im Ruhestand fast 300 Berufe. Damit kann viel Wissen von Alt zu Jung wandern: Da wird bei Übungen für die Berufspraxis über die Schulter geschaut oder Prüfungen werden gemeinsam vorbereitet. Was zählt, sind Rat und Tat – auch fern von Werkbank oder Ladentheke. Da wird schon einmal eine Wachmaschine besorgt, ein Mietvertrag erläutert, sich um einen Deutschkurs gekümmert, an der Lernmotivation gefeilt oder über das Verhältnis zwischen Auszubildendem und Ausbilder im Allgemeinen und im Besonderen gesprochen.

Aufbruch Die MitarbeiterInnen von VerA und ihre Schützlinge sitzen dazu auf einer Art „Tandem“. Die SeniorInnen haben auf ihrer Tour ihren Erfahrungsschatz im Gepäck. Die Schützlinge steuern Elan und Ehrgeiz bei. „Die Initiative muss von den Auszubildenden kommen. Sie registrieren sich auf der Homepage im Internet und melden sich bei VeRa an. Die Zentrale in Bonn signalisiert dann das Einverständnis, schaut sich unter den Senioren um, wer für den Kandidaten infrage kommt und schickt die Kontaktdaten des künftigen Mentors. „Die Initiative geht vom Azubi aus. Zu uns kommen die mit dem inneren Biss“, sagt Hiebel. Sein Motto: „Die wollen, die sollen.“ Dass es auf dem Tandem zuweilen unterschiedliche Einschätzungen zur Strampelei gibt, stört nicht. „Das Ziel ist klar.“ Früher war – wie bei Hiebel und Airbus – der Job ein Beruf oder sogar eine Berufung. Und mancher Azubi blieb seinem Unternehmen treu bis zur Rente und Pension „Das ist nicht mehr zeitgemäß. Aber die VerA-SeniorInnen sind sich darüber im Klaren: Sie wissen, dass sich die Zeiten und die Anforderungen und Wünsche im Berufsleben ändern“, sagt Hiebel. „Aber gerade das hält auch jung und flexibel.“

Ankommen Wenn’s dann passt, trifft man sich mindestens zweimal im Monat, um den gemeinsamen Weg Richtung Berufsausbildung abzustecken. Dabei stehen am beruflichen Weg immer öfter junge Menschen, die wenig oder kein Deutsch sprechen. So wie Andrew aus Afrika. Am Schwarzen Brett der Berufsschule las er einen Hinweis auf VerA und wusste gleich: Hier finde ich Unterstützung, die ich brauche. Der Antrag wurde gestellt, ein VerA-Senior, der in Afrika gearbeitet hatte, stellt sich an Andrews Seite. Man trifft  sich – vor Corona – in einer öffentlichen Bibliothek. Als dann die Pandemie die Hilfe von Angesicht zu Angesicht erschwerte, nutzen beide auch digitale Medien. Denn VerA und Digitalisierung sind zwei Seiten einer Medaille. VerA habe, so Hiebel, erfolgreich eine Digitalisierungs-Kampagne gestartet, damit sich beide, Senior und Schützling, digital auf Augenhöhe austauschen. So ist VerA keine Einbahnstraße. Die Älteren geben Erfahrung. Sie bekommen Neues über ihren alten Beruf. Sie erobern das Neuland Internet. Sie schnuppern hinein in bisher fremde Kulturen, wenn sie Azubis aus Syrien oder Afrika betreuen. So wie bei Andrew. Er absolvierte in der Minimalzeit von dreieinhalb Jahren die Gesellenprüfung.     

Kontakt: Volker Hiebel, hamburg@vera.ses-bonn.de

https://vera.ses-bonn.de/

 

Dr. H. Riedel © SeMa

Analyse Cookies

Diese Cookies ermöglichen eine anonyme Analyse über deine Webseiten-Nutzung bei uns auf der Seite

Details >Details ausblenden