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Ein Herz für Straßenbahnen

Der Infekt, der sich Straßenbahn nennt

Ausgestattet mit Galopp-wechsler, Fahrscheindrucker und der entsprechenden Mütze, tritt Ingo Naefcke fürs Foto noch mal als Schaffner an.

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber als ich in die alte Straßenbahn des Typs V7E 3363 steige, fühle ich mich ungewohnt „angekommen“. „Es riecht wie früher“, meint eine Dame, die gerade auch die zwei Stufen zum holzgetäfelten Innenraum des stählernen Gefährtes hochgestiegen ist. „Bitte festhalten!“, steht auf einem Schild, das – wie dieser Straßenbahn-Oldtimer – aus dem Jahr 1957 stammt. Man spürt fast, wie sich der Wagen in Bewegung setzt, sanft durch die Kurve schlingert und mit einigem Geruckel an der nächsten Haltestelle zum Stehen kommt. Mit der Klingel in der Fahrerkabine („Bitte während der Fahrt nicht mit dem Fahrer sprechen!“) wurden Fußgänger*innen und andere Verkehrsteilnehmer*innen vor der Abfahrt der V7E gewarnt. „Fahrgäste ohne gültigen Fahrschein werden gebeten, beim Fahrer zu zahlen“ steht in roter Schrift auf einem weiteren Schild, das unübersehbar über dem Gang angebracht ist.

Auf der rechten Seite stehen vier, auf der linken Seite 14 Einzelsitze, insgesamt 31 Sitzplätze gibt es in der alten Straßenbahn. Das Gros der Leute – Platz gab es für 78 – stand demnach, wenn die Bahn voll war. Und eine Wehmut beschleicht mich, dass damals möglicherweise nicht so viele Menschen ständig unterwegs und die Busse und Bahnen nicht so oft überfüllt waren? Diese und andere Fragen kann Ingo Naefcke beantworten. Seit seiner frühen (!) Kindheit schlägt sein Herz für Stadtbahnen oder ursprünglich Straßen-Eisenbahnen. Wenn es um das Thema Straßenbahn geht, kriegt der 83-Jährige Puls. Ein Freund spricht von „Infektion“, wenn er nach dem Verhältnis von Naefcke zur Straßenbahn gefragt wird. Und Ingo Naefcke schmunzelt: „Schon als kleiner Knirps war ich ganz vernarrt in Gleise“, erzählt er, „ich habe immer aus der Karre geschaut und meine Mutter musste möglichst dort langschieben, wo es Gleise gab. Sonst hat der Kleine Terror gemacht“, erinnert sich amüsiert der Straßenbahn-Fan. 

Kümmern sich seit 2016 liebevoll um die Straßenbahn des Typs V7E 3363: Johanna und Ingo Naefcke.

Das Fieber hat ihn nie losgelassen. So heuerte Naefcke nach einem Abstecher ins Speditionsgeschäft als Schaffner bei der Hamburger Hochbahn an. Wenn er von „Galoppwechsler“ (die Geldwechsler für die Schaffner) oder „Fahrscheindrucker“ spricht, merkt man ihm seine Leidenschaft an. Seine zahlreichen Detailkenntnisse hat Naefcke auch dazu verwendet, die alte Straßenbahn des Typs V7E 3363 aus dem Hannoverschen Straßenbahn-Museum vor dem Verschrotten zu retten, zu restaurieren und schließlich als begehbares Museumsstück fest in Hamburg-Winterhude zu installieren. Mit der Unterstützung einiger Mitstreiter wurde die Bahn mit einem Tieflader aus Wehmingen hergeholt. „Die Geschäftsführer von Rewe hier in der Dorotheenstraße 116 sind wirklich großartig und unterstützen uns, wo sie können“, lobt Naefcke Holger Stanislawski und Alexander Laas. „Inzwischen haben sie ihren gesamten Supermarkt mit einem Touch der Straßenbahn versehen“, sagt er und deutet auf die alten Fotos, die kurz unter dem Dach des Supermarktes hängen und die Schilder, die anzeigen, wo es welche Waren zu kaufen gibt: Überall prangt das Logo der alten Straßenbahn.
Dass sich der Hamburger Senat von 1958 („auf Betreiben der Autowirtschaft“, so Naefcke) für eine schrittweise Stilllegung seines Schienennetzes entschied und seit 1978 in Hamburg nur noch Busse fahren, bedauert der 83-Jährige sehr. Wenn es nach ihm ginge, würden die an vielen Stellen noch vorhandenen Gleise wieder freigelegt und ergänzt, sodass die Straßenbahn in Hamburg wieder Teil des Stadtbildes würde.

Ingo Naefcke und seine Frau Johanna sind jeden Mittwoch von 13.30 bis 16:30 Uhr und Samstag von neun bis 17 Uhr bei der Straßenbahn V7E im Rewe-Parkhaus (ehemaliger Straßenbahn-Betriebshof von 1927) im Krohnskamp 31. Ein Besuch lohnt sich – sei es aus technischen, historischen oder einfach nostalgischen Gründen.  

 

Text und Fotos: Corinna Chateaubourg © SeMa

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