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Ehrenamt im Knast

Wenn Menschen in Hamburg lange Haftstraßen verbüßen, muss diese Zeit nicht grau sein wie schwedische Gardinen – dank des ehrenamtlichen Engagements freier Bürger:innen. Sie besuchen Häftlinge, unterstützen Angehörige oder bieten Kochkurse an. Besonders Ältere sind dank ihrer Lebenserfahrung gewappnet, mit denen „drinnen“ umzugehen – und nach draußen zu zeigen, dass Menschenrechte auch für die gelten, die dagegen verstoßen haben.

Maren Michels.

„Die einen wissen um ihr Glück im Leben und wollen nun etwas zurückgeben in ihrer ehrenamtlichen Arbeit mit Menschen in Haft. Die anderen sind neugierig, die Welt hinter Gittern kennenzulernen und hier zu helfen. Andere wollen bewusst zeigen, dass die Gesellschaft auch die nicht vergisst, die im Leben draußen gegen die Regeln der Gesellschaft, zum Teil massiv, durch Mord und Totschlag, verstoßen haben“, sagt Maren Michels. Sie leitet den Hamburger Fürsorgeverein von 1948 e. V., der straffällig gewordene Menschen und ihre Angehörigen unterstützt. Der Vereinsname verrät: Schon früh nach dem Krieg verabschiedeten sich die Gründerinnen, zwei Pastorinnen, vom Gedanken der Vergeltung. Sie beschlossen, Gutes zu tun.
Heute ist diese kirchlich geprägte Hilfe professionalisiert und organisiert durch Sozialarbeiter:innen und vernetzt mit der Hamburger Justiz. Michels: „Wir nehmen etwa der Bewährungshilfe keine Arbeit ab, sondern ergänzen sie. Die Häftlinge merken: Da hilft jemand, ohne dafür Geld zu bekommen. Der oder die macht das freiwillig und unseretwegen.“

Vollzug und Ehrenamt

Dabei tun Ehrenamtliche nicht nur Gutes. Sie tragen auch die Rechtsidee „Reintegration“ mit in die Zelle, wenn sie dort Lebenshilfe bieten. „Eine Gesellschaft zeigt sich zivilisiert, wenn sie auch für Menschen, die einsitzen, Menschenrechte einfordert“, sagt Michels. Sie grenzt ab: „Es geht nicht um Täter-Opfer-Ausgleich.“ Dabei können Opfer ihre Anliegen, Wut oder Trauer gegenüber dem Täter ausdrücken. Diese können sich mit den Folgen für das Opfer auseinandersetzen und sich entschuldigen.

Wenn Jugendliche, Frauen und Männer straffällig werden, hat das viele Gründe: Das können finanzielle und berufliche Probleme sein, familiäre Beziehungen laufen aus dem Ruder, das soziale Umfeld, Sucht oder fehlende persönliche Lebensperspektiven verklammern die oder den, sodass es irgendwann knallt und die Zelle zum Zuhause auf Zeit wird. Im Idealfall sollen sich die Gefängnistüren nach der Haftentlassung nicht wieder öffnen. Doch der Start in ein Leben nach dem Knast will trainiert sein. Das Fachwort heißt Re-sozialisierung. Ehrenamtliche sind für viele Gefangene im Justizvollzug eine wertvolle Hilfe, um hier das Gefühl des Isoliertseins zu vermindern.

Vorbereitung mit Zertifikat

Besonders Senioren:innen sind hier kompetent, aus freien Stücken hinter Gitter zu gehen: Wer älter ist, die berufliche Karriere abgeschlossen und viele Schwierigkeiten des Lebens gemeistert hat, der hat in der Regel auch die Ruhe und Gelassenheit, mit Menschen umzugehen, die ihr Leben weniger in den Griff bekommen haben. „In der Regel können ältere Männer in Haft besser mit Männern umgehen. Jüngere Frauen können an anderer Stelle helfen“, so Michels. Und: „Das Gespräch mit einem Sexualstraftäter erfordert eine bestimmte Einstellung. Aber auch bei anderen Straftätern sind Einfühlungsvermögen, aber auch Frustrationstoleranz geboten. Manche verstehen es, zu manipulieren. Darauf muss man vorbereitet sein.“

Verlässlichkeit und Frustrationstoleranz

Und Ältere haben Zeit. Denn: Straffälligenhilfe ist keine Sache, die man so mir nichts dir nichts macht. Daher lässt der Verein niemanden ohne Schulung auf die los, die in Santa Fu und anderen Anstalten einsitzen. „Es muss passen. Es muss funken zwischen Gefangenen und  Ehrenamtlichen“, sendet Michels ein Signal an die, die glauben, schon der gute Wille, helfen zu wollen, zähle. Die Profis der Straffälligenhilfe ordnen daher die eventuell überbordende Euphorie. Gerade die, die kein geordnetes Leben haben, oder bei denen familiäre Bindungen abgerissen sind, rufen offenbar nach gesellschaftlichen Werten wie Regelmäßigkeit, Ordnung, Organisation.

Die Hauptsachen sind Lebensweisheit sowie Verlässlichkeit“, sagt Michels. Das ertüchtigt die Ehrenamtlichen, aktiv zuzuhören und mit Rat und Tat dabei zu sein, um den „anderen“ eine zweite Chance zu geben. Ein gutes Maß Erfahrung ist aber auch notwendig, um die Arbeit in der Justizvollzugsanstalt zu reflektieren und Grenzen und Möglichkeiten des eigenen Tuns selbstkritisch auszumachen. Wer sich darüber klar ist, geht zur Straffälligenhilfe. Es folgt eine Art Vorstellungsgespräch.

„Wir schauen, ob jemand mit einem Helfersyndrom kommt, also helfen will, um eher sich selbst zu helfen. Wer eigene Probleme hat, sollte nicht zu uns kommen“, sagt Michels. Motto: Drum prüfe, wer sich bindet. Das gilt auch für die Arbeit in der Anstalt. Es wird geschaut, wer stabil genug ist für den Job im Knast. Und keiner wird ins kalte Wasser geworfen. In einem Vorbereitungskurs lernen die Aspiranten alle Hamburger Haftanstalten kennen, sprechen mit deren Leiter:innen, studieren die speziellen Angebote der Agentur für Arbeit für Entlassene oder machen sich mit Formen des betreuten Wohnens draußen vertraut. Am Ende muss alles seine gute Ordnung haben: Es gibt ein Zertifikat über die Kursteilnahme, das der jeweiligen Anstalt, die der Ehrenamtliche aufsucht, vorgelegt werden muss. Außerdem werden alle Ehrenamtlichen einer Sicherheitsprüfung unterzogen. Diese kann mehrere Monate dauern.

Nächster Vorbereitungskurs im Februar 2022

Etwa 90 Hamburger:innen haben diese Phase erfolgreich absolviert und sind aktiv, mehr als die Hälfte ist über 65 Jahre alt. Es gibt auch 90-Jährige, die Justitia ehrenamtlich unter die Arme greifen.

Dabei kann dies unterschiedlich aussehen: Das eine ist der Klassiker, die Einzelbesuche. Häftlinge bitten um Kontakt, um zu sprechen und sich mit denen draußen auszutauschen. Das andere sind Angebote für Gruppen. Pensionierte Lehrer:innen bieten Deutschkurse, geben Nachhilfe in Mathe. Andere kochen mit den Häftlingen und bereiten sie kulinarisch für das Leben nach dem Knast vor. Bei Yoga geht’s um Ruhe und Besinnlichkeit. In einer Vater-Kind-Gruppe sorgen Ehrenamtliche für Spiel und Miteinander. Wieder andere trainieren Freiheit mit denen, die eingesperrt sind: Sie bereiten sie auf die Zeit danach vor, wie es draußen aussieht, wie sie eine Wohnung finden, wie sie ihre Freizeit nutzen, wie sie mit Geld umgehen, wo Ämter und Behörden Hilfen bieten.

„Unsere Arbeit wird vom Vollzugspersonal nicht nur gern gesehen, sie wird geschätzt“, sagt Michels. Resozialisierung könne nicht allein die Aufgabe professioneller Fachkräfte sein. Ehrenamtliche bringen Zeit und Kompetenzen ein, die Professionelle im Strafvollzug nur begrenzt haben.

„Doch es geht nicht nur um Anerkennung innerhalb der Mauern. Es geht auch um die Meinung derer, die draußen vor der Tür leben: „Zuweilen ist das Engagement für straffällige Menschen im Freundeskreis zu verteidigen. Es kann sein, dass man auf Unverständnis stößt, auch darauf sollte man sich einstellen. Man muss einiges abkönnen.“ Und es sind Bilder, die zuweilen das Fernsehen in die Köpfe spült. Kleine Hauptrollen spielen Topfkuchen mit Feile, Drogen oder Handys im Buch, die die Besucher:innen einschmuggeln. Oder es dreht sich um die Liebe zu fiesen Typen, die sich vor Liebesbriefen nicht retten können. Michels: „All das habe ich noch nicht erlebt.“     

Kontakt: Hamburger Fürsorgeverein von 1948 e. V. & Gemeinnützige Wohnheimgesellschaft mbH, Max-Brauer-Allee 138, 22765 Hamburg, Tel.: 040/300 33 75 10,

www.hamburger-fuersorgeverein.de

 

Dr. H. Riedel © SeMa

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