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E-Roller

Quantensprung für die Umwelt oder Wahnsinn auf der letzten Meile?

Gut abgestellt – CO2-Schleuder stützt E-Roller.
Wen kümmern da mögliche Beulen?

„Schluss jetzt, räumt euer Spielzeug auf!“

Generationen von Kindern haben diesen Satz gehört – als Eltern haben sie ihn später selbst gepredigt. Zugegeben: Gelegentlich werden Eltern schwach und räumen hinter ihren Kindern her, aber mit dem dunklen Gefühl, pädagogisch vom rechten Pfad abgewichen zu sein. Tatsächlich? Heute, zu Beginn des 21. Jahrhunderts, haben findige Unternehmer aus einer vermeintlichen Erziehungsschwäche eine geschäftliche Tugend gemacht. Das Resultat ist im ganzen Stadtbild zu sehen – mit Glück steht es nicht im Weg. Das einst verpönte „Stehen- und Liegenlassen“ ist zur erfolgreichen Geschäftsidee geworden

Warum Strom statt Bewegung?

Im letzten „Vor-Corona-Jahr“ 2019 gaben die Deutschen 5,51 Milliarden Euro für Fitness-Studios aus. Dennoch ist unübersehbar: Zwei Drittel der Männer und die Hälfte der Frauen in Deutschland sind übergewichtig. In der Altersgruppe 18–39 Jahre sind bereits rund 27 Prozent der Frauen und gut 30 Prozent der Männer stark übergewichtig. Warum, die Frage sei erlaubt, müssen die überwiegend jungen E-Roller-Nutzer ausgerechnet „die letzte Meile“ elektrisch unterwegs sein? Ob es nicht viel sinnvoller wäre, statt eines E-Rollers optimal konfigurierte von Muskelkraft angetriebene Roller zu nutzen? Obwohl sich die Internetseiten der E-Roller-Anbieter bezüglich Nachhaltigkeit und Umweltschutz gern sendungsbewusst geben, dürfte aus deren Sicht diese Frage mit einem klaren „Nein“ beantwortet werden. Denn der Muskelkraft fehlt einfach der Spaßfaktor, den die rollernde E-Mobilität bietet.

Mein Strom kommt aus der Steckdose

„Es soll uns keiner einreden, der Strom komme aus der Steckdose“, so Martin Bangemann, FDP-Wirtschaftsminister von 1984–1988. Und Recht hatte der Mann. Damals kam der Strom ganz überwiegend aus Kraftwerken, die mit Stein- und Braunkohle sowie Heizöl betriebenen wurden. Atomstrom war zusätzlich eine tragende Säule der Energieversorgung. Die SPD formuliert 1959 in ihrem Godesberger Programm die Hoffnung, „dass der Mensch im atomaren Zeitalter sein Leben erleichtern, von Sorgen befreien und Wohlstand für alle schaffen kann“. Heftige Diskussionen um Atommüllendlager und die Nuklearkatastrophe in Tschernobyl stellen den Glauben an einen von „Sorgen befreiten Wohlstand aus Atomstrom“ infrage. Die Katastrophe von Fukushima im März 2011 läutet das Ende der Atomkraft in Deutschland ein. Der Bundestag beschloss das Aus für acht Kernkraftwerke und den vorzeitigen stufenweisen Ausstieg aus der Atomenergie. Fortan setzte die Politik auf Strom aus So-lar- und Windenergie. Die Nutzung von Strom in der Mobilität ist das neue Credo. Personenwagen, Lastwagen, Fahrräder und zunehmend E-Roller erhöhen den Bedarf an Elektrizität. Minister Habeck hat just verkündet, die Ausbeute an erneuerbarer Energie zu verdreifachen. Doch was, wenn die Sonne nicht scheint, der Wind nicht weht?

Gut geparkt. Sehende und blinde Fußgänger haben ausreichend Platz auszuweichen.

Die glorreichen Fünf

Seit dem 15. Juni 2019 sind „E-Tretroller“ in Hamburg zugelassen. Was sie dürfen und nicht dürfen, regelt die „Elektrokleinstfahrzeuge-Verordnung“ kurz eKFV. Gleich fünf Anbieter bereichern Hamburg mit 17.000 „E-Scootern“, E-Rädern und E-Kleinkrafträdern – Tendenz zunehmend. Nicht nur Hamburg wurde von der mobilen elektrischen Innovationswelle erfasst; die ganze Welt ist inzwischen mit E-Scootern geflutet. Gebündelt werden die Interessen von bundesweit zehn Anbietern, von der im Januar 2021 gegründeten „Plattform Shared Mobility“ (PSM). Man versteht sich als Zusammenschluss der wichtigsten privatwirtschaftlichen Anbieter geteilter Mobilität in Deutschland. Nach eigenem Bekunden eint die Mitglieder „die gemeinsame Vision einer wirtschaftlich, ökologisch und sozial nachhaltigen, geteilten Mobilität.“ Ganz gleich, ob Leihwagen, E-Rad, E-Moped oder E-Roller – allen gemein ist: „Aufräumen“ war gestern – „stehen- und liegenlassen“ ist heut. Immerhin, die Autos werden auf normalen Parkplätzen zurückgelassen. Doch was ist mit dem Rest?

Die E-Roller-Theorie

Eigentlich würde es reichen, wenn die Nutzer von E-Rollern die eKFV kennen und beachten würden. E-Roller dürfen nur Personen nutzen, die das 14. Lebensjahr vollendet haben. Es darf nur eine Person den Roller fahren – die Mitnahme einer zweiten ist verboten. Roller haben auf Fußwegen nichts verloren. Ausnahmen gelten in verkehrsberuhigten Bereichen oder sind entsprechend gekennzeichnet. Ansonsten müssen Radwege oder Fahrstraßen genutzt werden. Wer ein Elektrokleinstfahrzeug führt, muss einzeln hintereinander und nicht nebeneinander fahren. Auf gemeinsamen Geh- und Radwegen haben Fußgänger Vorrang und dürfen weder behindert noch gefährdet werden. Erforderlichenfalls muss die Geschwindigkeit an den Fußgängerverkehr angepasst werden. E-Roller dürfen maximal 20 km/h fahren.

Spielzeug oder Verkehrsmittel?

Rund 25 Millionen Deutsche zwischen 14–39 Jahren bilden die Hauptzielgruppe der E-Roller-Anbieter. Mit Stolz verweist die „Plattform Shared Mobility“ auf bundesweit fast neun Millionen Kunden. Es ist also noch reichlich Platz für Expansion. In Hamburg haben die Roller als „Mobilität auf der letzten Meile“ politische Unterstützung. Anjes Tjarks, Senator für Verkehr und Mobilitätswende: „E-Scooter sind vor allem bei jungen Menschen beliebt und können den Mobilitätsmix in Hamburg im Sinne der Mobilitätswende bereichern, indem sie auf dem Weg der ‚ersten und letzten Meile‘ vom Wohnort zum ÖPNV und umgekehrt eingesetzt werden und auf diese Weise Mobilität ohne Auto ermöglichen.“ Kritisch stellt der Senator allerdings auch fest „Sie können aber auch zur Gefährdung für andere Verkehrsteilnehmende werden, wenn sie achtlos und nicht ordnungsgemäß im öffentlichen Raum abgestellt werden. Leider müssen wir feststellen, dass dies insbesondere in der inneren Stadt, wo der öffentliche Raum zumeist verdichtet und die Straßen und Gehwege schmaler sind, häufig der Fall ist.“ Mit dieser Feststellung läuft er beim Seniorenbeirat und beim Blinden- und Sehbehindertenverein Hamburgs offene Türen ein. Deshalb will der Senator gemeinsam mit den Anbietern gegensteuern um die Flut der E-Roller in sichere Bahnen zu lenken. Unbeantwortet bleibt die Frage, ob die E-Roller nicht eher Spielzeug als Verkehrsmittel sind.

Ziel – den U-Bahnhof – fast erreicht. Leider fehlte die Kraft für die
Treppe. Daher der Parkplatz in der Fußgängerunterführung.

Gut für die Umwelt?

Das Bundesumweltamt sieht es so: „E-Scooter sind nur dann umweltfreundlich, wenn sie Auto- oder Motorradfahrten ersetzen und keine weiteren zusätzlichen Fahrten mit kraftstoffbetriebenen Fahrzeugen stattfinden. Wird der E-Scooter statt der eigenen Füße oder des Fahrrades benutzt, ist das schlecht für Umwelt, Klima und Gesundheit. Es liegen nunmehr erste Studien aus Deutschland dazu vor, für welche Wege E-Scooter derzeit genutzt werden und ob sie Pkw oder Motorräder ersetzen. Die Untersuchungen der ‚Unfallforschung der Versicherer‘ (7/2021) ergab, dass nur 5,5 Prozent der E-Scooter-Fahrten eine Fahrt mit dem eigenen Auto oder mit privaten Fahrdienstanbietern ersetzen. Fazit des Bundesumweltamtes: „Als Leihfahrzeug in Innenstädten, wo ÖPNV-Netze gut ausgebaut und die kurzen Wege gut per Fuß und Fahrrad zurückzulegen sind, bringen die E-Roller eher Nachteile für die Umwelt – und drohen als zusätzlicher Nutzer der bereits unzureichend ausgebauten Infrastruktur das Zufußgehen und Fahrradfahren unattraktiver zu machen ... Aber gegenüber dem bewährten Fahrrad, mit dem sich Strecken ebenso schnell bewältigen lassen und Gepäck besser transportiert werden kann, sind E-Scooter die deutlich umweltschädliche Variante und daher keine gute Alternative.“

Nicht nachhaltig – Schäden in der Dritten Welt

Laut „Spiegel“ schätzen die Betreiber die gesamte Lebensdauer ihrer E-Roller auf derzeit über ein Jahr. Inoffiziellen Studien zufolge liegen die Werte sogar deutlich darunter. Hier schwankt die Lebensdauer eines E-Stehrollers zwischen einem bis drei Monaten. Bei der Akku-Herstellung werden u. a. Lithium und seltene Erden verwendet. Deren Abbau ist für die Umwelt bedenklich, und die Arbeitsbedingungen vor Ort sind oft prekär. Das gilt natürlich auch für alle anderen in der E-Mobilität notwendigen Akkus.

Schlussüberlegung

Selbst Befürwortern dämmert inzwischen, dass E-Roller nur einen unwesentlichen Beitrag zur Verringerung des CO2-Ausstoßes leisten. Sie sind weder gut für die Umwelt noch ihre Nutzer, denen Bewegung guttäte. Wenn schon als „Freizeitgerät“ erwünscht, muss die Politik mit technisch problemlos umsetzbaren Auflagen dafür sorgen, dass andere Verkehrsteilnehmer nicht gefährdet sind. Gegen E-Rollerverkehrsrüpel müssen drastische Strafen verhängt werden, wenn sie nach dem Motto „Ich will Spaß“ andere behindern und gefährden. Besser noch – wenn schon Roller – dann bitte klassisch mit Fußantrieb. Das wäre ein echter Beitrag zur Verkehrs- und Gesundheitswende!                 

 

F. J. Krause © SeMa

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