Das Ehegatten-Notvertretungsrecht
„Ich nehme Dich an als meine Frau/meinen Mann. Ich verspreche Dir die Treue in guten und in schlechten Tagen, in Gesundheit und Krankheit, bis der Tod uns scheidet. Ich will Dich lieben, achten und ehren alle Tage meines Lebens.“ Wer hätte diese Worte nicht in Erinnerung? Standesbeamte sowie Männer und Frauen der Kirchen unterfüttern diesen Text üblicherweise mit eigenen Worten. Nicht alle drücken sich dabei so blumig aus wie weiland der Hamburger Pfarrer Bernhard Stemick, der „seinen“ Brautpaaren gern ins Stammbuch schrieb: „Der Jungmann schenkt der Jungfrau sein ritterliches Beschützen – die Jungfrau schenkt dem Jungmann ihr mütterliches Behüten!“ Das war auch schon in den Jahren des jungen Wirtschaftswunders eine etwas aus der Zeit gefallene Formulierung. Gleichzeitig sind es aber auch Worte, die irgendwie das Herz erwärmten.
Das Haupt der Ehe
Fast selbstverständlich galten im Nachkriegsdeutschland unabhängig von einer bestimmten Religionszugehörigkeit die Worte des Apostels Paulus aus seinem Brief an die Epheser: „Denn der Mann ist das Haupt der Frau, wie auch Christus das Haupt der Gemeinde ist.“ So war es fast logisch, dass, obwohl im Grundgesetz die rechtliche Gleichheit von Frau und Mann seit 1949 festgeschrieben ist, es einer Frau bis 1962 untersagt war, ohne Zustimmung des Ehemannes ein eigenes Bankkonto zu eröffnen. Bis 1977 musste der Ehemann einer Erwerbstätigkeit seiner Frau zustimmen – konnte sie sogar ohne Zustimmung seiner Frau kündigen. Dahingestellt sei, ob das überhaupt vorkam; aber der Ehemann war „der Bestimmer“ – auch in „Gesundheit und Krankheit“. In der weiteren gesellschaftlichen Entwicklung erwuchs in fast allen Ehen auch in den Grenzbereichen des Lebens das Verständnis einer gegenseitigen Verantwortung. Ganz im Sinne der Worte von Ritterlichkeit und Mütterlichkeit. Für den anderen einstehen zu dürfen, wenn der Partner nicht dazu in der Lage sein sollte, mit einem selbstverständlichen Rechtsanspruch gegenüber Ärzten und Behörden, war für viele Ehepaare selbstverständlich. Rechtlich war die Situation aber anders. Nach dem bis Ende 2022 geltenden Recht konnten Ehegatten für ihren handlungsfähigen Partner ohne entsprechende Vollmacht keine Entscheidungen der Gesundheitssorge treffen, auch wenn die Lage noch so akut war. Es galt: ohne Vollmacht kein Vertretungsrecht. Dass viele Ärzte gemeinsam mit dem gesunden Partner zu pragmatischen Regelungen kamen, steht auf einem anderen Blatt.
Gesetz mit Realitätsbezug
Es gibt Gesetze und Gesetzentwürfe, die gut gemeint sind, denen es aber an Bodenhaftung mangelt. Obwohl mit einem sperrigen Namen bedacht, zählt das Ehegatten-Notvertretungsrecht nicht dazu. Denn der Gesetzgeber ging von der Annahme aus, dass längst nicht alle Ehepaare vorgesorgt haben. Der seit dem 1. Januar 2023 geltende Paragraf 1358 des Bürgerlichen Gesetzbuchs sieht deshalb eine gegenseitige Vertretung von Ehegatten oder Lebenspartnern ausschließlich in Angelegenheiten der Gesundheitssorge vor. Wenn ein Ehegatte aufgrund von Bewusstlosigkeit oder Krankheit diese Angelegenheiten rechtlich nicht mehr selbst besorgen kann, ist der vertretende Ehegatte beispielsweise berechtigt, in Untersuchungen, Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe einzuwilligen oder sie zu untersagen sowie ärztliche Aufklärung entgegenzunehmen. Bestandteil der Neuregelung sind zudem umfassende Schutzmechanismen, die einem Missbrauch effektiv entgegenwirken. So ist eine Ehegattenvertretung zum Beispiel dann ausgeschlossen, wenn der Ehegatte oder Lebenspartner zuvor einen entgegenstehenden Willen geäußert oder in einer Vorsorgevollmacht ausdrücklich eine andere Person bevollmächtigt hat. Auch wenn die Ehegatten getrennt leben, besteht die gesetzliche Vertretungsberechtigung nicht. Durch die Befristung des Ehegattenvertretungsrechts auf sechs Monate wird allerdings auch deutlich, dass mit dem neuen Gesetz nur auf Zeit ein Mangel „geheilt“ wird. Deshalb gilt weiterhin die dringende Empfehlung, beizeiten alle Vollmachts-fragen zu regeln. Das ist wichtig – ganz besonders in schlechten Tagen und Krankheit.
Der genaue Gesetzestext im Internet
F. J. Krause © SeMa
Bild oben: 1918/1923 geboren, mehr als 60 Jahre verheiratet. Sie waren zutiefst davon überzeugt, für den Ehepartner Entscheidungen treffen zu können. Gut, dass der „Ernstfall“ nicht eintrat und sie später sogar ihre Tochter bevollmächtigten. Foto: Krause
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