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Bald nur geprüfte Senioren am Steuer?

Der PKW-Führerschein im Fokus der Brüsseler Bürokraten

Führerschein und Alter ist auch unter Senioren in Hamburg ein Thema. Bei einer Diskussions-
veranstaltung in der Stiftung Anscharhöhe haben Dr. Stefanie von Berg, Bezirksamtsleiterin Altona, und Christian Hieff, Leiter der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des ADAC Hansa e. V., mit zahlreichen Gästen diskutiert. Dr. von Berg ist für eine verpflichtende Fahrbefähigungsprüfung, der ADAC steht für Freiwilligkeit. Die Diskussionsleitung hatte Tobias Nowoczyn, Vorstand der Stiftung Anscharhöhe (Mitte).
Foto: Anscharhöhe

Der Führerschein hat das Kaiserreich, die Weimarer Republik und die Nazidiktatur überstanden und war eine der wenigen Gemeinsamkeiten zwischen BRD und DDR. Nun ist er endlich auch von der EU-Bürokratie entdeckt worden. Spät, aber nicht zu spät. Denn seither steht auch in Deutschland die Frage im Raum: „Bis dass der Tod euch scheidet“ oder: „Bis eine höhere Macht es will“?  

Durchfallende und Ehescheidungen

Ein Blick in die Statistik der Ehen in Deutschland ergibt folgendes Bild: „Im Jahr 2021 betrug die Scheidungsrate von Ehen in Deutschland rund 35,15 Prozent. Auf drei Eheschließungen kam damit rechnerisch ca. eine Scheidung“ (Quelle: Statista). Die Zahl der Fahrprüfungen ist 2022 mit 1,76 Millionen praktischen Prüfungen aller Führerscheinklassen gegenüber dem Vorjahr deutlich angestiegen. Da aber die Durchfallquote bei 43 Prozent lag, tummeln sich seit Ende 2022 lediglich rund eine Million Fahranfänger mit einem „Führerschein auf Probe“ im Straßenverkehr. Gleichzeitig lenken Millionen Senioren noch unbehelligt ihre Autos über Deutschlands Straßen. Einige wenige trennen sich freiwillig von Führerschein und Auto. Wendet man die für die Ehescheidung geltende Logik an, müssten das weit über 300 000 ältere Fahrzeuglenker tun – wohlgemerkt jährlich! Was nun, so fragt nicht nur die EU.

Die Führerscheine unserer Nachbarn

Das SeMa hat bei den Botschaften unserer Nachbarländer nachgefragt, welche Regeln bei ihnen gelten. Die – zum Teil – gekürzten Antworten finden Sie in dieser Ausgabe. Zweifelsfrei haben sich Politik und Verwaltung seit der ersten Fahrt von Bertha Benz im August 1888 von Mannheim nach Pforzheim einiges einfallen lassen, um die motorisierte Mobilität zu kanalisieren. Während Frau Benz noch ohne Führerschein fuhr, erhielt Carl Benz wenig später vom Großherzoglichen Badischen Bezirksamt Mannheim die erste Genehmigungsurkunde zum Befahren von öffentlichen Straßen und Wegen des Großherzogtums. Eine Befähigungs-Prüfung musste er nicht ablegen. Die forderte erstmalig die preußische Verwaltung im September 1903. Der Erste Weltkrieg förderte den Einsatz von motorisierten Fahrzeugen nachhaltig – in den USA wurden nach dem Krieg am Fließband produzierte Kleinwagen schnell zu echten „Volkswagen“. Auch in Europa boomte nach dem Zweiten Weltkrieg der motorisierte Individualverkehr. Im Jahr 2022 stieg die Anzahl der Mitglieder beim ADAC auf rund 21,4 Millionen. Der Verein der Automobilisten hängte damit die Katholische Kirche mit rund 20,9 Millionen Katholiken und die Evangelische Kirche mit 19,15 Millionen Mitgliedern deutlich ab. Dennoch befindet sich das Auto in einer Sinnkriese. Der „Verbrenner“ wird zunehmend geächtet – und der „Stromer“ hochgejubelt. Wie dessen vollständige Umweltgesamtbilanz tatsächlich aussieht, bleibt – noch – weitgehend unberücksichtigt. In Hamburg und anderen Ballungsräumen kommen der Wettstreit zwischen Radfahrern und dem rollendem sowie ruhendem Autoverkehr hinzu. Und nun auch noch die Senioren am Steuer! Ist es bald vorbei mit „Freie Fahrt für alle freien Bürger“? Sind Senioren eine Gefahr für sich und andere im Straßenverkehr? Was kann, was sollte Deutschland von seinen Nachbarn, von der EU, lernen?

Peter Schneider (82) fährt seit Jahrzehnten aktiv Auto. Er plädiert für einen verpflichtenden, wiederkehrenden Test, der Sehschärfe und Gesichtsfeld, Gehör und Schulterblick im Fokus haben sollte. „Es geht um meine eigene und die Sicherheit anderer Verkehrsteilnehmer“,
so argumentiert Scheider. Foto: Krause

Was ist aus Brüssel zu hören?

„Harmonisierung“ ist von jeher ein erklärtes Ziel der EU. Laut Gesetzesentwurf der EU solle künftig Seniorinnen und Senioren über 70 nur noch Führerscheine erhalten, die für fünf Jahre gültig sind – anstatt einer 15-jährigen Gültigkeit für alle anderen. Damit soll es möglich sein, die regelmäßige Fahrtauglichkeit der älteren Fahrzeuglenker zu überprüfen. Aber: Es bleibt den Mitgliedsstaaten überlassen, ob sie dies umsetzen wollen und ob die Verkehrstauglichkeitsprüfungen verpflichtend oder freiwillig sind. Mit anderen Worten: Nun liegt der Ball bei Bundesregierung und Bundestag, ob aus der EU-Initiative Gesetz oder nur Empfehlung wird.

Diskriminierung auf Verdacht?

Laut Kraftfahrt-Bundesamts-Statistik besitzen in Deutschland über zwölf Millionen Frauen und Männer der Generation 65 Jahre und älter einen Führerschein. Somit gehört rund ein Viertel aller Führerscheininhaber zu dieser Altersgruppe. Nicht nur der ADAC lehnt nur das Alter berücksichtigende zeitliche Limitierungen des Führerscheins ab. Auch Statistiken belegen nicht, dass Alter bei Unfallbeteiligungen zwangsläufig eine Rolle spielt. Noch gibt es in der Bundesregierung eine „Brandmauer“ gegen verpflichtende Fahrtauglichkeitstests für Senioren. Denn Bundesverkehrsminister Volker Wissing, FDP, hat sich festgelegt: „Von der Idee, dass sich Senioren ab einem bestimmten Alter ohne weiteren Anlass regelmäßig einem Tauglichkeitstest unterziehen müssen, halte ich gar nichts“, sagte er in einer Medienrunde. Auch der Deutsche Verkehrssicherheitsrat hat eine mögliche verpflichtende Überprüfung der Fahrtauglichkeit von Senioren abgelehnt.

Stimmen aus Berlin

Das SeMa hat bei Mitgliedern des Verkehrsausschusses des Deutschen Bundestages nachgefragt. Hier die z.T. gekürzten Rückmeldungen:

Dorothee Martin, SPD

„Altersbedingte Überprüfung der Fahrtüchtigkeit ist eine emotionale Debatte, die jedoch geführt werden muss. Die SPD-Bundestagsfraktion ist der Auffassung, dass es – zum Schutz aller Verkehrsteilnehmenden, also auch der fahrenden Person – bei diesem Thema Handlungsbedarf gibt. Das Festhalten an einem bestimmten Alter zur Überprüfung der Fahrtüchtigkeit empfinden wir jedoch als falsch. Dafür sind wir Menschen und auch unsere individuellen Situationen zu unterschiedlich. Vielmehr könnten wir uns vorstellen, eine Art Probefahrt etwa alle 15 Jahre ohne strengen Prüfungscharakter einzuführen. An der Rechtslage nach §2 (4) StVG würde sich hier nichts ändern, nur würde die tatsächliche Fahrtüchtigkeit betrachtet werden – nicht nur bei älteren Fahrerinnen und Fahrern, sondern bei allen. Auch bei einer Person Mitte 30, die seit dem Führerschein fünfmal Auto gefahren ist, oder bei Menschen kurz vor der 50 mit Handgelenkproblemen, um nur ein paar beispielhafte Situationen zu nennen. All das ist denkbar und muss in eine Debatte mit einbezogen werden. Wichtig ist uns, dass eine Regelung für Sicherheit sorgt und diskriminierungsfrei bleibt.“

Dr. Christoph Ploß, CDU

„Als CDU setzen wir auf Eigenverantwortung statt auf staatliche Bevormundung. Deshalb sind wir gegen verpflichtende Fahrtauglichkeits-Checks für Menschen ab 70 Jahren. Die Statistik zeigt: Senioren verfügen über besonders viel Erfahrung im Straßenverkehr. Sie fahren vorsichtiger und passen ihre Fahrweise den Gegebenheiten an. Gleichzeitig sind gerade ältere Menschen besonders auf das Auto angewiesen, etwa um Einkäufe zu erledigen oder Arzttermine wahrzunehmen. Es ist diskriminierend, ausgerechnet diesen Menschen die Teilnahme am Straßenverkehr durch zusätzliche bürokratische Hürden zu erschweren.“

Swantje Michaelsen, Bündnis 90/Die Grünen

„Die aktuellen Unfallzahlen zeigen, dass immer noch zu viele Menschen im Straßenverkehr verletzt oder getötet werden, mit steigender Ten-denz besonders bei Menschen, die Rad fahren und zu Fuß gehen. Dazu gehören insbesondere Kinder und Jugendliche, aber auch ältere Menschen. Die Sicherheit der ungeschützten Verkehrsteilnehmenden muss höchste Priorität haben. Dazu kommt: Der Verkehr ändert sich stetig, Zahl und Größe der Fahrzeuge steigen an, neue Regeln kommen hinzu, immer mehr Menschen sind mit dem Rad unterwegs. Vor dem Hintergrund halten wir es für sinnvoll, unabhängig vom Alter über regelmäßige Gesundheitstests und Trainings zur Fahrertüchtigung zu sprechen. Dafür gibt es gute Gründe: Laut Unfallverhütungsbericht der Bundesregierung nimmt ab einem Alter zwischen 70 und 75 Jahren die Unfallhäufigkeit im Verhältnis zur Fahrleistung deutlich zu. Eine regelmäßige Überprüfung der Fahrtauglichkeit kann also die Verkehrssicherheit stärken. In anderen Ländern ist der Führerschein schon heute ab einem bestimmten Alter nur begrenzt gültig, und die Verlängerung ist an unterschiedliche Bedingungen gekoppelt: von Selbsteinschätzungen bis zu medizinischen Checks. Diese bereits erprobten Verfahren können Orientierung bieten. Wie genau die Überprüfung der Fahrtauglichkeit umgesetzt werden soll, obliegt den Mitgliedsstaaten und muss jetzt auch bei uns diskutiert werden.“

Jürgen Lenders, FDP

„Pauschale und verpflichtende Maßnahmen für ältere Autofahrerinnen und Autofahrer ab einem bestimmten Alter halte ich für unverhältnismäßig. Man fährt nicht per se ab einem bestimmten Alter sicherer oder unsicherer. Diese Zusammenhänge lassen sich aus den Fakten nicht ableiten. Das Risiko für Seniorinnen und Senioren, mit dem Auto zu verunglücken, ist zwischen 1980 und 2021 um fast sechs Prozent gesunken, während gleichzeitig die Lebenserwartung gestiegen ist. Auffällig sind die großen Unterschiede innerhalb Europas. In Deutschland sind 49 Senioren pro einer Million Einwohner tödlich verunglückt, in Rumänien sind es hingegen 128. Diese Spannweite macht deutlich: Statt pauschaler Scheinlösungen brauchen wir Passgenauigkeit, Augenmaß und individuelle Möglichkeiten. Ein Beispiel dafür sehe ich in freiwilligen Auffrischungskursen.“

Dirk Spaniel, AfD

„Eine gesetzliche Verpflichtung von Eignungsuntersuchungen von Seniorinnen und Senioren erachtet die AfD-Bundestagsfraktion als nicht verhältnismäßig. Eine eindeutige Zuordnung der Unfallhäufigkeit mit dem Alter ist aus entsprechenden Unfallstatistiken nicht klar erkennbar. Zudem pochen wir auf die Rechtssicherheit: Zum Zeitpunkt der bestandenen Führerscheinprüfung hat der Fahrer damit gesetzlich glauben dürfen, den Führerschein bei korrektem Fahrverhalten so lange er möchte, in der Regel ein Leben lang, zu behalten. Eine Aberkennung der Erlaubnis kann bisher nur erfolgen, wenn jemand wegen einer rechtswidrigen Tat, die er beim oder im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs oder unter Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers begangen hat, verurteilt wird oder sich als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Viele ältere Kraftfahrzeugführer fahren umsichtig und profitieren von ihren Erfahrungen. Der Verlust der Fahrerlaubnis würde einen Vertrauensverlust bedeuten. Das Vertrauen der Bürger in staatliches Handeln gehört jedoch zu den Grundlagen eines demokratisch verfassten Gemeinwesens.“

Thomas Lutze, Die Linke

„Die Überprüfung der Fahrtüchtigkeit von Menschen ab einem gewissen Alter sehe ich kritisch. Die Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen, dass diese Überprüfungen oft nicht ihren Zweck erfüllen können. Weder Sehtests, Simulatorentests, Fahrprüfungen noch ärztliche Überprüfungen haben sich als sinnvolle oder universell durchführbare Maßnahmen erwiesen. Zudem krankt die statistische Grundlage der Idee, dass ältere Menschen unsicher Auto fahren, daran, dass im Falle von Senioren andere Faktoren als das Alter relevant sind: Ältere Menschen haben eine deutlich geringere Fahrleistung, weil sie nicht mehr jeden Tag zur Arbeit müssen, sie halten sich vermehrt im innerstädtischen Bereich auf, der ein erheblich erhöhtes Unfallrisiko aufweist, und sie sind aufgrund ihrer Gebrechlichkeit oft selbst das Opfer eines Unfalls. Deswegen führt auch ein Verlust der Fahrerlaubnis nicht zu einer Erhöhung der Verkehrssicherheit, weil Senioren gezwungen sind, auf andere Verkehrsmittel wie das Fahrrad auszuweichen. Hier sind sie jedoch noch verwundbarer. Die Überprüfung der Fahrtüchtigkeit stellt daher eine unberechtigte Ungleichbehandlung auf Basis des Alters dar und muss als Altersdiskriminierung zurückgewiesen werden.“

Was haben unsere Volksvertreter sagen wollen?

Würde es heute zu einer Abstimmung im Bundestag kommen, ergäbe sich mit 410 Stimmen aus CDU, FDP, AfD und Linken eine breite Front gegen verpflichtende Prüfungen von Führerscheininhabern nur aus Altersgründen. Auf freiwilliger Basis ist es ja ohnehin jedem freigestellt, seine Fahrtüchtigkeit selbst kritisch zu hinterfragen oder durch kompetente Dritte überprüfen zu lassen. Die Grünen, gern als Verbotspartei bezeichnet, halten sich im Bund – anders als die Bezirksamtsleiterin Altona von den Grünen – alle Optionen offen und möchte nur diskutieren. Auch die SPD möchte diskutieren und bringt eine altersunabhängige „Probefahrt etwa alle 15 Jahre ohne strengen Prüfungscharakter“ ins Gespräch, die aber letztlich im Ergebnis nicht bindend wäre.

Bald Kfz-Kennzeichen mit Zusatz „SEN“?

Nach der Wahl ist vor der Wahl. Die Generation 55 + ist ganz entscheidend für deren Ausgang verantwortlich. Wenn schon Restriktionen beim Führerschein, dann könnten mit diesen Überlegungen ältere Automobilisten vielleicht versöhnlich ge-stimmt werden: Mit 30 Jahren wird ein Auto zum Oldtimer, offiziell bestätigt durch das „H“ (für „historisch“) rechts auf dem Kfz-Kennzeichen. Das H-Kennzeichen erhalten allerdings nur Fahrzeuge, die weitestgehend im Originalzustand sind oder fachmännisch restauriert wurden. Sie tragen zur „Pflege des kraftfahrzeugtechnischen Kulturgutes“ bei. Das wird durch eine geringere steuerliche Belastung belohnt. Voraussetzung für das H-Kennzeichen ist ein „Oldtimer-Gutachten“. Warum nicht auch „zur Pflege älterer Verkehrsteilnehmer“ zukünftig bei Vorlage einer Bestätigung, „sich weitestgehend im Originalzustand“ zu befinden „oder fachmännisch restauriert worden zu sein“, auf Antrag für betagte Automobilisten ein Kfz-Kennzeichen mit dem Zusatz „SEN“, verbunden mit Kfz-Steuererleichterung, einführen?     

 

F. J. Krause © SeMa

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