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„Aber ich hab doch gar nichts zu erzählen“

Das Buch der KULTURISTENHOCH2 (KH2) entstand aus dem Projekt KH2biografisch, das OberstufenschülerInnen und SeniorInnen in Coronazeiten zu Gesprächen zusammenführte, weil das ursprüngliche gemeinsame Erlebnis von Kulturveranstaltungen nicht möglich war. Das Buch selbst wurde im November 2022 im SeMa vorgestellt. Nun interessierte uns die Entstehung des Buchs und die Sicht der unterschiedlichen Mitwirkenden an dem Projekt.

Das Buch "Aber ich hab doch gar nichts zu erzählen" – 32 Leben mit Kunst und Kultur, Stiftung Generationen-Zusammenhalt, Autorinnen: Franziska Klotz und Isabel Lenuck, KJM Verlag, ISBN 9783961941933, 20 Euro

Amelie Josten, eine der interviewenden SchülerInnen

Wie wurdest Du auf die Interviewsituation vorbereitet?

Ende Januar 2022, ungefähr zwei Monate vor meinem Interview mit Frau Ruffer, gab es einen Workshop für alle SchülerInnen, die am Projekt beteiligt waren. Dort war der Journalist Christian Tröster derjenige, der uns gute Interviewführung nahegebracht hat und uns gezeigt hat, worauf wir achten sollen.

Am Tag des Interviews war die Projektleiterin Frau Busse vor Ort, um im Notfall helfen zu können. Dementsprechend habe ich mich gut vorbereitet gefühlt. Aufgeregt war ich trotzdem.

Hat sich Deine Einstellung, Deine Art, auf ältere Menschen zuzugehen, verändert seit diesem Projekt?

Ich würde sagen, dass das Projekt KH2biografisch meine Art, auf ältere Menschen zuzugehen weniger verändert hat als das ganze KH2-Projekt an sich. Bisher haben sich alle Treffen mit älteren Menschen wie eine Bereicherung für mich angefühlt.  

Normalerweise hat man als Jugendliche, abgesehen von seinen Großeltern, wenig bis gar keinen Kontakt zu älteren Menschen, und bis zu meiner Teilnahme an KH2 wusste ich gar nicht, wie viel einem dabei eigentlich entgeht. Das Projekt überwindet eine gewisse unsichtbare und unausgesprochene Barriere, die zwischen Jung und Alt zu sein scheint. Viele Klischees über alte Menschen stimmen nämlich gar nicht, man muss nur erst mal den Kontakt suchen (und finden), um das zu erkennen.

Was hast du für Dein eigenes Leben aus dem Gespräch mitgenommen?

Das Gespräch mit Frau Ruffer hat mich persönlich sehr bewegt. Sie hat viel von ihrer Kindheit im Zweiten Weltkrieg und der Zeit danach erzählt, und obwohl der Zweite Weltkrieg so ein konstantes und wichtiges Thema in der Schule ist, ist es etwas vollkommen anderes und ganz Besonderes, von Zeitzeugen so persönliche Geschichten erzählt zu bekommen.  

Es hat mich vor allem berührt, dass Frau Ruffer trotz der schweren Themen nie ihr Lächeln verloren hat. Ich weiß noch, wie ich danach nur dachte, wie stark ein Mensch eigentlich sein kann. Es hat mir auch vor Augen geführt, wie privilegiert ich eigentlich aufwachsen darf.

Dorothea Ruffer, eine der befragten SeniorInnen

Wie haben Sie die Situation empfunden, von einem jungen Menschen über Ihr Leben befragt zu werden?

Meine Interviewpartnerin Amelie hat das wahnsinnig nett gemacht, mit viel Verständnis für das Alter. Das Interview hat mir echt gefallen, und ich fand es sehr gut.

Wie war die Reaktion Ihrer Umgebung, dass Sie mit Ihrer Geschichte nun in einem Buch verewigt sind?

Ich war eigentlich richtig stolz. Eine Freundin von mir hatte so ein Projekt auch für die Kirche gemacht. Da hat der Pastor das Buch gemacht, und ich hatte vorher schon reingelesen. Ob nun andere viel Interesse hatten ... eine andere Freundin und mein Sohn haben es gelesen. Mehr Menschen habe ich es bisher nicht zum Lesen gegeben (lacht).

Hat sich die Art, auf das eigene Leben zu schauen geändert, seitdem Sie es teilweise der Öffentlichkeit anvertraut haben?

Nein, hat es nicht.

Christine Worch, Geschäftsführerin Stiftung Generationen-Zusammenhalt

Wie ist die Idee für dieses Buchprojekt entstanden?

Als wir uns im April 2020 im ersten Lockdown befanden, haben wir begriffen, dass wir mit KH2 entweder einpacken oder Alternativen zu unserer Arbeit für den Generationen-Zusammenhalt finden müssen. Wir entschlossen uns, Alt und Jung weiterhin über Kunst und Kultur zu verbinden – digital und sehr persönlich.

Wie kam die Auswahl der SeniorInnen zustande und wie wurden die passenden GesprächspartnerInnen gefunden?

Allen an KH2 teilnehmenden SeniorInnen haben wir vor der Sommerpause 2020 in einem Brief die Projektidee vorgestellt und sie gebeten, uns bis Ende August, zum Schulbeginn 2020/21, mitzuteilen, ob sie Lust hätten, bei KH2biografisch mitzumachen. Daraus entstand damals eine Liste von fast 50 SeniorInnen aus allen sieben Hamburger Bezirken. Parallel dazu stellte die KH2-Projektleiterin Schule und Bildung, Silke Busse, den SchülerInnen die gleiche Frage. Sodass wir im ersten Jahr gleich 33 Interview-Paare bilden konnten. Gematcht wurden die KH2biografisch-Tandems in der von uns praktizierten probaten Weise nach dem Kriterium „räumliche Nähe“ ihrer Wohnorte, denn Alt und Jung sollen bei KH2 die Möglichkeit bekommen, sich auf Wunsch auch außerhalb des Projektes niederschwellig und unkompliziert zu begegnen.

Braucht es mehr solcher Projekte?

Wir, das Team von KH2, glauben, dass gute Vorbilder Schule machen können und freuen uns, wenn allen Ortens mehr Projekte dieser Art – auch zu ganz anderen Fragestellungen – entstehen, wenn das Geschichtenerzählen unter den Generationen insgesamt wieder in Mode kommt und auch in Familien wieder mehr Gelegenheiten geschaffen werden zur Rückbesinnung auf Herkunft und Erfahrungen und dies im intergenerativen Austausch möglich wird. Damit es nicht eines Tages heißen muss: „Ich wollte Oma und Opa doch noch so viel fragen!“

Franziska Klotz, eine der beiden Autorinnen

Man spürt, dass Sie den älteren Menschen ihre Erzählstruktur, ihren Charakter gelassen haben. Mit welchem Fokus sind Sie an das umfangreiche Material herangegangen?

Zunächst war es für mich durch die sehr unterschiedliche Qualität der Tonaufnahmen und die recht undeutliche Sprache oder die unvollständigen Sätze eine Herausforderung, die Audiodateien zu transkribieren, um brauchbares Material zu erhalten, auf dem die Geschichten basieren. Aber das mehrmalige Anhören der Mitschnitte hatte auch einen Vorteil:  den interviewten Menschen ein wenig besser kennenzulernen, indem ich seine Stimme und den Tonfall manchmal regelrecht studierte.

Wie war es für Sie, die Interviews nicht selbst gehalten zu haben, sondern „die auswertende Instanz“ zu sein?

An manchen Stellen hätte ich – als Journalistin – nachgehakt und unbedingt versucht, mehr über dies oder jenes herauszufinden, wenn es spannend wurde. So bestand die Aufgabe nun darin, aus dem vorliegenden Material trotz mancher für mich offen gebliebenen Fragen eine interessante Geschichte zu schreiben, die auf dem Erzählten basiert und doch auch darüber hinausweist. Dabei war mir der Respekt vor der Arbeit der beiden jeweiligen Interviewpartner ebenso wichtig wie das Erspüren der Essenz jeder einzelnen Geschichte.

Fühlen Sie sich einem der befragten Menschen besonders nah?

Fast alle der von mir bearbeiteten Geschichten sind mir nahegegangen, und mir ist einmal mehr bewusst geworden, wie wertvoll es ist, ältere Menschen nach ihren Lebenserinnerungen zu fragen und sie aufzuschreiben.

Besonders beeindruckt hat mich aber die Geschichte von Sigrid Nitsch, die nicht nur einmal im Leben neu angefangen hat, sich nie unterkriegen ließ und immer versucht hat, offen für Neues zu bleiben. Und die sagt: „Wir sind nicht nur Kinder unserer Zeit. Wir machen auch die Zeit.“
Es gibt in verschiedenen Stadtteilen Lesungen aus dem Buch, die nächste ist am 02.03.23 um 18 Uhr in der Hartwig-Hesse-Stiftung, Alexanderstr. 31

Aber ich hab doch gar nichts zu erzählen – 32 Leben mit Kunst und Kultur, Stiftung Generationen-Zusammenhalt, Autorinnen: Franziska Klotz und Isabel Lenuck, KJM Verlag, ISBN 9783961941933, 20 Euro.    

 

Stephanie Rosbiegal © SeMa

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